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Ist die Event-Branche bereit für eine „Grüne Revolution“?

Ist die Event Branche bereit für eine „Grüne Revolution“? Ein Interview mit Artist-Relations-Manager Stefan Lohmann.

Herr Lohmann, wo gibt es heute positive Ansätze zu einem nachhaltigen Veranstaltungsmanagement?

Veranstaltungen wie der Deutsche Nachhaltigkeitspreis werden nicht nur klimaneutral, sondern auch nachhaltig durchgeführt - das ist naheliegend. Mittlerweile werden aber immer mehr Veranstaltungen nachhaltig umgesetzt. Dazu gehören auch die der Bundesregierung. Aber auch Großveranstaltungen wie der Eurovision Song Contest oder der Hessentag wurden bereits entsprechend realisiert. Immer mehr Festivals und auch Businessevents werden klimaneutral, plastikfrei etc. – es tut sich was in der Branche. Der Druck auf die Veranstalter wird größer.

Uns ist es gelungen, auch den Live Entertainment Award, der wichtigste Award der Live Entertainment-Industrie, klimaneutral umzusetzen. Das ist ein richtiges und wichtiges Signal an die gesamte Event Branche, denn die ist ja bekanntlich für einen großen Teil der CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich.

Damit aber noch viel mehr Veranstaltungen nachhaltig umgesetzt werden, ist ein einfacher und schneller Wissenstransfer sehr wichtig. Deshalb habe ich einen extrem komprimierten Sustainability Rider und die dazu passende Checkliste verfasst. Den Rider und die Checkliste stelle ich – komplett for free als Download – zur Verfügung, damit wirklich JEDER Veranstaltungen nachhaltig umsetzen kann.

Zudem stellen wir jetzt mit Sustainable Event Solutions eine digitale Plattform zur Verfügung, auf der Veranstalter alle wichtigen Informationen finden und vor allem auch alle nachhaltigen Lieferanten der Eventindustrie finden.

Über welche Umweltbelastungen reden wir bei Events? Welche konkreten Beispiele und Zahlen können Sie nennen?

Zum Beispiel den PRG Live Entertainment Award. Zur Verleihung kommen etwa 1300 Gäste, fast alle aus Deutschland. Einige Redner*innen und Künstler*innen werden aus England eingeflogen. Bei solch einer Award-Veranstaltung fallen ca. 250 Tonnen CO2 an. 66% der Emissionen entfallen auf die An- und Abreise der Teilnehmer*innen und den Materialtransport. Weitere Emissionsquellen sind mit ca. 16% der Energieverbrauch sowie die Unterbringung und Verpflegung (12,7%). Eine Tournee mit 10 LKW Showtechnik und 4 Nightlinern (Busse, in denen man in Kojen schlafen kann) mit 19 Terminen verursacht durch An- und Abreise der Band und Crew, deren Verpflegung und Unterbringung sowie dem Energieverbrauch der Veranstaltung Treibhausgasemissionen in Gesamthöhe von ca. 500-700 t CO2.

Durch die An- und Abreise der Besucher (15.000) entstehen zusätzlich im Durchschnitt Emissionen in Höhe von 500 Tonnen CO2 pro Konzert. Die Emissionen von großen mehrtägigen Events wie der Hessentag (mehr als 1.500.000 Besucher) verursachen auch schon mal bis zu 30.000 Tonnen CO2. Wenn man diese Zahlen hochrechnet mit den vielen tausenden von Events und Tourneen, die jedes Jahr in Deutschland durchgeführt werden, dann erahnt man, wie hoch der CO2-Ausstoß dieser Branche ist. (Quelle: First Climate AG).

Durch den Wandel der Gesellschaft u.a. angetrieben durch Fridays for Future, müssen sich alle Veranstalter die Frage beantworten, wie sie mit dieser neuen Erwartungshaltung der Gäste umgehen. Ich bin mir sicher, dass Veranstalter, die sich diese Frage nicht beantworten, komplett vom Markt gefegt werden.

Wie wird diese Entwicklung von den Veranstaltern angenommen?

Immer mehr Event- und Tourneeveranstalter*innen, aber auch Künstler*innen, stellen sich der Herausforderung, den CO2-Ausstoß reduzieren zu wollen. Live Nation, der weltweit führende Festival Veranstalter, gab 2019 bekannt, dass sich seine globale Nachhaltigkeitskoalition, Green Nation, zu neuen Umweltzielen verpflichtet. Das Hauptziel ist, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 50% zu reduzieren und den Verkauf von Einweg-Kunststoffen an allen besessenen und betriebenen Veranstaltungsorten und Festivals bis 2021 zu beenden.

Es geht aber auch darum, die Festivalbesucher für den sorgsamen Umgang mit der Umwelt zu begeistern. Die Begeisterung halte ich auch für einen wichtigen Aspekt, denn erst durch die Mithilfe der Gäste, können die Bemühungen der Veranstalter Erfolg bringen.

Fridays for Future hat auch auf diesem Gebiet ganze Arbeit geleistet und mittlerweile sehen sich Veranstalter*innen mit einem bewussteren Publikum konfrontiert, das nicht mehr alles akzeptiert und durchaus kritische Fragen stellt oder auch Produkte und Veranstaltungen boykottiert.

Haben Eventagenturen Angst, ihre Kunden mit dem Thema zu verschrecken?

Ja, ich denke viele Eventagenturen haben Angst, ihre Auftraggeber abzuschrecken, weil alle annehmen, dass nachhaltige Events immer mit Mehrkostenverbunden sind. Das Stimmt so aber nicht und hier zeigt sich, dass in vielen Firmen das Wissen einfach nicht vorhanden ist. Firmen fürchten die Kosten und den Aufwand sich, mit Nachhaltigkeit zu beschäftigen und haben Angst davor, als Greenwasher bezeichnet zu werden.

Weshalb ist das, Ihrer Meinung nach, eine Fehleinschätzung?

Von Lovebrands wird heute mehr erwartet als nur Qualität. Es geht auch um Haltung und Verantwortung einer Marke. Und zur Klarstellung: Nachhaltige Events sind nicht automatisch teurer! Ein gutes Umweltmanagement schließt auch Potentiale zur Effizienz, Kostenreduktion und Gewinnmaximierung mit ein. Zumal häufig auch der Mehrwert übersehen wird, den nachhaltige Events bieten. Denn Veranstaltungen mit einem Mehrwert, werden von den Gästen auch anders wahrgenommen. Es fühlt sich gut an Teil von etwas Positiven zu sein.

Hier haben Eventagenturen die Möglichkeit eine Führungsrolle einzunehmen und einen Mehrwert für Ihre Kunden zu liefern. Diese Businessmöglichkeit haben viele Eventagenturen noch gar nicht für sich erkannt. Spannend finde ich Events, die nicht nur umweltfreundlich sind, sondern einen direkten Mehrwert für die Umwelt und Gesellschaft haben. Das Global Citizen Festival im Hamburg hat 9000 Karten verlost. Bedingung für die Bewerbung war eine gute Tat bzw. Aktion. Daraus wurden über 750.000 gute Taten und Aktionen und das führte zu Zusagen im Wert von 706 Millionen US-Dollar, die 113 Millionen Menschen zugutekommen werden.

Nachhaltigkeit ist ein super spannendes Thema für die Firmenstrategie und bietet enorm viel Platz für Kreativität. Es bietet aber auch viel Potential für den Zusammenhalt und Zusammenarbeit in einer Firma. Die wirklich guten Mitarbeiter und Fachkräfte arbeiten in der Regel lieber für Firmen, die etwas Gutes tun und positive Ziele formulieren im Einklang mit Natur und Gesellschaft. Zudem bietet Nachhaltigkeit neue Touchpoints für Kund*innen und neue Ansätze für die Content Strategy und die digitale Transformation.

Wie bewerten Sie die Entwicklung der digitalen Transformation im Bereich nachhaltiger Event Organisation?

Aktuell arbeite ich z.B. daran, mit unserer Booking-Software die Informationen und Abläufe, die bei der Koordination von Veranstaltungen wichtig sind, den Künstler*innen in Echtzeit zur Verfügung zu stellen. Sie haben dadurch immer den aktuellsten Stand auf dem Handy griffbereit: Termine, Anfragen, Zusagen, Absagen, Soundcheckzeiten, Aufrittszeiten, Reisedaten, Flugnummern, Ablaufpläne, Hotels, Locations, Adressen, Kontakte etc. Viele Daten unterliegen ständiger Anpassung während eines Projektes. Die Digitalisierung hilft bei der Organisation und Verteilung der Daten. Mein Ziel ist ein papierloses Büro.

Auch im Marketing Bereich hat sich die Digitalisierung durchgesetzt. Marketing, sei es für die Bewerbung von Veranstaltungen oder für die Vermarktung der Künstler*innen, findet immer mehr über die sozialen Medien statt. Mittlerweile werden aufsehenerregende Live Events genutzt, um den Content für die Online Strategie zu erstellen, um im Internet die großen Reichweiten zu erzielen. So werden Fan und Influencer Events zu reichweitenstarken Online Ereignissen.

Festivals erhalten durch die Video-Streams und Virtual Reality Performances der Stars ganz neue Reichweiten. Wie die Telekom Streetgigs eindrucksvoll belegen. Übrigens: Das mit 11 Millionen Live Zuschauern reichweitenstärksten Konzerte aller Zeiten fand nur online statt: DJ Marshmellow im Online Spiel Fortnite.

Sie möchten das Jahr 2020 nutzen, um die Event Branche zu revolutionieren. Was bedeutet das konkret?

Mein Ziel ist es, dass nachhaltige Veranstaltungen zum Standard werden – sofort! Dafür habe ich den Sustainability Rider mit der Checkliste geschrieben, um jeden in die Lage zu versetzen nachhaltige Veranstaltungen umzusetzen. Und mit Sustainable Event Solution bieten wir eine digitale Plattform auf der sich alle nachhaltigen Lieferanten der Event Industrie präsentieren und sich untereinander vernetzen, um neue nachhaltige Services und Produkte an den Markt zu bringen. Deshalb beinhaltet das Netzwerk auch nachhaltige Banken, Sponsoren und Investoren.

Mit dem Sustainability Rider inklusive Checkliste möchten Sie Veranstalter, Event-Agenturen und Künstler unterstützen. Was sind die wichtigsten Inhalte?

Wichtig war mir etwas zu schaffen, was für die gesamte Eventindustrie funktioniert. Ich wollte eine einfache und extrem komprimierte Guideline, damit jeder Mensch nachhaltige Veranstaltungen umsetzen kann. Egal ob Veranstalter, Künstler oder Lieferant. Es kommt darauf an die richtigen Fragen zu stellen und den Rider und die Checkliste als Gesprächsgrundlage zu verstehen für alle Beteiligten.

Ich will Hemmungen abbauen und zeigen, dass es wirklich jeder kann. Denn viele haben Angst vor dem „großen Berg Nachhaltigkeit“ und die vielen Details, die zu bedenken sind beim Thema Nachhaltigkeit. Und viele wollen erst dann anfangen, wenn sie jedes Details verstanden haben und jeweils eine Lösung dafür gefunden haben. Das halte ich für den falschen Weg. Denn anzufangen und auf dem Weg die passenden Lösungen zu finden, halte ich für effektiver, als ein „weiter so wie bisher“ bis man die perfekte Lösung für alles gefunden hat. Zumal es immer Weiterentwicklungen gibt sowie neue Produkte und Services.

Der Einstieg in die nachhaltige Umsetzung von Events funktioniert viel einfacher, als die meisten Veranstalter denken. Die größten unvermeidbaren Co2 Emissionen entstehen durch die Anreise der Gäste (über 60%). Danach folgt der Energiebedarf und diese beiden Probleme lösen Sie mit zwei Anrufen. Einfach zu einem Ökostrom-Anbieter wechseln und einen Ticketing Anbieter auswählen, der die Möglichkeiten des Green-Ticketings und der Einpreisung der CO2 Kompensation anbietet. Das kann jeder! Damit ist das Event noch nicht nachhaltig, aber ich will damit zeigen, dass es bei der Klimaneutralstellung darauf ankommt zu handeln und dass es sehr einfach ist 70-80% der CO2 Emissionen in den Griff zu bekommen.

Die 13 Leitlinien des Sustainability Riders und der Checkliste zeigen einem die wichtigsten Punkte auf, die man beachten sollte. Und für manche Bereiche wird man Partner/Supplier benötigen, die einem helfen diese Probleme zu lösen. Das heißt als Veranstalter*in und Künstler*in geht es darum mit den Lieferant*innen und Gewerken zu sprechen und eine nachhaltige Lieferant*innenkette aufzubauen. Dann wird die Veranstaltung automatisch nachhaltig.

Und mit der Einbindung von nachhaltigen Lieferanten und NGO’s kann man sogar Events kreieren, die einen positiven Effekt haben für Nature und Gesellschaft – wie man an den Beispielen des Deutschen Nachhaltigkeitspreises und Global Citizen Festival in Hamburg sehen kann.

Vielen Dank für das Gespräch.

Vita:

Stefan Lohmann, Jahrgang 1973, geboren in Xanten in NRW, ist ein Hamburger Talent Buyer und Artist Relations Manager. Nach über zehn Jahren Tätigkeit als international tätiger Verkäufer von Live Entertainment wechselte Stefan Lohmann 2014 auf Kundenseite und stellt seitdem seine Erfahrung, Insiderwissen, Kontakte und Verhandlungsgeschick seinen Kunden als Einkäufer und Artist Relations Manager zur Verfügung. Mit seinem Team erstellt er Live Entertainment Konzepte für Veranstaltungen jeder Größenordnung und Ausrichtung. Internationale Stars, Shows, Showacts, Orchester-, Drohnen-, Tanz- und Aerial-Shows etc. Lohmann arbeitet vollkommen transparent, langfristig und auf partnerschaftlicher Basis mit seinen Kunden. Seit 2014 ist er offizieller Partner und Artist Relations Manager vom Deutschen Nachhaltigkeitspreis. 2015 gründete er das nachhaltig agierende Berlin Show Orchestra. 2016 folgte die Gründung des Sustainable Event Solutions-Netzwerks, woraus 2020 die Online Plattform Sustainable Event Solutions hervorging. Stefan Lohmann ist Mitglied im Verein Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg e.V.

Weiterführende Informationen:

Sustainable Event Solutions

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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