„Jetzt ist richtig Krise“: Airbus-Chef fordert europäische Souveränität
Der Airbus-Chefkontrolleur sieht Berlin und Paris in der Pflicht, die europäische Souveränität zu stärken. Der Wahlsieg von Donald Trump könne eine Chance für ein Kern-Europa sein.
Berlin. René Obermann ist Europäer und kontrolliert mit Airbus einen europäischen Champion. Umso stärker beunruhigen den früheren Telekom-Chef die aktuellen geopolitischen Entwicklungen. Es sei von größter Bedeutung, dass Deutschland schnellstens politisch handlungsfähig wird, mahnt der Manager mit Blick auf das Scheitern der Ampelkoalition und die Wiederwahl Donald Trumps zum US-PräsidentenH+.
Allerdings findet Obermann, die US-Wahl könne auch eine „Chance für ein Kern-Europa sein, in dem man eng zusammenarbeitet für mehr Souveränität, militärisch und technologisch“. Europa müsse Russlands Aggression abschreckend begegnen können. „Das schließt die nukleare Abschreckung mit ein“, sagt Obermann.
In der Pflicht, dieses neue Europa voranzutreiben, sieht er dabei vor allem Deutschland und Frankreich. „Ich frage mich seit geraumer Zeit, warum sich Deutschland und Frankreich nicht täglich beraten und das große Thema ‚Schutz vor Russland‘ und ‚Ukrainehilfe‘ mit ganzer Kraft zusammen bearbeiten“, so der Chefaufseher des europäischen Luftfahrtkonzerns.
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Herr Obermann, die Regierungskoalition in Berlin ist am Ende. Empfinden Sie das trotz der vielen aktuellen innen- und außenpolitischen Herausforderungen als Befreiung?
Hoffen wir, dass als Nächstes eine stabile Konstellation entsteht, die weitsichtig ist und vor unpopulären Entscheidungen nicht zurückschreckt. Die neue Regierung startet, wie die vorige auch, mit der Hypothek von vielen Jahren an Versäumnissen und Überregulierung. Das ist übrigens keine Pauschalkritik an der Politik, sondern an uns als Gesellschaft. Es ist von größter Bedeutung, dass Deutschland schnellstens politisch handlungsfähig wird.
Auch weil Donald Trump ins Weiße Haus zurückkehren wird? Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von dem Ergebnis in den USA erfahren haben?
Mein erster Gedanke war: Was empfinden die Menschen in der Ukraine? Dürfen sie noch auf Hilfe aus den USA nach den Wahlkampfankündigungen von Donald Trump hoffen? Ein weiterer Gedanke war: Die Wahl kann eine Chance für ein Kern-Europa sein, in dem man eng zusammenarbeitet für mehr Souveränität, militärisch und technologisch. Europa muss Russlands Aggression abschreckend begegnen können. Das schließt die nukleare Abschreckung mit ein.
Um die Demokratie in den USA machen Sie sich keine Sorgen?
Doch, aber nicht nur in Amerika. Es geht um die Zukunft aller freiheitlich demokratischen Gesellschaften. Auch in Europa. Warum haben wir als Verantwortungsträger über Jahrzehnte versäumt, dass viele Menschen der Marktwirtschaft, der Politik, den Medien nicht mehr vertrauen und sich den Populisten zuwenden? Dieser Diskurs wird bisher unzureichend geführt. Und mitunter bedienen wir uns einer Rhetorik, die von oben auf diese Menschen schaut und sie pauschal in eine rechte oder linke Ecke stellt.
Wie wird es nun in der Ukraine weitergehen?
Sollte die Unterstützung aus den USA tatsächlich wegfallen, wäre das ein fatales Signal an Russland. Umso wichtiger ist es, dass Europa der Ukraine hilft, so gut es eben geht. Und, wie schon gesagt, dass wir unsere strategischen Fähigkeitslücken in der Verteidigung schnellstens schließen, um nicht erpressbar zu bleiben.
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Aber wie organisieren wir Europas „klare Kante“ mit Blick auf den Ukrainekrieg?
Ich frage mich seit geraumer Zeit, warum sich Deutschland und Frankreich nicht täglich beraten und das große Thema „Schutz vor Russland“ und „Ukrainehilfe“ mit ganzer Kraft zusammen bearbeiten. Warum sie insgesamt, trotz bestehender kultureller und wirtschaftspolitischer Unterschiede, nicht eine große Kooperation entwerfen, die Europa auch technologisch souveräner macht und den Menschen eine neue, kraftvolle Idee geben kann, mit konkreten Auswirkungen auf ihr Leben?
Glauben Sie, dass das jetzt nach der Wahl von Donald Trump geschehen wird?
Ich bin Unternehmer, und als solcher will ich meinen Optimismus im Kern nicht verlieren.
Das klingt jetzt nicht sehr zuversichtlich.
Berlin und Paris haben hier eine besondere Verantwortung. Wollen wir unsere Interessen als Europäer wirksam in der Welt vertreten? Dann müssen wir geschlossen auftreten, etwa bei den zu erwartenden Zollverhandlungen mit den USA.
Mit Verlaub, uns fehlt mit Blick auf das doch zuletzt stark unterkühlte Verhältnis zwischen Paris und Berlin und der aktuellen Lähmung in Berlin der Glaube an eine zeitnahe kraftvolle Zusammenarbeit.
Ich teile Ihre Einschätzung, dass beide Seiten ihre europapolitische Rolle seit Langem viel zu wenig wahrgenommen haben. Berlin glaubt, Frankreich will die EU nach französischem Vorbild formen. Frankreich sieht Deutschland als knausrigen Blockierer wichtiger, auch militärischer Großprojekte. Aber gemessen an dem, was mittlerweile auf dem Spiel steht, sind die Differenzen zwischen Paris und Berlin doch kleines Karo. Die großen Fragen, die wir gemeinsam beantworten müssen, sind doch: Werden unsere Kinder noch in Freiheit und Wohlstand aufwachsen? Und können wir Aggressoren abschrecken, auch angesichts konkreter nuklearer Bedrohung?
Sie betonen schon zum zweiten Mal auch die nukleare Abschreckung. Reicht der Schutz durch die Nato nicht?
Die Nato-Mitglieder Frankreich und Großbritannien haben eine gewisse Zahl nuklearer Waffen. Wir sind mit der sogenannten nuklearen Teilhabe in die US-Fähigkeiten hierzulande eingebunden. Global gesehen sind Russland und Nato nuklear auf Augenhöhe. Aber hier muss man konkreter hinsehen. Uns stehen in Kaliningrad, quasi vor unserer Haustür und schnellstens einsetzbar, 500 taktische Nuklearwaffen auf Iskander Mittelstreckenraketen gegenüber, auf die Russland auch immer wieder öffentlich hinweist. Die geplante Stationierung amerikanischer Tomahawk-Raketen ist sehr wichtig, aber die sind nach meiner Kenntnis nicht nuklear zu bestücken.
Was ist die Alternative?
Wir müssten mit Frankreich deren „Force de Frappe“ gemeinsam verstärken und dadurch einen noch besseren Schutz bekommen. Ich betone dies deshalb so nachdrücklich, da glaubwürdige Abschreckung durch solche Waffen genau deren Einsatz verhindert. Das war eine der großen Lehren aus dem Kalten Krieg. Natürlich verbunden mit permanenter Diplomatie. Wir brauchen deutlich mehr europäische Souveränität.
Aber wie soll nun das gelingen, was Jahrzehnte versäumt wurde?
Bisher war ein bisschen Krise, jetzt ist richtig Krise – für jeden erkennbar. Und Krise bedeutet hoffentlich Wendepunkt.
Ihre Betonung liegt auf „hoffentlich“…
… ich verstehe, dass Sie skeptisch sind und bleiben. Dann lassen Sie es mich anders versuchen: Wir haben mindestens ein großes, erfolgreiches und schlagkräftiges europäisches Projekt hervorgebracht, nämlich Airbus. Das ist doch schon mal eine gute Basis und sollte Mut machen für mehr.
Aber ausgerechnet der Verteidigungssparte von Airbus geht es nicht gut, sie muss restrukturiert werden. Dabei müssten die europäischen Regierungen doch bei Ihnen angesichts der aktuellen Lage als Kunden Schlange stehen.
Die Kunden fordern mehr Innovation und Leistung zu geringeren Kosten. Als Konsequenz müssen wir unsere Prozesse und Strukturen anpassen, auch um Produktentwicklungen zu beschleunigen. Wir sprechen übrigens sehr konstruktiv mit unseren Sozialpartnern darüber.
Es ehrt Sie, dass Sie auch Probleme bei Airbus sehen, aber es ist doch auch ein Thema der Politik. Nur wenn es ausreichend Aufträge gibt, lassen sich Produktion und Angebot skalieren und es gibt dauerhaft ausreichend finanzielle Mittel für Innovationen.
Genau diese Skaleneffekte fehlen bei der Luftverteidigung in Europa derzeit noch. Die europäischen Staaten tätigten bislang fast 80 Prozent ihrer Rüstungsinvestitionen außerhalb von Europa, vor allem in den USA. Dass sich das ändert, daran müssen wir gemeinsam arbeiten. Wir brauchen deshalb Planungssicherheit für neue Entwicklungen und zum Erhalt der Kapazitäten.
Europaweit liegen die kumulierten Verteidigungsbudgets inzwischen immerhin bei 350 bis 400 Milliarden Euro. Warum fehlen Airbus etwa beim Kampfjet Eurofighter und beim Militärtransporter A400M Anschlussaufträge? Überzeugen die Produkte nicht?
Im Gegenteil. Der Eurofighter wurde bereits über 600-mal ausgeliefert und zeigt sich etwa bei Großmanövern oder bei den vielen Patrouilleneinsätzen sehr gut und zuverlässig. Er wird weiterentwickelt, wir erwarten neue Aufträge. Das Transportflugzeug A400M beweist immer wieder seine Leistungsstärke, etwa bei Evakuierungseinsätzen.
Unser Tankflugzeug A330MRTT ist technologisch führend, besser als sein amerikanisches Pendant. Aber die Verteidigungssparte von Airbus ist in der Vergangenheit bei der Auftragsvergabe, insbesondere im Vergleich zum amerikanischen Wettbewerb, benachteiligt worden. Das hatte nicht zwingend mit den Produkten selbst zu tun und darf so nicht weitergehen.
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Wirklich? Als wir uns vor 18 Monaten letztmals trafen, haben Sie gesagt, dass die europäische Rüstungsindustrie zu kleinteilig ist für große militärische Projekte. Aber die Politik bestellt weiter gern im Ausland und die Industrie konsolidiert nicht.
Ja, beide Seiten müssen hier noch weitere Hausaufgaben machen, auch im Space-Bereich. Aber der Vorwurf, dass nichts passiert, stimmt nicht. Die großen und komplexen Systeme wie GCAP, das britisch-italienisch-japanische Programm zur Entwicklung eines Luftkampfsystems, oder FCAS, das deutsch-französisch-spanische Pendant, zeigen doch, dass internationale Kooperationen nötig und möglich sind. Wir bei Airbus wollen FCAS zum Erfolg führen.
Andererseits arbeiten der französische Rüstungskonzern Dassault und Airbus unabhängig voneinander an einer Begleitdrohne für Kampfflugzeuge. Das zeugt nicht von einem gemeinsamen Vorgehen.
Es geht um Begleitdrohnen, die national kurzfristig verfügbar sein sollen, weil die Luftwaffen sie benötigen. Sie stehen nicht in Konkurrenz zum FCAS-Programm. Wichtig ist, dass beide dort später technisch integriert werden können.
Teuer ist auch der Zugang zum All. Gerade zeigt Elon Musk mit seiner wiederverwendbaren Rakete, wie die Zukunft aussehen könnte. Währenddessen beklagen in Europa die Firmen im sogenannten New-Space-Bereich einen Mangel an Risikokapital und an Aufträgen der öffentlichen Hand. Haben wir noch eine Chance in diesem zukunftsträchtigen Segment?
Klar gibt es Chancen für Europa. Gute unternehmerische Projekte finden auch hier eine Finanzierung. Das deutsch-französische Start-up Exploration Company etwa, das an der Entwicklung der Nasa-Frachtkapsel Orion mitwirkt, hat gerade viele Millionen Euro eingesammelt. Aber es stimmt, dass es noch zu wenige Projekte wie dieses oder Isar Aerospace oder Okapi an der TU Braunschweig gibt.
Warum ist das so?
Im Bereich Space hatten wir in Europa über längere Zeit keine großen Pläne und Ordervolumen, weder für den Zugang zum All noch für leistungsfähige Satellitenkonstellationen, geschweige denn für eine diesbezüglich starke Industrie. Dieses Manko haben wir bei Airbus schon vor Jahren öffentlich thematisiert. Bekanntlich gab es in den USA und in China schon lange eine solche Strategie, die mit enormen staatlichen und später auch privaten Mitteln verfolgt wurde.
Das gilt für das Thema Raumfahrt. Aber muss Europa nicht bei Hochtechnologie insgesamt, auch Deeptech genannt, fürchten, den Anschluss zu verpassen und abhängig von anderen zu werden?
Wir haben hier in der Tat zwei große Probleme. Das eine ist ein strukturelles. Nur ein Beispiel: Viele Hochschulen haben immer noch in ihrer Satzung festgelegt, dass sie nicht an Themen forschen dürfen, die der Rüstungsindustrie dienen könnten. Dabei wissen wir längst, dass es jede Menge Synergien zwischen der zivilen und militärischen Entwicklung gibt. Dazu kommt: Wir sind in der Breite noch nicht gut beim Transfer von Wissenschaft in die unternehmerische Welt.
Und das zweite Problem?
Ist ein kulturelles. Als ich vor vielen Jahren eine Firma gegründet habe, bin ich von meinem Umfeld noch lange danach ironisch gefragt worden, ob ich den Unfug immer noch mache oder mich nicht besser einer Karriere in einem großen Unternehmen zuwenden wolle. Ähnliches berichtete mir eine kluge Gründerin neulich. Wen wertschätzen wir eigentlich besonders in unserer Gesellschaft? Wer sind unsere gesellschaftlichen Vorbilder? Wir feiern viel zu wenig die Unternehmerinnen und Innovatoren, die für ihre großen Ideen kämpfen.
Geht das ein wenig konkreter?
Nehmen Sie die US-Behörde für Forschungsprojekte in der Verteidigung, Darpa. Sie verfügt über ein jährliches Budget von vier Milliarden Dollar. Damit wird nicht nur Forschung im Verteidigungsbereich finanziert, sondern indirekt auch relevante Technologien für zivile Felder. Wir in Deutschland haben beispielsweise die Agentur für Sprunginnovationen. Das Budget beträgt jährlich rund 200 Millionen Euro. Es ist nicht nur eine Frage des Geldes, aber es ist eben auch eine Frage des Geldes. Wir sind in Deutschland bei Innovationsförderung ziemlich stehen geblieben.
Ist das ein Plädoyer für Staatshilfe bei sogenannten Deeptech-Unternehmen, wie sie dem Luftfahrtunternehmen Lilium jetzt gerade verweigert wurde?
Ich kann und möchte keinen Einzelfall kommentieren. Grundsätzlich meine ich, dass es nicht die Aufgabe des Staates ist, einzelne Unternehmen direkt zu subventionieren. Der Staat muss strukturell fördern und das große Ganze im Blick haben, etwa die Forschung an Wasserstoffantrieben unterstützen. Oder die Entwicklung von KI-Anwendungen für die öffentliche Verwaltung. Und gegebenenfalls als Anschub-Auftraggeber fungieren. Weil ein junges Unternehmen dann im Gegenzug etwas liefern muss, um Geld zu verdienen, mit diesen Aufträgen in der Tasche aber auch leichter an private Finanzierung kommt.
In welchen anderen Hochtechnologien hat Europa denn noch Chancen?
Da gibt es sicher mehr, als wir hier aufzählen können. Nehmen Sie zum Beispiel Kernfusion oder Quantensensorik. Auch Airbus als Wegbereiter des nachhaltigen Fliegens sollte erwähnt werden. Europa hat Stärken auch in den Bereichen Biotech und Life-Science, auf Forschungsebene bei Künstlicher Intelligenz und allgemein in der Informatik. Wir haben in Europa mehr als fünf Millionen Informatiker mit einer sehr guten Ausbildung. Wenn wir die Bürokratie reduzieren, den Europäischen Binnenmarkt vollenden und noch viel mehr Lust am Gründen, an der Arbeit allgemein und an der unternehmerischen Innovation erzeugen, kann uns alles gelingen. Denn unterm Strich lebt es sich nirgendwo besser als hier.
Herr Obermann, vielen Dank für das Interview.
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