Ist das Compliance oder kann das weg? Wie sich Verantwortliche trotz Gegenwind Gehör verschaffen
Themen wie Vielfalt, Nachhaltigkeit oder Compliance haben aktuell einen schweren Stand. Wer trotzdem noch damit punkten will, muss drei Dinge beachten.
Wenn Torsten Meier über diesen Konflikt mit seinem Vorstandskollegen spricht, beginnt es in ihm zu brodeln. Seine sonst so weiche, freundliche Stimme vibriert, er verschränkt die Arme vor der Brust und sagt: „Eine Aufgabe, die man als Vorstand übernimmt, lässt man nicht einfach so fallen.“
Meier ist im Vorstand eines mittelständischen Finanzdienstleisters und heißt eigentlich anders. Sein Unternehmen ist durch EU-Gesetze dazu verpflichtet, nachhaltig zu investieren – und das umfassend zu dokumentieren. Eigentlich ist sein Kollege dafür zuständig. Aber „jetzt hat er gemerkt, dass man damit keinen Blumentopf gewinnen kann“, klagt Meier: „Weil dieses Berichtswesen den Leuten nur Arbeit macht und die Reputation als Vorgesetzter leidet.“ Dabei gehöre es als Vorstand einfach dazu, auch unbeliebte Aufgaben zu erledigen, findet er. Aber sich nun selbst die Berichtspflichten ans Bein zu binden, das sieht Meier auch nicht ein; schließlich hat er schon genug zu tun.
Nicht nur im Haushalt gibt es Aufgaben, um die sich am liebsten alle drücken. Auch im Unternehmen gibt es Jobs, die einem viel Arbeit, aber wenig Anerkennung bringen. Und die von vielen gerade in wirtschaftlich und politisch angespannten Zeiten als lästig empfunden werden. Nachhaltigkeit? Schon wichtig, klar – aber gerade ist nun mal Krise! Vielfalt? Schön und gut – aber bitte nicht übertreiben! Und wer freut sich schon auf ein Treffen mit der Compliance Managerin?
„Das Momentum kippt gerade“, beobachtet Laura Marie Edinger-Schons. Die Professorin für Nachhaltiges Wirtschaften an der Universität Hamburg forscht seit Jahren zu der Frage, wie Unternehmen diverser und nachhaltiger wirtschaften können – und welche Rolle das Engagement der Beschäftigten dabei spielt. „Wer das Thema vorantreiben will, bekommt wieder deutlich mehr Gegenwind“, sagt sie.
Fast 70 Prozent der Unternehmen bewerten die im Jahr 2022 verabschiedete EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) inzwischen negativ, nicht einmal zehn Prozent positiv. Das zeigte kürzlich eine Befragung von rund 800 Firmen durch das German Business Panel der Universität Mannheim (siehe Grafik):
Auch die EU-Kommission hat ihren Kurs geändert. Sie will einen Großteil der Unternehmen von der CSRD ausnehmen und die Umsetzung der europäischen Lieferkettenrichtlinie um ein Jahr verschieben.
Das ist aber noch nichts im Vergleich zu der 180-Grad-Wende, die sich gerade in den USA vollzieht. Seit dem Amtsantritt von Präsident Donald Trump hat die amerikanische Regierung bereits mehr als 70 Umweltvorschriften abgeschafft, die unter anderem Abgaswerte von Autos oder die Wasserverschmutzung durch Kohlekraftwerke begrenzt hatten. Zudem verschärft die US-Regierung ihren Kampf gegen das Thema Vielfalt. Amerikanische Unternehmen, die sich für Diversität, Gleichstellung und Inklusion (kurz: DEI) einsetzen, sollen keine staatlichen Hilfen mehr erhalten.
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Jetzt macht Trump auch der europäischen Wirtschaft Druck: Zahlreiche französische Unternehmen haben jüngst einen Brief von der amerikanischen Botschaft erhalten. Darin werden sie aufgefordert, sich an das von Trump erlassene Verbot von DEI-Programmen zu halten.
Was bedeutet das für all jene, die im Unternehmen für diese Themen zuständig sind – und damit vermeintlich kaum zum Geschäftserfolg beitragen? Wie können sie sich in diesen turbulenten Zeiten noch Gehör verschaffen?
1. EINE ERFOLGREICHE ERZÄHLUNG
Renata Jungo Brüngger kümmert sich im Vorstand von Mercedes-Benz um Integrität, Governance und Nachhaltigkeit. Die jüngsten Entwicklungen betrachtet sie mit Sorge, aber „ich glaube nicht, dass wir deswegen unsere Werte aufgeben müssen“. Zumal Jungo Brüngger auf Erfolge verweisen kann, etwa im Abgasskandal: Zwar musste Mercedes Strafen und Entschädigungen in Milliardenhöhe bezahlen. Doch anders als die Konkurrenz bekam das Unternehmen von den US-Behörden keinen externen Aufpasser aufgebrummt – „weil wir schon sehr früh während der Untersuchung klare Compliance-Strukturen im Unternehmen geschaffen und uns die Behörden vertraut haben“, sagt die Managerin. Ihr Unternehmen habe dadurch viel Geld und Aufwand gespart: „Darauf sind wir immer noch sehr stolz.“
Wir können nicht warten, bis ein Projekt vor dem Abschluss steht, und dann mit dem erhobenen Zeigefinger kommen.RENATA JUNGO BRÜNGGER, Vorständin bei Mercedes-Benz
Möglich machte das die enge Verzahnung von Compliance-Mitarbeitern und Fachabteilungen. „Wir können nicht warten, bis ein Projekt vor dem Abschluss steht, und dann mit dem erhobenen Zeigefinger kommen.“ Stattdessen arbeiten Ethikexperten, Juristen und Datenschützer von vornherein mit den Ingenieuren in der Entwicklung zusammen. Nur dadurch habe es auch besonders schnell mit einer Zulassung beim hochautomatisierten Fahren geklappt: Als weltweit erster Autohersteller darf Mercedes ein System verbauen, mit dem Autofahrer mit bis zu 95 Kilometer pro Stunde auf der Autobahn fahren dürfen, während sie gleichzeitig Mails schreiben oder Zeitung lesen.
Es sind Erfolgsstorys wie diese, die Jungo Brüngger intern Anerkennung verschaffen, mit denen sie den Wert ihrer Arbeit untermauern kann. Die Fakten sprechen lassen – für den ehemaligen RWE-Vorstand und heutigen Berater Hanns-Ferdinand Müller ist das der entscheidende Faktor für Compliance Manager und andere Beauftragte. Sie sollten „selbstbewusst auftreten“, rät Müller, und „immer wieder ihren Nutzen für das Unternehmen aufzeigen“. Den schlimmsten Fehler sieht er darin, die eigene Rolle herunterzuspielen. Oder sich gar dafür zu rechtfertigen: „‚Ich muss das leider machen‘? – Mit so einer Aussage entwertet man die eigene Arbeit.“
2. EIN KLARES MANDAT
Wie wichtig jemand im Unternehmen ist, darüber entscheidet aber nicht nur die berufliche Selbstwertschätzung, sondern auch das Organigramm. Das steht für Gisa Ortwein fest. Sie ist Chefbeauftragte für Compliance bei der Norma Group, einem Industrieunternehmen mit rund 8000 Mitarbeitern. Zugleich ist sie Präsidentin des Berufsverbands der Compliance Manager. „In dem Job kann man nicht immer Everybody's Darling sein“, meint Ortwein. Gerade deshalb gilt: „Ich brauche ein glasklares Mandat.“ Ihr Verband gibt Empfehlungen, was in der Stellenbeschreibung und im Arbeitsvertrag eines Compliance Managers stehen sollte: Wofür ist er zuständig, wofür nicht? An wen berichtet er? Denn hieran können Haftungsfragen anknüpfen.
Doch selbst wenn diese Fragen geklärt sind, entscheidet immer die Hierarchieebene darüber, wie viel Relevanz einem Thema zugeschrieben wird, weiß Ortwein: „Je höher die verantwortliche Person im Unternehmen angesiedelt ist, desto besser.“
Wenn wir allen die gleichen Privilegien zugestehen, müssen manche ihre Privilegien natürlich jetzt mit anderen teilen.MICHAELA JAAP, Head of Corporate Culture & Responsibility bei Hays
Viel hängt deshalb von der Unternehmensführung ab. Das hat auch Michaela Jaap gelernt. Sie verantwortet bei der Personalberatung Hays unter anderem den Bereich Diversität. „Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn Diversity in der Organisation als Feigenblatt wahrgenommen wird“, sagt Jaap, „es braucht die sichtbare Unterstützung von den Entscheidern, zum Beispiel durch Auftritte bei Events.“ Nachdem sie 2017 bei Hays einstieg, richtete sie sich mit ihren Maßnahmen deshalb zuerst an das Top-Management: mit Schulungen zu unbewussten Vorurteilen, Umfragen zu Diskriminierung, Studien zu den Vorteilen von vielfältig besetzten Teams. Ihr erster Erfolg: Der Anteil von Frauen in Führungspositionen nahm zu.
Dass ihre Initiativen nicht immer auf Gegenliebe stoßen, hält Jaap für selbstverständlich: „Wenn wir allen die gleichen Privilegien zugestehen, müssen manche ihre Privilegien natürlich jetzt mit anderen teilen.“ Es jedem recht machen können? Von dieser Idee hat sich Jaap schon lange verabschiedet.
Doch es soll zumindest für jede und jeden möglich sein, sich wertgeschätzt und wohlzufühlen. Dafür sorgen unter anderem sechs Netzwerke, die Jaap mitaufgebaut hat: Das „Pride“-Netzwerk kümmert sich zum Beispiel um eine Beteiligung am Christopher Street Day. Aus dem Frauennetzwerk stammt ein Patinnenprogramm, in dem erfahrene Führungskräfte jüngeren Chefinnen ein halbes Jahr lang zur Seite stehen.
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Jaap verfolgt damit einen Ansatz, den auch Cawa Younosi vertritt. Der Geschäftsführer der „Charta der Vielfalt“ und ehemalige Personalchef von SAP hält es für wichtig, Diversitätsthemen aus der Nische zu holen. „Die Mehrheit erreichen“, das sei das Ziel. Dafür müssten die Verantwortlichen die Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie beherrschen. „Wir müssen Unterhaltung bieten“, sagt Younosi. „Infotainment, Gamification, Events“, jedenfalls „wegkommen vom moralisch erhobenen Zeigefinger“.
Younosi hält es auch für falsch, immer wieder auf den vermeintlichen „Business Case“ der Vielfalt zu verweisen: dass nämlich diversere Teams automatisch erfolgreicher seien. Tatsächlich zeigt eine aktuelle Metaanalyse der Universität Amsterdam, dass fast 90 Prozent der Studien, die den Effekt von divers besetzten Führungspositionen auf die Unternehmensleistung untersuchen, erhebliche methodische Mängel aufweisen.
3. EIN STARKES ARGUMENT
Dennoch nennt auch Younosi wirtschaftliche Gründe für Diversitätsmanagement. Die Hälfte der Bevölkerung sei nun einmal weiblich, ein Drittel habe einen Migrationshintergrund. Allein deshalb sei es unerlässlich, dass vielfältige Belegschaften gut zusammenarbeiten. Übrigens auch, um als Arbeitgeber azttraktiv zu sein: „Unser Talentpool ist extrem klein, wenn wir nur Männer ansprechen, die Thomas oder Christian heißen“, sagt Younosi.
Dieses Argument hält auch Jaap für das wichtigste. Wenn sie ihr Budget gegenüber der Geschäftsführung rechtfertigen muss, verweist sie immer wieder auf den Fachkräftemangel: „Es wäre ja verrückt, darauf zu verzichten, Menschen aus allen gesellschaftlichen Gruppen für uns zu gewinnen und zu halten.“
Das Argument zieht nicht nur bei der Vielfalt. Auch Nachhaltigkeit ist für Fachkräfte ein wichtiger Faktor. Befragungen der Jobplattform Stepstone zeigten im vergangenen Jahr, dass vier von fünf Beschäftigten bei einem Jobwechsel gezielt nach einem nachhaltigen Unternehmen suchen. 34 Prozent würden kündigen, wenn sich ihr Arbeitgeber in einem umweltschädlichen Projekt engagiert (siehe Grafik oben). Dazu dürften dann insbesondere auch diejenigen zählen, die sich für Nachhaltigkeit im Unternehmen einsetzen. „Die will man keinesfalls verlieren“, sagt Edinger-Schons von der Uni Hamburg.
Denn wer gegen Widerstände für ein Thema kämpft, ist meist besonders motiviert, kreativ und ausdauernd. Eigenschaften, die Unternehmen gerade in turbulenten Zeiten gut gebrauchen können.
