Internetbeziehungen sind besonders haltbar – wenn man dort ehrlich sucht
Braucht man heute noch echte Beziehungen, wenn der nächste Partner im Internet nur einen Mausklick entfernt ist? Und kann aus einer Bekanntschaft bei Tinder & Co. überhaupt Liebe und echte Partnerschaft entstehen?
„Jeder ist beziehungsfähig“ – so lautet der Titel meines Beziehungsratgebers. Bei vielen ruft diese These Erstaunen oder sogar Widerspruch hervor. Ist die Menschheit nicht kurz davor, zur „Generation Beziehungsunfähig“ zu mutieren? Werden durch Onlinedating und Social Media echte menschliche Beziehungen nicht immer unwichtiger?
Der Wunsch nach echter Bindung bleibt
Das ist völliger Unfug, kann ich da nur erwidern. In meiner Arbeit als Psychotherapeutin erlebe ich das Gegenteil. Etliche wissenschaftliche Studien belegen außerdem, dass wir Menschen durch die Evolution einen tiefen Bindungswunsch in uns verankert haben. Dieses Programm ändert sich nicht von jetzt auf gleich. Jeder weiß, wie träge die Evolution ist. Unsere Körper haben bis heute nicht kapiert, dass wir Kühlschränke haben, und meinen, jede überzählige Kalorie am besten sofort als Fett speichern zu müssen. Und dann sollen ein paar Jahrzehnte Internet und ein paar Jahre Social Media das Bedürfnis nach Liebe verändern?
Onlinedating und soziale Netzwerke haben zunächst den Effekt, dass sie die Kommunikation vereinfachen. Wie wunderbar und hilfreich das ist, erleben wir gerade jetzt in Zeiten von Corona. Natürlich erleichtern diese Medien auch das Beenden einer Beziehung. Schlussmachen per WhatsApp? Ist unreif und unschön, aber früher haben sich viele einfach nicht mehr gemeldet. Wegwischen bei Tinder, weil einem die Optik nicht gefällt? In der Kneipe guckt man halt weg. Ich sehe da keinen fundamentalen Unterschied.
Wer ehrlich auf der Suche ist, hat im Netz gute Chancen
Eine Untersuchung der Universität Bielefeld hat ergeben, dass im Internet angebahnte Beziehungen besonders haltbar sind, wenn man dort ehrlich auf der Suche ist. Das wundert mich nicht, denn da lenkt zunächst der Verstand, und die Verliebtheit vernebelt nicht den Blick. Natürlich kann man sich im Netz anders darstellen, als es der Wirklichkeit entspricht. Aber beim seriösen Onlinedating überprüfen viele Menschen sehr gründlich, mit wem sie es zu tun haben und wie groß die gemeinsame Basis ist, bevor sie einem realen Treffen zustimmen.
Wer im Netz nach der großen Liebe sucht, sollte also ehrlich sein, was die eigene Person betrifft. Das setzt allerding voraus, dass man einen guten Zugang zu seinen Gefühlen hat. Man benötigt ein stabiles Selbstwertgefühl, um eine gute Balance zwischen Anpassung und Durchsetzungsvermögen zu haben. Man braucht das Selbstwertgefühl auch, um sich als derjenige zu zeigen, der man ist.
Wer sich selbst mag, findet leichter einen Partner
Viele Menschen kämpfen zum Beispiel mit einem inneren Schattenkind, einer kindlichen Prägung, die ihnen suggeriert, nicht gut genug zu sein. Die haben dann zwangsläufig Angst, dass ihr „wahres Ich“ für eine Enttäuschung sorgt, und handeln dementsprechend vorsichtig.
Wer sich seiner unbewussten negativen Prägungen bewusst wird und daran arbeitet, hat viel bessere Chancen beim Dating. Wer sich selbst okay findet, traut sich nämlich, authentisch zu sein. Dann weiß das Gegenüber, was Sache ist. Und man selbst erkennt auch schneller, ob man sich verbiegen muss oder ob es passt.