Die nahezu unbegrenzten Möglichkeiten von KI verängstigen viele Kreative und Medienschaffende | © Getty Images

KI in der Medienindustrie: Lassen sich Arbeitsplätze retten – und wenn ja, wie?

Robust durch Krisen zu kommen wird zur Schlüsselkompetenz. Aber wie können Medien- und Kreativschaffende in dem schwierigen Umfeld künstlicher Intelligenz widerstandsfähiger werden?

Kein Grund zur Panik, tönen Arbeitsmarktexperten. Sich ja nicht verrückt machen lassen, das Potenzial in künstlicher Intelligenz erkennen – und möglichst umarmen. Trotzdem sind viele Medien- und Kreativschaffende in letzter Zeit maximal aufgeregt: Verlage testen überhastet neue Anwendungen aus, viele Kolleg:innen sind genervt vom ständigen Auf-dem-Laufenden-Halten, manche zutiefst verunsichert. Vor allem Menschen, die mit Grafik und Bild, Video- und Texterstellungen zu tun haben, fürchten um ihren Job.

Der Kreativsektor oszilliert zwischen Schwarzmalerei, Ahnungslosigkeit und erwartungsvoller Hingabe. Doch bei den meisten überwiegt wohl das mulmige Bauchgefühl, dass KI massive Flurschäden anrichten könnte.

Was bedeutet KI für die Medienindustrie? Inzwischen wissen wir, dass KI nicht nur Routineaufgaben kann, sondern auch Anspruchsvolleres erledigt. Wenn man der Maschine die richtigen Befehle zu erteilen weiß, wohlgemerkt. Und so gibt es – frei nach dem Motto „Deutschland sucht den Superprompter“ – plötzlich immer mehr KI-Jobs.

300 Millionen Vollzeitstellen könnten wegfallen

Einige Verlage und Agenturen brüsten sich mit teils exotischen Funktionsbeschreibungen. Ob „AI Prompt Crafter“, „Teamlead KI“ oder „KI-Flüsterer“: Klar ist, dass viele dieser Jobprofile aus der Not heraus geboren sind, egal ob sie sinnvoll sind oder es jemals werden. Sie dokumentieren vielmehr die flüchtigen Suchbewegungen einer Branche, deren Grundpfeiler immer mehr ins Wanken geraten, je größer der wirtschaftliche Druck wird.

300 Millionen Vollzeitstellen könnten laut einer Studie der Investmentbank Goldman Sachs in den kommenden Jahren in den USA und Europa durch KI wegfallen. Denn ChatGPT und Google Bard sind erst der Anfang. Journalismus beispielsweise gehört zur besonders bedrohten Spezies, weil er mit Denk- und Rechercheleistungen sein Brot verdient. Und so ist es wie mit allen Technologien: In den falschen Händen kann KI viel Schlechtes anrichten, nicht nur in der Arbeitswelt, sondern hinsichtlich des sozialen Zusammenhalts schlechthin.

Erstaunlich ist, dass inzwischen fast jeder mit Dall-E, Midjourney & Co. herumgespielt und stolz ausprobiert hat, wie sich darüber Texte oder Bilder generieren lassen. Einige Journalisten haben auch öffentlich erklärt, dass sie „lieber selbst ihre Texte schreiben“ und warum sie glauben, dass ihr Job nicht ersetzt werden kann. Ein frommer Wunsch. Denn es ist absehbar, dass auf Reichweiten getrimmte Online-Angebote der Versuchung über kurz oder lang nicht widerstehen werden, KI dort einzusetzen, wo sie Geld sparen können. Der Axel Springer Verlag hat dies bereits angekündigt, weitere Medienhäuser werden diesem Beispiel folgen.

Die orientierungslose Branche braucht daher vor allem Resilienz im Umgang mit KI.

Erst wenige KI-Chatbots werden überprüft

Wir vom VOCER Institut für Digitale Resilienz sehen drei Risikobereiche.

  • Erstens, dass Medienschaffende der Technologiegläubigkeit verfallen, ohne den Einsatz von KI berufsethisch einzuordnen.

  • Zweitens, dass durch KI erstellte Fantasieinhalte zunehmend mit faktenbasierten Informationen verwachsen, sodass deren Unterscheidbarkeit fehlt.

  • Und drittens, dass die Integrität der Medien weiter schwindet, je mehr Medienschaffende sich ungeniert der KI-Konserven bedienen, ohne diese kenntlich zu machen.

Das alles sind keine neuen Herausforderungen. Sie werden aber bis dato noch zu wenig reflektiert. Es gibt erst wenige Organisationen wie NewsGuard, die Reichweitenportale überprüfen, deren Inhalte durch KI-Chatbots generiert werden.

Sollten wir die Medien nun zur KI-freien Zone erklären? Nein, das wäre weltfremd. Der Casus knacksus ist es, die richtigen Fragen zu stellen und öffentlich zu diskutieren.

  • Wie verstärkt KI soziale Ungleichheit?

  • Wie kann der KI-Zugang gerechter gestaltet werden?

  • Wie können wir die Abhängigkeiten von globalen Tech-Giganten verhinddern?

  • Und wo muss es in Medienhäusern auch Selbstbeschränkungen in KI-gesteuerten Arbeitsprozessen geben?

Medienleute sollte sich mühen, erst Antworten darauf zu finden, bevor sie der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine blindlings vertrauen.

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Dr. Stephan Weichert ist Vorstand des VOCER Instituts für Digitale Resilienz und Geschäftsführer der DIALODGE, einem neuen Bildungszentrum für konstruktiven Dialog und Demokratie-Resilienz in Schleswig-Holstein.

Dr. Stephan Weichert schreibt über Internet & Technologie, Wirtschaft & Management, Bildungswesen, Medien

Dr. Stephan Weichert ist Medien- und Kommunikationswissenschaftler. Gemeinsam mit dem Journalisten Alexander von Streit leitet er das unabhängige und gemeinnützige VOCER Institut für Digitale Resilienz. Er ist zudem Geschäftsführer und Leiter der Bildungsprogramme in der DIALODGE.

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