Betroffene haben das Gefühl, dass sie ihren beruflichen Erfolg nur Timing, Glück oder äußeren Umständen verdanken. - Bild: Getty Images
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Karriere „Tiefstapler sind ganz hervorragende Führungskräfte“

Menschen mit Hochstapler-Syndrom halten ihren Erfolg für Zufall. Die Folge: Stress bis zu Depressionen. Dabei können sie lernen, loszulassen und Selbstzweifel in eine Stärke verwandeln, sagt Psychologin Sonja Rohrmann.

Sonja Rohrmann ist Professorin für Differentielle Psychologie und Psychologische Diagnostik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Ein Schwerpunkt ihrer Forschungsarbeit ist das Hochstapler-Syndrom. Ihr Buch „Wenn große Leistungen zu großen Selbstzweifeln führen: Das Hochstapler–Selbstkonzept und seine Auswirkungen“ ist 2019 erschienen.

WirtschaftsWoche: Frau Rohrmann, was ist das Hochstapler-Syndrom?

Sonja Rohrmann: Betroffene haben das Gefühl, dass sie ihren beruflichen Erfolg nur Timing, Glück oder äußeren Umständen verdanken, nicht aber ihrer eigenen Kompetenz. Deshalb handelt es sich im Grunde um Tiefstapler, auch wenn landläufig vom Hochstapler-Syndrom die Rede ist. Betroffene sind trotz ihres Erfolgs und der hohen Anerkennung durch Kollegen davon überzeugt, andere zu blenden und in Wahrheit inkompetent zu sein, eine Maske zu tragen. Sie wehren Lob ab, fischen damit aber nicht nach Komplimenten. Sie wollen Erwartungen tatsächlich geringhalten, weil sie befürchten, sie ansonsten in Zukunft vielleicht nicht erfüllen zu können.

Wer ist besonders betroffen?

Das sogenannte Impostor-Konzept wurde erstmals 1978 von den Psychotherapeutinnen und Professorinnen Clance und Imes beschrieben. Sie dachten ursprünglich, dass es vor allem Frauen betrifft. Inzwischen haben aber viele Studien gezeigt, dass es keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt. Betroffen sind erfolgreiche Menschen aller Berufsgruppen, vor allem solche mit höherer Bildung.

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Wie verbreitet sind diese tiefgreifenden Selbstzweifel?

Sie sind kulturübergreifend, aber vor allem in den westlichen leistungs- und wettbewerbsorientierten Gesellschaften verbreitet. Man schätzt, dass etwa die Hälfte der erfolgreichen Menschen solche Gedanken kennt. Untersuchungen zufolge sind etwa zwei Drittel der Ärzte betroffen, besonders stark auch Studierende und Wissenschaftler.

Wie wirkt sich dies bei diesen Menschen aus?

Es kann dazu führen, dass das eigene Potenzial in Ausbildung und Beruf nicht ausgeschöpft wird. Diese Menschen meiden Aufgaben, bei denen sie scheitern könnten. Betroffene schlagen deshalb häufig Karrierechancen aus, weil sie sich für unfähig halten und verharren deshalb auf Positionen unterhalb ihres Leistungsniveaus, was sie später manchmal bereuen.

Gibt es auch Folgen für die tägliche Arbeit?

Impostor verfolgen oft zwei unterschiedliche Arbeitsstrategien. Die Perfektionisten investieren sehr viel Zeit in die Arbeit und arbeiten extrem sorgfältig. Sie sind deshalb sehr beliebte Mitarbeiter. Prokrastinierer schieben Aufgaben lange auf und arbeiten dann Tag und Nacht durch. Das Aufschieben dient quasi als Selbstschutz. Man hat dann im Fall des Scheiterns eine gute Entschuldigung, warum es gar nicht klappen konnte. Haben sie die Arbeit dann doch erfolgreich erledigt, fühlen sich Tiefstapler nur ganz kurz erleichtert. Denn den Erfolg schreiben sie der harten Arbeit beziehungsweise dem Zufall zu und bei der nächsten Aufgabe setzt wieder die Angst ein zu versagen.

Das klingt wahnsinnig anstrengend.

Die ständigen Selbstzweifel führen dazu, dass sich diese Menschen verausgaben. Die vermeintlichen Hochstapler leiden unter einer hohen Stressbelastung, aber erholen sich in der Freizeit nicht, schlafen schlecht, vernachlässigen soziale Kontakte. Das kann bis zu Burn-out und Depressionen führen.

Sie halten diese Selbstzweifel nicht für eine Krankheit, sondern eine ganz normale Charaktereigenschaft, so wie introvertiert oder extrovertiert.

Genau. Das Impostor-Konzept ist ein dimensionales Persönlichkeitsmerkmal, es kann also von sehr schwach bis sehr stark ausgeprägt sein. Es kann sich auch je nach Lebenslage verändern. Zwar gilt der Grundsatz: einmal Tiefstapler immer Tiefstapler. Aber die Selbstzweifel sind häufig besonders stark in jüngeren Jahren ausgeprägt, wenn Menschen noch am Anfang ihrer Karriere stehen. Der Effekt kann im Alter nachlassen, wenn man länger in Führungspositionen war und sich stärker auf die Mitarbeiter und weniger auf sich selbst konzentriert.

Woran merkt man, dass die Selbstzweifel ein kritisches Niveau erreicht haben?

Wenn der Leidensdruck zu groß wird, der Erfolg zu hart erkauft wird und die Work-Life-Balance nicht mehr gegeben ist, so dass Körper und Psyche zu stark belastet werden – dann sollte man etwas tun.

Wege aus der Tiefstapelei

  • **Führen Sie ein Erfolgstagebuch!**Schreiben Sie, welche Erfolge Sie bisher erreicht haben! Sie können solche Aufgaben jederzeit wieder meistern - denn Sie haben das Talent dazu.

  • Der Unterschied zwischen Gefühlen und FaktenNur weil Sie sich in gerade diesem Moment vielleicht inkompetent fühlen, sind Sie das noch lange nicht. Machen Sie sich bewusst, dass Ihre Gefühle keine Fakten sind.

  • Schweigen ist nicht immer GoldReden Sie mit Menschen, denen Sie vertrauen. Teilen Sie mit, dass Sie ängstlich sind. Sie werden auf Verständnis treffen. Und viele Dinge sind nur noch halb so schlimm, wenn man sie beim Namen nennt.

  • Seien Sie ein SportlerVersetzen Sie sich in die Lage eines Sportlers, der sich zu Beginn eines Wettkampfs vorstellt, wie er auf dem Treppchen steht und die Goldmedaille umgehängt bekommt. Stellen Sie sich vor, Sie hätten die vor Ihnen liegende Aufgabe bereits gemeistert und dass Ihnen die Leute sagen, wie gut Sie sind.

  • Seien Sie realistischKein Mensch ist perfekt. Sie nicht. Und auch Ihr Chef nicht. Vergegenwärtigen Sie sich das. Und stellen Sie realistischere Anforderungen an sich selbst.

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Was denn?

Schreiben Sie Ihre Erfolge auf: Was haben Sie während des Studiums, in der Ausbildung und im Job gut gemacht? Schätzen Sie Ihre Erfolge realistisch ein, gern auch im direkten Vergleich mit anderen und zwar nicht nur der absoluten Spitze. Tiefstapler vergleichen sich gern mit den oberen drei Prozent der Leistungsträger und fühlen sich dann schnell als Versager. Dabei ignorieren sie aber die große Masse derjenigen, die schlechter abschneiden als sie selbst.

Aber erfolgreiche Menschen orientieren sich ja nun mal eher nach oben als nach unten. Wie kann da eine schriftliche Bilanz helfen?

Tiefstapler neigen dazu, sich an die Misserfolge zu erinnern und die Erfolge zu vergessen. Gespräche sind Schall und Rauch. Deshalb bleibt Lob oft nicht hängen. Betroffene erinnern sich nach einem Vortrag vielleicht nicht an den Applaus, sondern an die beiden Versprecher, die passiert sind. Dann verallgemeinern sie: Der ganze Vortrag war schlecht. Wenn man Erfolge aufschreibt – gern einmal pro Quartal – merkt man, dass viele Gedanken verzerrt sind.

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