Anlegen mit Chat GPT: Das Sprachmodell drängt sich mit neuen Analyseangeboten der Autorin regelrecht auf. Foto: Getty Images (2)
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KI-Depots: Was ChatGPT mir für das Portfolio rät- und was Anlage-Experten davon halten

Seit 2023 testet unsere Autorin jedes Jahr, ob sich KI zur Anlageberatung eignet. Das Sprachmodell ChatGPT klingt zunehmend von sich selbst überzeugt. Doch was taugen die Tipps?

Frankfurt. Kennen Sie die Abkürzung SABTA? Sie steht für „Sicheres Auftreten bei totaler Ahnungslosigkeit“. Menschen, die SABTA praktizieren, haben mich schon im Studium genervt. Zu allem hatten sie eine Meinung. Doch ihr Kapital ist nicht Wissen, sondern eine scheinbar grenzenlose Selbstsicherheit.

Auch die KI scheint diese Strategie entdeckt zu haben. Als ich ChatGPT 2023 zum ersten Mal um Anlagetipps bat, fielen die Antworten noch sehr zurückhaltend aus. Nun drängt sich das Sprachmodell mit immer neuen Analyseangeboten regelrecht auf – fachlich oft zweifelhaft.

Kann ChatGPT trotz fragwürdiger Logik richtig liegen? Zeit für das nächste Update: Wie haben sich meine KI-Depots nach zwei Jahren entwickelt? Wie bewerten Anlageprofis die Empfehlungen des Sprachbots – und was sagt die Finanzaufsicht Bafin dazu?

Anlagetipps von ChatGPT: Bitte nicht blind vertrauen

Als ich das Experiment vor zwei Jahren startete, lautete mein erster Prompt: „Ich habe 500 Euro und möchte möglichst schnell reich werden. Wie muss ich das Geld anlegen?“

Im ersten Versuch wollte ChatGPT kaum konkrete Empfehlungen abgeben: „Als KI-Assistent kann ich spezifische Investmentfonds oder ETFs nicht persönlich empfehlen, da ich nicht in der Lage bin, persönliche oder aktuelle Marktinformationen zu berücksichtigen.“

Bereits 2024 war die KI schneller bereit, konkrete ETFs und Aktien zu nennen. Dennoch gab es den Hinweis: „Es ist auch ratsam, mit einem Finanzberater zu sprechen, um eine maßgeschneiderte Anlagestrategie zu entwickeln.“

In diesem Jahr bekomme ich keine solchen Hinweise. Nur der allgemeine Disclaimer am Ende jedes Chats weist auf mögliche Inkompetenz hin: „ChatGPT kann Fehler machen. Überprüfe wichtige Informationen.“

Wie relevant das ist, zeigen etwa fehlerhafte Angaben zu den Kostenquoten von ETFs. Auf Nachfrage verweist ChatGPT auf „veraltete Quellen“. Der Echtzeitdatenzugriff sei nicht standardmäßig. Der „sicherste Weg“, um aktuelle Informationen zu erhalten, sei daher der Hinweis: „Bitte prüfe das live.“

Doch nicht nur mit Zahlen, auch mit Sprache nimmt es ChatGPT nicht immer genau. So schlägt der Bot als einzelnen ETF für ein 500-Euro-Depot den „Xtrackers MSCI ACWI UCITS ETF (Acc)“ (ISIN: IE00BGHQ0G80) vor, verschweigt aber, dass dieser in nachhaltige Unternehmen investiert und „ESG Screened“ eigentlich auch im Namen trägt.

Auch die Zuordnung als thesaurierender ETF, der Erträge direkt wieder anlegt, oder als ausschüttender Fonds gelingt nicht immer.

Beginnt jetzt eine echte Anlageberatung?

Trotz Wissenslücken und Recherchefehler mimt der KI-Bot den vermeintlich zuverlässigen Berater. Nachdem er fünf Aktien genannt hat, die „auf aktuellen Marktanalysen basieren und Chancen für kurzfristige Gewinne bieten“ sollen, bietet er an: „Für eine individuelle Beratung und weitere Informationen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.“

Dafür soll ich Angaben zu Anlageziel, Risikobereitschaft, Investitionsvolumen, Erfahrung mit Aktien und Finanzinstrumenten, Anlagehorizont und Liquiditätsbedarf sowie meinem steuerlichen Wohnsitz machen.

Um ChatGPT zu testen, gebe ich an, dass ich das Geld für meine Altersvorsorge – also mehr als zehn Jahre – anlegen möchte, eine hohe Risikobereitschaft habe, 10.000 Euro investieren möchte, in meiner Erfahrung fortgeschritten bin, keinen Liquiditätsbedarf habe und in Deutschland steuerpflichtig bin.

Die Empfehlung lautet: Nvidia, ASML, Tesla, Palantir und Brookfield Renewable – vier Tech-Aktien und ein Unternehmen aus dem Bereich erneuerbare Energien. Als alternative Strategie nennt der Bot eine Mischung aus den fünf Einzeltiteln plus drei Themen-ETFs: iShares Global Clean Energy (ISIN: IE00B1XNHC34), L&G Artificial Intelligence ETF (ISIN: IE00BK5BCD43) und den VanEck Semiconductor ETF (ISIN: US92189F6768).

Das nächste Angebot folgt sogleich: „Wenn du möchtest, kann ich dir auch eine beispielhafte Portfolio-Aufteilung mit konkreten Kaufbeträgen für die 10.000Euro machen – sag einfach Bescheid!“ Ich möchte – und erhalte eine Übersicht mit einer genauen Gewichtung.

Dann schlägt ChatGPT vor, wie ich monatlich weitere 100 Euro in die Aktien und Fonds investieren könnte, gibt eine Projektion für die Wertentwicklung und eine Anleitung, wie ich bei Trade Republic Sparpläne einrichte.

Auf den ersten Blick bin ich beeindruckt – schon wegen der Fülle an Informationen. Und weil ChatGPT stets an den nächsten Schritt zu denken scheint.

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Muss die Bafin Anlageberatung durch KI freigeben?

Doch was macht ChatGPT da eigentlich? Ist das Anlageberatung? Braucht es dafür eine Erlaubnis der Bafin? Ich frage bei den Finanzaufsehern nach.

„In ihrer aktuellen Form gleichen die Aussagen von ChatGPT eher einem Geldanlage-Sachbuch oder einer Website, auf der man einige wenige persönliche Parameter hinterlegt und dann ein Muster-Portfolio erhält“, sagt Jens Münzer, der sich bei der Bafin mit der Verfolgung verbotener und unerlaubt betriebener Geschäfte beschäftigt.

Gegen eine erlaubnispflichtige Anlageberatung spreche zum Beispiel, dass ChatGPT nicht als Tool zur Anlageberatung beworben werde, die Depotvorschläge nicht auf einer individuellen Geeignetheitsprüfung beruhten und dafür keine Gebühren fällig würden. Allerdings: „Es ist immer eine Einzelfallbetrachtung, grundsätzlich wäre es schon denkbar, dass KI zur Anlageberatung eingesetzt wird“, sagt Münzer.

ChatGPT investiert prozyklisch

Formal habe ich also keine Anlageberatung bekommen. Aber inhaltlich? Sind die Vorschläge brauchbar? Bei genauer Betrachtung schwindet meine Begeisterung. Die Brookfield Renewable-Aktie und den Halbleiter-ETF kann ich mit den von ChatGPT genannten ISINs gar nicht handeln.

Auf Nachfrage schlägt die KI vor, statt der Brookfield-Aktie den Anteil am Energie-ETF von iShares von 15 auf 20 Prozent zu erhöhen. Beim Halbleiter-ETF erhalte ich eine alternative ISIN: IE00BMC38736. Diese funktioniert. Jetzt kann ich den Depot-Vorschlag umsetzen.

Barbara Claus, Senior Analystin bei FondsConsult, ist davon aber nicht überzeugt: „Die vorgeschlagenen Einzelaktien haben bereits einen Technologie-Fokus, wenn man zusätzlich über Themen-ETFs in Halbleiter und Künstliche Intelligenz investiert, ist das Klumpenrisiko perfekt.“ Allein der Halbleiter-ETF enthält knapp elf Prozent Nvidia-Aktien und rund zehn Prozent ASML, was sich mit den Einzelwerten doppelt.

Kritisch sieht Claus auch den Clean Energy-ETF: „Themen-ETFs sind häufig teurer als andere, bei diesem liegt die Kostenquote sogar bei 0,65 Prozent. Zusätzlich weist der ETF extrem hohe Risikokennzahlen auf und sollte daher lediglich als Portfoliobeimischung dienen.“ Hinzu komme, dass Themen-ETFs häufig prozyklisch investieren. „Sie werden meist aufgelegt, wenn einzelne Werte in einem Segment bereits gut gelaufen sind“, erklärt Claus.

Alexander Wiedemann, Vorstandsmitglied der Finanzinformation & Vermögensverwaltung AG (FIVV AG), vermisst bei ChatGPTs Depotvorschlag eine „breite Streuung über unterschiedliche Anlageklassen, Regionen, Branchen und Währungen“. „Auch bei offensiven Anlagestrategien sollten neben Aktien festverzinsliche Wertpapiere und Gold beigemischt werden“, rät er.

ChatGPT schlage vor allem solche Aktien vor, „die zuletzt eine gute Performance erzielt haben und über die viel diskutiert wurde“, sagt Wiedemann. Dieses Problem fiel schon in den vergangenen Jahren auf: Exklusive Anlageempfehlungen kann man vom KI-Bot nicht erwarten, er läuft dem Markt hinterher. Und Diversifikation bleibt für ihn ein Fremdwort.

Depot 1: ETFs auf dem Prüfstand

Doch wie sind die Depots aus meinen früheren Tests gelaufen? Mein ursprüngliches ETF-Depot mit drei Fonds hatte im ersten Jahr eine Performance von 14,5 Prozent erzielt. Im vergangenen Jahr riet mir ChatGPT dazu, einen Dividenden-ETF (ISIN:IE00B6YX5D40) zu verkaufen. Die übrigen Fonds – zwei ähnliche MSCI World-ETFs – legten in den vergangenen zwölf Monaten rund 7,5 Prozent zu.

In diesem Jahr nennt ChatGPT das Portfolio „fundamental solide“. Bei einem langfristigen Anlagehorizont bestehe „kein unmittelbarer Handlungsdruck“. Hier könnte die Antwort eigentlich zu Ende sein, doch der Bot nennt weitere Handlungsmöglichkeiten: So könne das Depot risikoärmer oder nachhaltiger gestaltet werden, ich könne Teilverkäufe in Erwägung ziehen und alternative ETFs prüfen lassen.

Nach Ansicht von Kathrin Schwan, die bei der Beratung Accenture den Bereich Data & AI im deutschsprachigen Raum leitet, zeugen solche Recherche- und Analyseangebote allerdings nicht allein vom breiten Wissen des Sprachmodells. „Gleichzeitig geht es darum, die Kommunikation fortzusetzen und den Nutzer in der App zu halten, diese Zeit ist für die Anbieter eine wichtige Kennzahl“, sagt sie.

Bei mir hat die Strategie funktioniert. Ich lasse mich zu weiteren Nachfragen verleiten. Am Ende schlägt ChatGPT vor, das bestehende Depot über ein „softes rebalancing“ langsam auf drei neue ETFs umzustellen. Ich soll sie schrittweise über Sparpläne zukaufen und die alten ETFs – unter Ausnutzung der Steuerfreibeträge – nach und nach verkaufen. Da ich in meinen Musterdepots jedoch keine Sparpläne vorgesehen habe, bleibe ich bei den ursprünglichen Fonds.

Depot 2: Buffett und Fama – Alphabet statt Airbnb

Für das zweite Depot hatte ich beim ersten Anlageexperiment nach fünf Aktien gefragt. Bei der Auswahl sollte sich ChatGPT an Starinvestor Warren Buffett und Nobelpreisgewinner Eugene Fama orientieren. Diese Vorgabe wurde jedoch ignoriert: Ein Depot aus Airbnb, Meta, Nvidia, Paypal und Qualcomm würde Buffett nie zusammenstellen, es wäre ihm zu tech-lastig. Doch die Performance nach einem Jahr war herausragend: 107 Prozent.

Ein Großteil davon ging auf Nvidia zurück: Es verbuchte mit 184 Prozent die größte Wertsteigerung und war gleichzeitig deutlich übergewichtet.

Im vergangenen Jahr hat der KI-Bot den Verkauf von Paypal – damals der einzige Depotwert mit leicht negativer Performance – empfohlen. Stattdessen sollte ich Microsoft kaufen. Mit den fünf Aktien stieg der Wert meines Depots im zweiten Anlagejahr um knapp zehn Prozent. Am schwächsten schnitten Qualcomm (minus 33 Prozent) und Airbnb (minus 15 Prozent) ab.

Jetzt soll ich Airbnb-Anteile verkaufen. Stattdessen soll ich in Alphabet investieren, denn es zeige „starke Leistungen im Bereich künstliche Intelligenz und Cloud-Services, was langfristiges Wachstumspotenzial bietet“.

Portfoliomanager Wiedemann wertet diese Empfehlung als sinnvoll: „Dank einer stärkeren Ausrichtung auf KI-Lösungen dürfte Alphabet seine Einnahmen tatsächlich steigern, während Airbnb durch strengere Vermietungsregeln gerade in mehreren Märkten unter Druck gerät.“

Allerdings: „Durch die Neuaufnahme von Alphabet fokussiert ChatGPT noch stärker auf den Tech- und KI-Sektor und lässt weiterhin Chancen in Europa außer Acht“, bemängelt Wiedemann. ChatGPT ist und bleibt eben ein US-Sprachmodell.

Depot 3: Internationales Aktien-Depot

Mit einem reinen US-Depot wollte ich mich schon vor zwei Jahren nicht zufriedengeben. „Stell dir vor, du bist ein deutscher Bankberater“, forderte ich ChatGPT damals auf. Tatsächlich erhielt ich daraufhin eine breiter diversifizierte Aktienauswahl, die zwar vollständig einer Finanz-Website entnommen war, im ersten Jahr aber eine Performance von 83 Prozent erzielte: Industrie De Nora, Paypal, Mayr-Melnhof Karton, Super Micro Computer, Palo Alto Networks und Husqvarna.

Vor einem Jahr folgte ich dem Rat, Paypal durch Nvidia zu ersetzen. Doch bis auf Nvidia und Palo Alto Networks notieren jetzt alle Papiere tief im Minus, so dass unterm Strich ein Wertverlust in Höhe von rund 31 Prozent steht.

ChatGPT empfiehlt den Verkauf von Mayr-Melnhof Karton und Super Micro Computer. Das freiwerdende Kapital soll ich auf Nvidia und Industrie de Nora aufteilen. Damit bleibt ChatGPT seiner Präferenz für Tech-Werte treu – wobei De Nora immerhin aus Italien stammt.

Gute Nachricht für menschliche Berater

Über die Ergebnisse meines dritten Anlageexperiments mit ChatGPT dürften sich vor allem Anlageberater und Investmentexpertinnen freuen. „Noch habe ich keine Angst um meinen Job“, sagt Barbara Claus. Unerfahrene Privatanleger sollten die Antworten der KI „mit Vorsicht genießen und ein gesundes Misstrauen behalten“.

KI-Expertin Schwan erwartet stetige Verbesserungen der Bot-Antworten, allerdings: „Dass sich Anbieter wie OpenAI für Anlageberatung interessieren, ist eher unwahrscheinlich. International die nötigen Lizenzen zu bekommen, wäre sehr komplex und brächte kaum wirtschaftlichen Mehrwert.“

Stattdessen rechnet Schwan mit einem verstärkten Einsatz von KI in Finanzinstituten. „Schon heute werden Anlageberater von Sprachmodellen unterstützt, die mit den Daten der Bank trainiert wurden, künftig dürfte ihr Beitrag zum Beratungsergebnis noch steigen.“

Derweil werde ich mein Experiment fortsetzen und bin gespannt, ob ChatGPT sein Finanzwissen künftig noch weiter verbessert – oder bloß sein „Sicheres Auftreten bei totaler Ahnungslosigkeit“ perfektioniert.

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