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"Jung von Matt sind nun mal nicht die Rolling Stones"

Anlässlich seines 15-jährigen Jubiläums an der Spitze von Jung von Matt gibt Agenturvorstand Peter Figge eines seiner seltenen Interviews. Er erzählt, wie er einst als umstrittener Neuzugang startete und er begegnet dem Vorwurf, dass es bei Jung von Matt noch nie so viel Machtkonzentration bei einer Person gab wie unter ihm.

Jean-Remy von Matt hat mal gesagt, er musste um keine Frau so hart kämpfen wie um Sie als Agenturchef. Warum haben Sie sich damals so geziert?
Ich hatte bei Tribal DDB eine tolle Zeit. Die Agentur lief gut und war in fünf Jahren von 40 auf über 250 Mitarbeitende gewachsen. Wir waren kreativ, innovativ, profitabel und ich war unternehmerisch beteiligt, was es bei Networks nur selten gibt. Ich war sehr zufrieden und konnte mir einen Wechsel erst mal nicht vorstellen. Zumal Jung von Matt in der Digital-Bubble damals nicht gerade als die Agentur galt, zu der man unbedingt gehen wollte.

Was hat Sie am Ende umgestimmt – die Mehrheit der Anteile und die damit verbundene Macht?
Nicht zuletzt an der Verdoppelung unseres Umsatzes in den letzten 15 Jahren sieht man, das ich vor allem ein unternehmerisch denkender und handelnder Mensch bin. Den Reiz einer Aufgabe habe ich noch nie an Anteilen, Vorstandstiteln oder Macht festgemacht.

Sondern?
Mich haben mehrere Dinge gereizt. Die Zusammenarbeit mit wahnsinnig kreativen Menschen, die unternehmerische Freiheit, die Unabhängigkeit, das Commitment und die Weitsicht der Gründer. Die beiden haben mir gesagt, sie waren die Richtigen, um Jung von Matt da hinzubringen, wo es stand – und ich der Richtige für den nächsten Schritt. Ein besonders bewegender Moment war, als mir Holger Jung zu meinem Start sein JvM-Amulett gab, das er immer getragen hatte, und sagte: "Mach was draus."

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Dass Sie der Richtige für Jung von Matt sind, wurde zu Beginn nicht von allen Expertinnen und Experten so gesehen. Zu wenig kreativ, kulturfremd, zu "networkig". Hat Sie das geärgert?
Ja. Aber ich habe mich davon nicht irritieren lassen und bin meinen Weg gegangen. Ich bin ein positiv gestimmter und resilienter Mensch. Für mich war wichtig, was Holger und Jean-Remy denken – und die waren davon überzeugt, dass ich der Richtige bin. Die Kritik von anderen geht auf den Rolling-Stones-Moment zurück: Man will bei einer Ikone kein neues Bandmitglied. Aber wir sind nun mal nicht die Stones.

Welche Rolle spielen die beiden "Bandgründer" heute noch?
Emotional haben sie noch viel mit der Agentur zu tun. Beide sind immer für uns anspielbar. Holger als Ratgeber und Unternehmer, Jean-Remy als kreativer Neurochirurg. Beide sind superinteressiert an der Zukunft. Aber operativ spielen sie keine Rolle mehr. Das ist auch gut und richtig so.

Zurück zu Ihnen: Ein anderes Etikett, das Ihnen zum Start aufgeklebt wurde, war "Digitalexperte".
Das habe ich nie so richtig verstanden. Ich kam aus kreativen Agenturen. Natürlich fand ich digitale Themen früher als andere sehr spannend. Aber nicht von der technologischen Seite, sondern wegen der neuen Möglichkeiten für die Kommunikation. Zu Beginn hatte ich noch das Bedürfnis zu erklären, dass ich mehr als ein Techie sei. Irgendwann habe ich es gelassen. Es hat Jung von Matt in seiner Zuspitzung und Einfachheit an der einen oder anderen Stelle sogar geholfen.

Sehen Sie sich selbst als kreativen Menschen? Oder könnten Sie auch in einer ganz anderen Branche arbeiten?
Ich liebe kreative Lösungen und kann in einer Agentur die meiste Wirkung entfalten. Gleichzeitig habe ich es aber schon immer abgelehnt, Kreativität mit TV-Spots gleichzusetzen. Ich arbeite mit großer Leidenschaft in unserer Branche und löse gerne Probleme für Kunden mithilfe von kreativen Lösungen. Ich habe auch kein Problem mit der Sichtweise, dass Dienstleistung von dienen und leisten kommt. Wenn man die Zusammenarbeit mit Menschen und Kunden nicht mag, gibt es wahrscheinlich bessere Wege, um reich zu werden.

Apropos reich werden: War eigentlich von Anfang an klar, dass Sie die Mehrheit bei Jung von Matt übernehmen?
Es war klar, dass ich unternehmerische Gestaltungs- und Beinfreiheit haben werde. Sonst hätte ich es nicht gemacht.

Sie halten die Mehrheit an der Firma, die mit Abstand größter Anteilseigner der Jung von Matt AG ist. Noch nie hatte eine einzelne Person dort eine so starke Stellung wie Sie. Gleichzeitig beschwören Sie die Partnerkultur. Wie passt das zusammen?
Es geht als erster Nachfolger nach dem Gründerduo um Gestaltungsfreiheit. Dazu gehörte auch die 2010 bei meinem Einstieg angekündigte Etablierung einer Partnerführung. Ohne die Kollegen, vor allem die jungen Talente und Leistungsträger, ist der Laden nichts wert. Das kann ihnen jeder Unternehmens- und M&A-Berater bestätigen. Die größte Macht liegt immer bei der nächsten Generation.

Na ja, es gab lange Zeit ein mehrköpfiges Vorstandsgremium bei Jung von Matt. Heute sind Sie Alleinvorstand.
Meine Gesagt-Getan-Quote ist ziemlich hoch. Ich habe immer angekündigt, dass sukzessive weitere Partner:innen an JvM beteiligt werden. Und genau das passiert. Und das dauert. Ein partnergeführtes Unternehmen muss Routinen ausbilden, wer und wie man Partner:in werden kann. Vor allem, wenn man aus einer gründergeführten Kultur kommt. Wenn hier lauter Leute säßen, die denken, der Figge macht eh alles alleine, wären die doch längst weg.

Ist es aus Ihrer Sicht denn ausreichend gelungen, andere Leute zu profilieren?
Wir sind auf dem richtigen Weg und haben viele anerkannte und bekannte Personen für die unterschiedlichen Themenfelder. Trotzdem geht es bei Jung von Matt in erster Linie ums Produkt, gerade aus internationaler Perspektive, wo nur Leistung zählt. Wir haben also generell eine nicht so starke öffentlichkeitswirksame Fixierung auf Personen.

Das war auch mal anders, vor allem in der Kreation. Braucht eine Agentur wie Jung von Matt nicht einen oder eine CCO?
Das heutige Jung von Matt braucht jedenfalls nicht die Wiederholung von alten Lösungen. Wir brauchen herausragende und führungsstarke Kreative. Die haben wir.

Suchen Sie nach dem Experiment mit einer kreativen Doppelspitze aktuell denn nach einer neuen Lösung?
Wir haben gelernt – und das ist fast schon eine Binse – dass das Thema "Lateral Hiring", also Leute von außerhalb in solche Positionen zu bringen, für uns heute nicht mehr gut funktioniert. Wenn man ein so kulturgetriebenes und partnergeführtes Unternehmen ist wie wir, muss man organisch wachsen und Lösungen von innen heraus entwickeln.

Sie selbst waren ja auch ein "Lateral Hiring". Das hat funktioniert. Bei anderen wie Thomas Strerath nicht. Warum?
Es gab eine klare Motivation, warum wir ihn geholt haben. Genauso wie bei Larissa Pohl oder Daniel Schäfer und Szymon Rose. Sie alle haben ihren Beitrag geleistet und die Agentur weitergebracht. Aber wir haben wie gesagt gelernt, dass es mit Leuten von außen nicht so gut klappt. Man muss bei Jung von Matt ganz nah dran am operativen Geschäft und den Leuten sein.

Wie bewerten Sie Ihren eigenen Beitrag zum Gelingen von Jung von Matt? Was ist durch Sie besser geworden?
Der Übergang von einer gründer- zu einer partnergeführten Agentur, die Entwicklung von einer klassischen Werbeagentur zu einer Agentur mit digitaler Denke, sowie der Wandel von traditioneller Werbekreation hin zu kanalunabhängigen Lösungen. Desweiteren hieß es die Agentur von einer Ideenschmiede zu einem "Trusted Advisor" zu entwickeln und dabei die Kreativkultur zu erhalten, die Expansion von einer deutschsprachigen Agentur zu einer internationalen Agenturgruppe mit Hub-Struktur zu fördern und den Wechsel von wettbewerbsorientierter Arbeitsweise hin zur Kollaboration zu vollziehen. Das alles wäre ohne wirklich starke Teams nicht möglich gewesen. Und wenn ich eines wirklich kann, dann ist es das: starke Teams bauen.

Sehen Sie sich eher als interner Manager oder als oberster Kundenberater?
Wenn ich nicht mehr mit und für Kunden arbeite, geht irgendwann die Fähigkeit verloren, glaubwürdig eine Agentur zu führen. Man braucht die Rückkoppelung zum operativen Geschäft. Holger Jung hat immer gesagt, ab und an muss man den einarmigen Fliesenleger geben und zeigen, dass man es noch kann. Aber natürlich ist ein wesentlicher Teil meiner Aufgabe, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass unsere Leute ideal arbeiten können.

Worauf sind Sie besonders stolz?
Auf die vielen Menschen, die gekommen und geblieben sind. Und natürlich auf die Partner. Besonders stolz macht mich, wie wir vor zehn Jahren den Verlust des Mercedes-Etats bewältigt haben. Das war die größte unternehmerische Herausforderung in der Geschichte von Jung von Matt.

Stand die Existenz der Agentur damals auf der Kippe?
Es war der größte Verlust der Agenturgeschichte. Wir haben uns noch in der Nacht am Flughafen zusammengesetzt und alles durchgerechnet. Ergebnis: Wir können das überleben, aber es wird hart und braucht einen gewaltigen gemeinsamen Kraftakt – und unternehmerische Verantwortung.

Sie mussten damals weit über 100 Stellen streichen.
Der neue Betreuer brauchte natürlich gute Leute, das hat uns geholfen. Einige haben wir selbst weiterbeschäftigt, zumal wir noch eine ganze Weile für Mercedes tätig waren. Außerdem wurden wir nach und nach für weitere Automarken aktiv. Bei Springer & Jacoby war der Mercedes-Verlust der Anfang vom Ende, bei uns der Beginn einer Wiedergeburt. Wir waren danach jünger, digitaler und internationaler. Als ich zu Jung von Matt kam, hatten wir 600 Leute, heute sind es 1400. Daran sieht man einmal mehr: Wir alle überschätzen die kurzfristigen Effekte von Entscheidungen und unterschätzen die langfristigen.

Was ist denn aus Ihrer Sicht die größte Veränderung bei Jung von Matt in den 15 Jahren, die Sie jetzt da sind?
Starke Marken haben ambivalente Herausforderungen. Sie müssen den Kern bewahren und sich deswegen gleichzeitig ständig neu erfinden. Wenn man jedem Trend hinterherrennt, steht man bald für nichts mehr. Aber wenn man stur ist wie Kaiser Wilhelm, der nicht ans Automobil glauben wollte, sondern an schnellere Pferde, verpasst man die Weiterentwicklung. Für Jung von Matt gilt: Wir haben ein klares Profil und ein klares Wirkversprechen. Wir schaffen Momentum und glauben an die Kraft des Unerwarteten. Aber wir tun das heute so vielfältig, digital und international wie nie zuvor.

Mir scheint, Agenturen steht die größte Veränderung erst noch bevor. Durch KI ändert sich das Geschäftsmodell. Viele Arbeiten, die Sie heute noch machen, wird die Technik übernehmen – mit entsprechenden Konsequenzen für Erlösquellen und nicht zuletzt Arbeitsplätze.
Man muss KI sehr ernst nehmen. Der Buchdruck hat dazu geführt, dass mehr Wissen verteilt wurde. Das Internet hat uns mehr Zugang zu Informationen gegeben. Bei generativer KI werden zum ersten Mal eigenständig Inhalte generiert. Das ist ein großer Unterschied, den man wie gesagt sehr ernst nehmen muss. Ich sage aber auch: Kreativität wird keine Commodity.

Was macht Sie da so sicher?
Weil Kreativität mit Dingen zu tun hat, die emotionaler Natur sind. Deswegen ist sie in gewisser Weise unkopierbar. Ich glaube an den Satz, dass wir nicht durch KI ersetzt werden, sondern von Menschen, die besser mit KI umgehen können.

Und wie wollen Sie in Zukunft Geld verdienen, wenn viele Aufgaben wegfallen?
Natürlich wird sich das Geschäftsmodell weiterentwickeln. Aber wir werden in Zukunft immer noch Geld mit Kreativität verdienen. Allerdings wird es andere Qualifikationen und Aufgaben geben. Unsere Arbeit wird in Zukunft noch anspruchsvoller, weil abstrakter. Viele handwerkliche und Umsetzungsschritte, die früher selbstverständlich von Agenturen erledigt wurden, werden von der Maschine übernommen. Da darf man sich nichts vormachen. Aber die Ursprungsfrage, wie man mit einer kreativen Idee ein Businessproblem löst, die wird bleiben.

Bleiben ist ein gutes Stichwort: Sie werden Ende Oktober 60 Jahre alt. Wie lange wollen Sie noch an der Spitze von Jung von Matt stehen?

Mit der Partnerführung mache ich mir seit meinem Einstieg bei JvM Gedanken darüber, wie eine Nachfolgelösung aussieht. Das tut jeder verantwortungsbewusste Unternehmer. Gleichzeitig gilt: Ich habe großen Spaß an dem, was ich tue. Ich halte es mit der Devise, dass man so lange bleiben sollte, wie man Mehrwert stiftet – und gehen, wenn man das nicht mehr tut. Wir bringen Schritt für Schritt die nächste Generation in Verantwortung.

Ist ein Verkauf der Agentur früher oder später auch eine Option?

Diese Frage gibt es, seitdem es Jung von Matt gibt. Mich begleitet sie jetzt seit 15 Jahren. Wir sind und bleiben unabhängig. Es gibt nur eine Frage, die uns antreibt: Wie werden wir noch besser? Wenn die Partner irgendwann zu der Überzeugung kommen, dass dafür eine andere Inhaberkonstellation erforderlich ist, müsste man das Thema neu diskutieren. Ehrlich gesagt sehe ich das aber nicht.

Haben Sie einen bestimmten Ausstiegszeitpunkt für sich definiert, wo definitiv Schluss sein soll?

Nein, das wäre auch nicht richtig, weil es künstlich Druck aufbaut. Ich bin aber kein klassischer Workaholic und habe auch andere Interessen in meinem Leben. Meine Aufgabe ist es, der nächsten Generation zu helfen, in die gruppenübergreifenden Führungsaufgaben hineinzuwachsen. Wenn ich heute aufhören würde, fänden das die meisten Partner:innen wahrscheinlich doof. Aber bestimmt auch, wenn ich in fünf Jahren immer noch dieselben Aufgaben übernehme wie heute.

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