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Kein Schaum: Seifenwissen statt Greenwashing

Die Herstellung handwerklicher Dinge, die Schönheit und Nutzen in die Welt bringen, erleben derzeit eine Renaissance. Vielleicht funktionieren die „neuen“ Seifenstücke gerade wegen ihrer Verbindung zum Althergebrachten.

„Es ist Zeit, die Seife wieder bewusst zu kennen und schätzen zu lernen. Faktenbasiert und jenseits von Legenden“, sagt Wolfgang Frey, Autor des Buches „Die Renaissance der Seife“. Seife ist ein so selbstverständliches Produkt, dass wir kaum mehr bewusst darüber nachdenken, was sie eigentlich ist, woraus sie besteht und woraus sie hergestellt wird. In seinem Buch zeigt er, wie die klassische Seife erst flüssig werden musste, um eine Renaissance zu erleben. Es richtet sich an alle, die mehr wissen wollen über diese alltägliche Selbstverständlichkeit. Erzählt wird die Geschichte der Seife und ihrer Herstellung, aber auch die ihrer Verflüssigung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als die echten Seifen aus Fetten und Lauge durch Flüssigseifen und Duschgels verdrängt wurden. Diese wurden auf Basis synthetischer Tenside hergestellt und waren für die Industrie mit mehr Profit verbunden. Um sie besser zu verkaufen, wurde mit erdachten Narrativen gearbeitet: Festen Seife sei eine „Keimschleuder“ oder „zerstöre“ den „Säureschutzmantel“ der Haut.

Das Buch ist ein wichtiger Beitrag gegen Desinformation – es gibt Interessierten das nötige Wissen an die Hand, um verschiedene Seifen nach ihren Zutatenlisten zu beurteilen, ihre Hautfreundlichkeit zu bewerten und Werbeversprechen zu entlarven. Kritisch hinterfragt wird auch, ob Babyprodukte wirklich milder und natürlicher als Erwachsenenkosmetik ist, warum eine gute Seife auch ohne die umstrittene Substanz EDTA auskommt. EDTA ist ein Stabilitäts- und Konservierungsmittelverstärker, der in vielen Flüssigseifen, Duschgels und Shampoos enthalten ist. EDTA ist nur sehr schwer biologisch abbaubar und bindet Giftstoffe wie z.B. Schwermetalle im Wasser, die so wieder in den Nahrungskreislauf gelangen. Frey widmet sich auch der Frage, warum Desinfizieren im Alltag mehr schadet als es nützt, warum Seifenspender teilweise Keimschleudern sind und feste Seife sauberer und hygienischer ist. Im Gegensatz zu Flüssigseife enthält der Seifenbarren kaum Wasser, spart dadurch also Emissionen beim Transport und Verpackungsmaterial. Oft gibt es Seifenstücke ohne Umverpackung. Der Seifenspender dagegen enthält viel Kunststoff, und selbst wer auf Nachfüllpackungen zurückgreift, erzeugt noch zusätzlichen Müll. Während das Seifenstück in den Händen nur so lange hin- und herbewegt wird, bis die Menge Seife reicht, gibt schon ein einzelner Hieb auf den Spender weitaus mehr Flüssigseife, als zum Händewaschen nötig ist. Die Verschwendung treibt den höheren Preis für Flüssigseife noch weiter in die Höhe. Auch wenn an den Waschbecken der funktionelle Pump-Behälter in den vergangenen Jahren dominierte, so war Festseife niemals ganz verschwunden – schon gar nicht in Großbritannien, wo Marken wie Penhaligon's, Creed oder Bronnley immer präsent waren und sind. In Südfrankreich blüht die Herstellung der Marseiller Seife.                

Auf der Suche nach der wahren Natur der Seife

Seifen, wie wir sie heute kennen, gab es bereits im 7. Jahrhundert nach Christus in Aleppo. Handwerkern der Region gelang es, die bis dahin gängige Schmierseife weiterzuentwickeln. Sie verkochten Olivenöl in großen Kesseln mit Lauge und fügten Lorbeeröl hinzu. Nach dem Sieden wird die Paste auch heute noch gleichmäßig in flache Becken gegossen und auf dem Boden verteilt, wo sie erhärtet. Dann werden die Seifenblöcke von Hand geschnitten und mit einem Stempel des Herstellernamens versehen. Anschließend werden die Blöcke gestapelt und bis zu neun Monate getrocknet. Das macht sie fester, ergiebiger und lagerfähig. Dann ist die Seife an der Oberfläche ockerfarben, im Inneren jedoch weiterhin olivgrün. Theoretisch kann die Seife dann Jahrzehnte trocken gelagert werden, ohne an Qualität zu verlieren. Von Aleppo aus kamen die festen Seifenstücke zunächst zum angrenzenden Orient, dann nach Europa und schließlich in die ganze Welt. Im frühen 20. Jahrhundert gab es einen wirtschaftlichen Einbruch, weil der arabische Markt mit Massenware aus Europa geflutet wurde.  Erst mit dem Trend zu Bioprodukten und Naturkosmetik wurde die Aleppo-Seife von den Europäern wiederentdeckt. Gute Aleppo-Seife basiert auf Olivenöl und Lorbeeröl. Sie sind palmölfrei, frei von jeglichen synthetischen Stoffen und pflegend für die Haut.  Zwar duftet reine Aleppo-Seife nicht so, wie man es von Duschgel gewohnt ist (der Geruch ist eher neutral bis erdig), doch sie pflegt die Haut mindestens ebenso gut. Sie ist heute in deutschen Naturkostläden, in Bio-Läden, Reformhäusern, Apotheken und Drogerien erhältlich.

Auch Wolfgang Frey erzählt in seinem Buch die Geschichte der Seife, wie sie in welchen Regionen aus welchen Zutaten entstand, wie schmutzig das Geschäft des Seifensiedens über Jahrhunderte war, wie Fabrikanten später von Kolonialismus, Sklaverei und Zwangsarbeit profitierten und wie sie maßgeblich zur fast vollständigen Ausrottung der Großwale beitrugen. „Bis heute profitieren Seifenkonzerne von der Abholzung der Regenwälder für Palmöl und der Massentierhaltung, um die begehrten billigen Fette zur Produktion zu erhalten“, so der Autor. Wolfgang Frey arbeitete nach einem Studium der Politikwissenschaft, der Amerikanistik und der Anglistik an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main als Journalist viele Jahre für führende Medien in Deutschland, Liechtenstein und der Schweiz (u. a. für die Nachrichtenagenturen „ddp“ und „AP“, die „ARD“, „Der Spiegel“, die „NZZ am Sonntag“, der „Deutschlandfunk“ und „Radio Liechtenstein“). Zu seinen Schwerpunkten zählten dabei vor allem Wirtschaft, Börse, Politik, Proliferation sowie Finanz- und Steuerkriminalität. Neben seiner Arbeit als Journalist, Autor und Publizist hat er damit begonnen, selbst Seife herzustellen. 2015 gründete er eine eigene Manufaktur und befasst sich daneben eingehend mit der Geschichte, den Herstellungstechniken und der Chemie der Seife.  Davon zeugt nicht nur sein aktuelles Buch, sondern auch seine Webseite „seifenwissen.org“. Soziologische, politische, historische sowie wirtschaftliche Gegebenheiten und Interessen werden stets mitgedacht.  

Feste Seife hat etwas Selbstverständliches und Allgegenwärtiges. „Halb Hollywood machte Reklame für Seifen in Zeitschrifteninseraten und Fernsehspots. Doch dann erfand die Chemieindustrie synthetische Tenside, die erst in Waschmitteln eingesetzt wurden und dann Duschgels möglich machten“, schreibt Frey. Zwar waren sie wenig hautfreundlich, „doch eine kluge Marketingstrategie machte sie hoffähig.“ Zudem existieren zahlreiche Eigenlabels oder Werbeclaims, deren Aussagekraft nicht immer belegt ist. Die Herausforderung besteht darin, die Qualität eines Siegels zu erkennen – und zwischen Marketingmaßnahme und geprüfter Nachhaltigkeit zu unterscheiden. Frey stellt in seinem Buch einfache, alltagstaugliche Kriterien vor, um zwischen echten und oberflächlichen Nachhaltigkeitsversprechen zu unterscheiden. Trotz politischer Initiativen wie der EU-Green-Claims-Verordnung verwenden viele Marken Nachhaltigkeitsbegriffe noch immer ohne eindeutige Nachweise. Das führt in der Praxis führt häufig zu Unsicherheit und erschwert es Verbrauchern, echte Nachhaltigkeit von bloßem Marketing zu unterscheiden.

Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft

Klassische feste Seifen, die aus natürlichen Zutaten bestehen, lassen sich entsprechend leicht und kreislauffähig abbauen. Die Inhaltsstoffe sollten am besten Bio sein. Gute Naturseifen sind aus hochwertigen, pflegenden Ölen wie zum Beispiel Olivenöl und natürlichen ätherischen Ölen gemacht. Greenpeace rät zu zertifizierter Naturkosmetik, die frei von Mikrokunststoffen ist. Da der Begriff Naturkosmetik rechtlich nicht definiert und geschützt ist, sind vertrauenswürdige Siegel umso wichtiger. Um sich abzugrenzen und den Markt für Verbraucher transparent zu halten, haben sich die fünf großen deutschsprachigen Naturkosmetikmarken 2008 zusammengeschlossen: Weleda, Logona, Lavera und Primavera gründeten das Siegel NaTrue, das neben Ecocert und dem BDIH zu den wichtigsten in Europa gehört. Eine Mindestbedingung ist, dass die Inhaltsstoffe natürlichen Ursprungs sein und 75 Prozent einer Naturkosmetikserie zertifizierbar sein müssen.

Ein wichtiger Hebel für echte Nachhaltigkeit liegt auch in der Stärkung lokaler Wirtschaftskreisläufe. Regional produzierende Manufakturen und Unternehmen sorgen nicht nur für kürzere Lieferwege, sondern häufig auch für faire Arbeitsbedingungen, höhere Produktionsstandards und eine bessere Rückverfolgbarkeit von Materialien. Lokale Einkäufe unterstützen eine umweltfreundlichere Lieferkette und tragen aktiv zur Wertschöpfung in der Region bei. Lokale Produktion steht oft für hohe Qualitätsstandards, transparente Herstellungsprozesse und faire Bedingungen. Vor allem (Seifen-)Manufakturen geben Orientierung, schärfen die eigene Wahrnehmung und Urteilsfähigkeit, zeigen das Machbare in der Gegenwart, aber auch Wege in eine bessere Zukunft. Ihre Arbeit, die für Tradition, Können und Kreativität steht, wird von vielen Menschen wieder wertgeschätzt. Dahinter steckt nicht nur ein Trend, der Wesentliches über unsere Gesellschaft aussagt, sondern auch Einsicht in die Notwendigkeit, dass wir nur eine Zukunft haben, wenn wir sie selbst gestalten. Dazu brauchen wir eine greifbare Identität zu allem, was uns umgibt und einen unmittelbaren Bezug zur Natur.

Das Buch:

  • Wolfgang Frey: Die Renaissance der Seife. Verleumdung, Verflüssigung, Wiederkehr. Mit einem Vorwort von Martina Irzik. Verlag: Heiligkreuzer Seifenwissen, Heiligkreuz 2025.

Weiterführende Informationen:

  • https://seifenwissen.org

  • Saubere Sache: Statements gegen industrielle Massenware

  • Die neue Schaumgemeinschaft: Zero Waste im Badezimmer

  • Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Das Prinzip Nachhaltigkeit im eigenen Leben. In:  Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020, S. 71-80.

  • Zukunft Stadt: Die globale und lokale Bedeutung von SDG 11. Wie die sozialökologische Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft gelingen kann. Handlungsempfehlungen – Chancen – Entwicklungen. Hg. von Alexandra Hildebrandt, Matthias Krieger und Peter Bachmann. SpringerGabler. Berlin, Heidelberg 2025.

 

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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