Karen Heumann: Dieses Führungsprinzip änderte alles für die Werbeikone
Ihr wichtigstes Führungsprinzip lernte Werbeikone Karen Heumann auf einer Baustelle. Ihr Lehrmeister: ein französischer Maurer. Ein Protokoll über den Moment, der für sie alles änderte.
Monsieur Gonzales war Maurer. Aber eigentlich war er eine Art Steinguru. Wir restaurierten in der Provence unser Familienhaus, ein altes Bauernhaus, während meines Studiums dort. Und ohne dass er es wusste, brachte Monsieur Gonzales mir etwas über Führung bei, was mich fürs Leben prägte. Als ich nämlich eines Tages auf die Baustelle kam, hatte er in der Küche eine große Nische in die Wand geschlagen. Oben gerundet und sehr prominent. „Was ist das denn?“, fragte ich irritiert. „Mon amie“, antwortete er mit größter Selbstverständlichkeit, die Nische sei doch für die Madonna. Die gehöre in jedes Haus.
Wir hatten keine Madonna. Aber was er sagte, leuchtete mir spontan ein. Und das, obwohl ich damals in der Uni gerade Unternehmensführung belegte. Da ging es hauptsächlich um Optimierung, Nischen jedweder Art waren nicht vorgesehen. Der Chef gibt vor, wie es geht, der Rest führt es effizient aus. Aber ich lernte: Das bringt oft nicht die besten Ergebnisse. Nicht, wenn man auf Menschen trifft, die richtig gut in ihrer Sache sind. Dann gilt das Gonzales-Prinzip: Gute Leute muss man machen lassen. Sie müssen vorkommen dürfen in dem, was sie schaffen. Das bringt das Besondere, Bessere in die Welt.
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Monsieur Gonzales und andere der französischen Virtuosen gaben mir das Vertrauen, dass es toll werden wird, wenn man Könner machen lässt und sie nicht einengt. Der wortkarge Olivenbaumschneider, der immer wieder einen Schritt zurücktritt, minutenlang den Baum erfasst, hier und da schneidet und wieder schaut – am Ende muss eine Schwalbe durch das Astwerk fliegen können. Wie, das sieht nur er. Würde ich ihm sagen, eine andere Silhouette gefiele mir besser, würde er gehen und nicht wiederkommen.
Nach kurzer Zeit liebten alle die Nische von Monsieur Gonzales. Wir stellten ein altes Kreuz hinein, das jahrelang dort blieb. Bis es irgendwann Kochbücher wurden, für die man sich keinen besseren Platz denken könnte. Mittlerweile ist der Maurer hochbetagt verstorben. Aber das, was ich durch ihn zum ersten Mal so deutlich sah, wird immer wichtiger: Können ist Gold wert und verdient Freiheit und Respekt.
In unserer Artikelreihe erzählen Menschen aus der Wirtschaftswelt über einen entscheidenden Wendepunkt in ihrem Leben. Hier finden sie alle Beiträge der Serie „Und dann änderte sich alles...“
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