Ist der Knoten geplatzt? Plötzlich verkaufen sich E-Autos blendend
Immer mehr Neuwagenkunden in Europa greifen zum Elektroauto, in Deutschland ist die Nachfrage besonders hoch. Was steckt dahinter? Eine ernüchternde Analyse.
Steht die Elektromobilität in Europa vor dem Durchbruch? Ein Blick auf die nackten Zahlen scheint das zu bestätigen: Im ersten Quartal 2025 wurden in der EU 412.997 batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) zugelassen, 23,9 Prozent mehr als im Vergleich zum Vorjahr. Der Marktanteil liegt nun bei 5,2 Prozent. Damit waren in den ersten drei Monaten 15,2 Prozent der Neuzulassungen Batterieautos. Deutschland, Belgien und die Niederlande verzeichneten besonders starke Zuwächse. Allein in Deutschland stiegen die Zulassungszahlen von BEV um 38,9 Prozent.
Der E-Auto-Boom ist teuer erkauft
In den Vorstandsetagen der Autohersteller will trotzdem keine Feierlaune aufkommen. Denn der aktuelle BEV-Anteil ist nur ein Etappensieg. Und erkauft wurde er mit erheblichen Preisnachlässen und Leasingangeboten. VW hatte den Preis des Kompaktstromers ID.3 zeitweilig auf unter 30.000 Euro gesenkt – die Leasingrate vergleichbar mit der eines gut ausgestatteten Golfs. Innerhalb von 14 Tagen wurde so eine fünfstellige Anzahl an ID.3 verkauft. Ähnliche Aktionen werde es immer wieder geben, heißt es bei VW. Aktuell wird das ID.3-Schwestermodell Cupra Born für eine Leasingrate um 300 Euro im Monat angeboten – ohne Anzahlung, bei 10.000 Kilometern im Jahr.
Auch bei anderen Herstellern purzeln die Preise: Um 300 Euro kostet ein BMW iX1, ein Opel Corsa-e sogar unter 200 Euro (bei jeweils 5000 Kilometern im Jahr). Wer derzeit ein Auto sucht, kann unter diversen Schnäppchen wählen.
Solche Angebote begeistern offenbar auch viele Diesel- und Benzinfans, aber nicht unbedingt die Bilanzbuchhalter der Hersteller. Denn eigentlich müssten solche Leasingraten doppelt so hoch sein, um damit auch Geld zu verdienen.
EU, Flottengrenzwerte und Strafzahlungen
Hauptgrund für die Sonderangebote: Um den CO2-Flottengrenzwert der EU zu erfüllen, müssten die deutschen Hersteller nach Berechnungen des Marktbeobachters Dataforce einen Elektroanteil von fast einem Viertel erreichen und damit den E-Absatz des vergangenen Jahres verdoppeln. Davon sind sie noch immer weit entfernt.
Verfehlen sie ihr Ziel, drohen hohe Strafzahlungen: 95 Euro für jedes Gramm CO2 pro Auto würden fällig, die ein Hersteller den Grenzwert der EU überschreitet. Das heißt: Verfehlt VW den Grenzwert um 5 Gramm, müsste der Konzern 1,6 Milliarden Euro nach Brüssel überweisen. „Das Geld geben wir lieber den Kunden und senken die Preise“, sagt ein VW-Manager. In der Gewinn- und Verlustrechnungen fehlt die Milliarden dennoch.
Mehr Flexibilität bei der Erfüllung der Vorgaben
Da kommt die neue Kompromissbereitschaft der EU wie gerufen: Nach Plänen der Kommission in Brüssel sollen die Hersteller mehr Zeit bekommen, die strengeren CO2-Ziele von durchschnittlich 93,6 Gramm pro Kilometer zu erreichen. „Der Kompromiss bedeutet nicht, dass wir uns zurücklehnen können“, sagt Volkswagen-Vertriebschef Martin Sander. Denn die CO2-Ziele der EU bleiben dieselben. Die Autohersteller bekommen nur mehr Flexibilität. Im vergangenen Jahr hatte VW die CO2-Vorgabe der EU übererfüllt, ohne dass es dem Konzern in diesem Jahr angerechnet würde. Das soll sich nun ändern. Wer in diesem Jahr den Plan übererfüllt, kann sich im nächsten Jahr mehr erlauben – und umgekehrt.
Aufgeschoben ist also nicht aufgehoben. EU-Parlament und Ministerrat müssen dem Kompromiss der Kommission noch zustimmen. An der Art der Regulierung ändert sich aber nichts. Sie hat bereits dafür gesorgt, dass die Autohersteller ausgerechnet Kleinwagen aus dem Programm geworfen haben. Beispiel Ford: Für jeden Kleinwagen des Typs Fiesta mit einem CO2-Wert von 120 Gramm hätte Ford ab diesem Jahr 2375 Euro Strafe überweisen müssen. Eine solche Preiserhöhung hätten die Kunden nicht akzeptiert. Deshalb hat Ford das Modell eingestellt und baut im Kölner Werk den elektrischen Explorer. Die 40.000 Euro für das BEV wollen die meisten Kunden aber auch nicht zahlen: Der Explorer verkauft sich schlechter als erwartet.
Das Problem, dass Elektroautos in der Produktion nach wie vor teurer sind als Verbrenner, wird die europäische Autoindustrie aber erst in den nächsten Jahren in den Griff bekommen. Die Batteriepreise sinken um rund 20 Prozent pro Jahr. In drei Jahren dürfte ein Elektroauto dann sogar billiger sein als ein Verbrenner. VW will das mit dem ID.2 und ID.1 sogar schon in zwei Jahren schaffen.
(Schnelle) Unterstützung aus Berlin könnte helfen
Um diese Zeit zu überbrücken, könnte eine staatliche Kaufprämie nicht schaden. Genau das plant die Koalition aus CDU und SPD in Berlin. Kaufanreize, Steuervorteile und ein Programm für Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen sind im Koalitionsvertrag vorgesehen. In Frankreich wurde mit dem „Sozial-Leasing“ der Absatz vom E-Autos erfolgreich angekurbelt: Wer weniger als 15.400 Euro im Jahr verdient, konnte ein E-Auto ab 54 Euro pro Monat leasen.
Wie sich die Bundesregierung die Förderung im Detail vorstellt, steht noch nicht fest. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) fürchtet dabei nichts mehr als eine lange Debatte über die Förderung und Kunden, die abwarten, was am Ende für sie herausspringt. „Eine Kaufprämie ist gut, die Debatte darüber ist schlecht“, sagt VDA-Präsidentin Hildegard Müller.
Kampf mit Imageproblemen
Mit einer staatlichen Prämie die günstigen Leasingraten weiter senken zu können, das ist für die Kunden eine attraktive Perspektive, aber auch für die Hersteller. Denn den Vertriebschefs graut schon vor dem Tag, wenn die derzeit günstig verleasten E-Fahrzeuge in drei oder vier Jahren zu den Händlern zurückkommen. Dann müssen sie als Gebrauchtwagen vermarktet werden – derzeit kein leichtes Unterfangen. Laut DAT sind drei Jahre alte Elektroautos nur noch 51,5 Prozent ihres Neupreises wert. Bei Verbrennern liegt der Restwert mit 63 Prozent deutlich höher.
„Das ist in der Tat noch eine Herausforderung“, sagt Opel-Vertriebschef Tobias Gubitz. „Dabei gibt es gute Argumente für gebrauchte Elektroautos: Ihre Wartung ist weniger kostenaufwendig als bei Verbrennerfahrzeugen. Die Batterien halten sehr lange, wie man an den älteren Elektroautos sehen kann. Wer zu Hause laden kann, fährt günstiger als mit einem Verbrenner.“ Da müsse man bei den Gebrauchtwagenkäufern aber noch Überzeugungsarbeit leisten.
