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Ist der Kugelschreiber das Symbol sinnloser Überkommerzialisierung?

Kluge Dinge zeigen uns etwas von ihrer Machart, sind nachhaltig und zugleich Symbole menschlicher Selbstbestimmtheit.

Dazu gehören für den Psychoanalytiker und Schriftsteller Wolfgang Schmidbauer beispielsweise Fahrräder, mechanische Schreibmaschinen, Anspitzer, Bleistifte oder Füllfederhalter, zu denen sich eine sinnliche Beziehung aufbauen lässt: „Sie belehren uns über den Zusammenhang zwischen der Spur auf dem Papier und ihrem Innenleben.“ Der Kugelschreiber, der heute synonym für sinnlose Überkommerzialisierung, Verschwendung und Bequemlichkeit steht, tut das allerdings nicht. Die Plastikteile liegen meistens in Hotels, Arztpraxen oder Geschäften herum und sind paradigmatische Werbegeschenke.

Kugelschreiber sind heute auch ein selbstverständlicher Teil des Alltags. So schreibt der ehemalige US-Präsident Barack Obama in seinen Memoiren, dass er auch im Büro zu Zerstreutheit neigte und unfähig war, ein geordnetes Ablagesystem aufrechtzuerhalten, was zur Folge hatte, dass er immer Memos, Smartphones und Kugelschreiber verlegte. Für Claudia Silber, Leiterin der Unternehmenskommunikation des Ökoversenders memo, ist es wiederum selbstverständlich, immer ein kleines Notizbuch inklusive Kugelschreiber bei sich zu tragen. Viele Produkte, die zur Massenware wurden, sind „dumm“ geworden, aber es gibt auch kluge Varianten.

Es macht deshalb immer Sinn, eine Entwicklung möglichst ganzheitlich zu betrachten und die Geschichte hinter den Dingen nicht zu vergessen.

Die Historie der Schreibgeräte reicht vom bronzenen Stilus samt Wachstafel bis zu den Innovationen des Füllhalters (17. Jahrhundert) sowie des Bleistifts (18. Jahrhundert). Es handelte sich damals fast ausschließlich um Luxusprodukte. Im 20. Jahrhundert ließ sich nach Vorarbeiten verschiedener Tüftler der Ungar Laszlo Jozsef Biro den Kugelschreiber in seiner heutigen Form patentieren – als Füllfederhalter für Tintenpaste (Fountain Pen for Pulpy Ink 1938 in den USA). Er war Jude und musste vor den Nazis aus Ungarn fliehen. Ein britischer Geschäftsmann erkannte den kommerziellen Wert dieses Patents für die Flugzeugindustrie: Er kaufte Biro die Rechte ab und gründete die erste Fabrik, die durch Großaufträge der Royal Air Force eine Serienproduktion beginnen konnte. Die ersten deutschen Modelle kosteten 1950 zwanzig Mark. Die flugtauglichen Kugelschreiber sind sehr teuer, weil in ihnen Stickstoff unter Druck in einer gut verschlossenen Mine die Paste zur Kugel drücken muss. Die industriell gefertigte Massenware verlässt sich auf die Schwerkraft und versagt entsprechend schnell.

Es gibt heute aber auch nachhaltige Alternativen zum üblichen Plastik- und Wegwerfkugelschreiber.

Zwar ist im Nachhaltigkeitsbericht des Unternehmens memo vermerkt, dass für seine „Kugelschreiber aus FSC®-zertifiziertem Holz trotz intensiver Bemühungen am gesamten Markt keine Mine zu finden ist, die die sehr strengen Anforderungen des Umweltzeichens erfüllt“, aber es lohnt dennoch ein Blick auf aktuelle Entwicklungen: Der Astkuli ist aus natürlichem, europäischem Linden- oder Haselnussholz gefertigt, welches aus Durchforstungsbeständen stammt. Die Steckmine mit Tintenpaste ist austauschbar. Der "Prisma II" hat einen Schaft und Drücker aus farblos schutzlackiertem Buchenholz aus heimischer Forstwirtschaft (FSC-zertifiziert). Der Kugelschreiber Paper-Pen eine Hülle aus 100 % Recyclingpappe, die mit Milchsäurekasein (Eiweiß) verklebt ist. Seine licht- und dokumentenechter Steckmine ist austauschbar. Der STABILO Kugelschreiber "pointball" ist ressourcenschonend aus Recyclingkunststoff hergestellt. Die Gehäuseteile des Kugelschreibers "K3 Biosafe" von Schreibgeräte-Hersteller Schneider bestehen zu 68 % aus nachwachsenden Rohstoffen. Clip, Drücker und Spitze sind aus Edelstahl und damit besonders strapazierfähig und auf eine lange Gebrauchsdauer ausgelegt.

Das Thema wird auch in der Werbeartikelindustrie immer wichtiger.

Wenn Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsstrategien konsequent verfolgen, sollten auch „Nebensächlichkeiten“ wie Werbeartikel davon nicht ausgenommen werden. Billige Wegwerffeuerzeuge oder Plastikkugelschreiber wären für solche Unternehmen geradezu Anti-Werbung, die das Image eines nachhaltig aufgestellten Unternehmens nicht transportieren kann. Wer auf Nachhaltigkeit und Qualität verzichtet, läuft auch Gefahr, dass sich die beabsichtigte Werbewirkung nicht erfüllt.

Weiterführende Informationen:

Wie wir der Welt der dummen Dinge entkommen können

Nachhaltige Werbeartikel: Schenken beginnt mit Denken

Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Nachhaltigkeit begreifen. Was wir gegen die dummen Dinge im Zeitalter der Digitalisierung tun können. In: In: CSR und Digitalisierung. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. Springer-Verlag Berlin Heidelberg. 2. Auflage 2021.

Barack Obama: Ein verheißenes Land. Penguin Verlag, München 2020.

Wolfgang Schmidbauer: Enzyklopädie der Dummen Dinge. Oekom Verlag München 2015.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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