KI und HR: Zwischen Hype, Hoffnung und harter Realität

Künstliche Intelligenz verändert HR grundlegend – oft schneller, als wir reflektieren. Zwischen Automatisierung, Wissensflut und Kommunikations-Illusion droht der Verlust echter Menschlichkeit und Expertise. Der Artikel ruft dazu auf, KI im Bereich Human Resources nicht nur anzuwenden, sondern ihre Folgen aktiv, kritisch und mit Weitblick zu gestalten.

Kaum ein HR-Event oder HR-Medium kommt aktuell ohne das Thema künstliche Intelligenz aus. Im Personalbereich herrscht eine fast schon euphorische Aufbruchsstimmung. Doch was passiert, wenn wir über das Oberflächliche hinausdenken – abseits von Marketingsprech und Vertriebsinteressen?

Zukunft gestalten statt nur reagieren

Die Diskussion kreist derzeit stark um konkrete Use Cases im Alltag. Herausforderungen dabei sind Datenschutz, Lizenzkosten, Qualifizierung der Mitarbeitenden – alles wichtige Themen. Und erste Automatisierungen zeigen bereits ihren Nutzen in Sachen Effizienz. Das Ziel: mehr Zeit für das wirklich Wichtige. Klingt vielversprechend, aber haben wir die damit einhergehenden „Nebenwirkungen“ schon im Blick?

KI in der Kommunikation: Mehr Schein als Sein?

Gerade in der Kommunikation zeigt sich die Macht generativer KI. Schnell erstellte LinkedIn-Posts oder automatisierte unternehmensinterne Kommunikation. Vieles ist heute technisch möglich. Doch wird das Ergebnis inhaltlich tatsächlich besser? Oder wird lediglich der Anschein individueller Wertschätzung erzeugt?

Im Recruiting beobachten wir Ähnliches: KI kann Kommunikation mit Bewerbenden personalisierter und schneller machen. Aber wenn am Ende doch wieder alle die gleiche standardisierte Absage erhalten, nur netter formuliert, ist das wirklich ein Fortschritt?

Wenn Bots mit Bots kommunizieren

Die Automatisierung im Recruiting ist bereits weit fortgeschritten, von KI-generierten Bewerbungen auf der einen Seite bis zur KI-gestützten Auswahlunterstützung auf der anderen. Der Traum: standardisierte und dennoch maximal personalisierte Prozesse ohne unnötiges menschliches Zutun. Die Realität: ein fortlaufender Selbstbetrug?

KI als Wissenslieferant – Segen oder Trugschluss?

Dank KI könnten wir nach längerer Abwesenheit im Job schnell „up to date“ sein. Eine Zusammenfassung aller relevanten Inhalte erhalten wir schnell, effizient, präzise. Aber reicht das? Oder verlieren wir dabei das tiefergehende inhaltliche Verständnis, die notwendige Einordnung in den Kontext, unsere Fähigkeit zum kritischen Diskurs, wenn wir nur automatisch konfektionierte Infokost zu uns nehmen?

Snackable Content – der neue Standard?

Ähnlich ist es beim Thema Weiterbildung im Unternehmen. Apps wie Get Abstract oder Headway suggerieren: ein Buch in fünf Minuten – und du bist Expert:in. Doch mein Selbstversuch zeigt: Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob ich Thesen konsumiere und kurz darüber nachdenke oder ein Buch wirklich lese inklusive aller Beispiele, Feinheiten und mit jeder Menge Kontext. Das eine ist Information, das andere echte (Weiter-)Bildung. Aber haben wir im Arbeitsleben überhaupt noch die Zeit, geschweige denn die Disziplin dafür?

Wenn alle „Expert:innen“ sind

Mit Zugriff auf sämtliche Datenquellen außerhalb und innerhalb des Unternehmens wird scheinbar alle zu Expert:innen. Aber was bleibt dann noch von echter Expertise? Wie bewerten wir zukünftig Performance, wenn Know-how jederzeit systemseitig abrufbar ist? Und was passiert mit implizitem Wissen, das sich eben nicht so leicht digitalisieren lässt?

Und darüber hinaus: Wie vergüten wir, und spielt zukünftig Arbeitszeit überhaupt noch eine Rolle? Gerade jetzt, wo wir nur über „mehr arbeiten“ diskutieren, aber anscheinend noch immer keine Zielrichtung haben, wie wir vor allem „besser arbeiten“.

Läutet gar KI endlich das New-Work-Zeitalter ein. Oder ist „Future of Work“ mit KI nur eine Renaissance der Digitalisierung?

Biasfreie KI – vermutlich nur eine Illusion

Die Hoffnung auf objektive, faire und ethisch korrekte KI ist groß. Doch wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Interessen beeinflussen die Systeme heute schon massiv. Ob in China, den USA oder Europa: Eine vollständig neutrale KI bleibt vermutlich Wunschdenken.

Für HR eine enorme Herausforderung im Kontext von Diversity, Equity und Inclusion. Ob der AI Act der EU hier zu einer Besserung führt oder nur Implementierungs- und Innovationsgeschwindigkeit nimmt? Wir werden es erfahren.

Mein Fazit

KI macht uns auch im HR unglaubliche Leistungsversprechen. Doch als HR müssen wir genau jetzt beginnen, die Folgen dieser Technologie realistisch einzuordnen, und zwar jenseits der Buzzwords und Marktschreierei auf Messen und Kongressen. Themen wie automatisierte Kommunikation, oberflächliche Wissensaufnahme, Expertiseverlust oder nicht-neutrale Algorithmen dürfen wir dabei nicht ausblenden.

„Irgendwas mit Menschen“ war lange unser inoffizieller HR-Leitspruch. Doch der Wandel hin zu „irgendwas mit ganz viel Technologie“ ist längst im Gange.

Lassen wir uns nicht treiben – sondern gestalten wir als HR aktiv mit. Und entscheiden wir im Unternehmenskontext, wie weit wir beim Thema Automatisierung gehen wollen und wo menschliche Interaktion bestenfalls noch lange „in the loop“ ist, wie es immer so schön heißt.

Weitere Gedanken dazu finden Sie im Originalartikel auf meiner HR-Website Persoblogger.de.

Stefan Scheller schreibt über Job & Karriere, Personalwesen, Wirtschaft & Management, Marketing & Werbung

Top HR Influencer auf PERSBLOGGER.DE, mehrfacher Fachbuchautor und Keynote-Speaker, Betreiber der PERSOBLOGGER CLUB Lernplattform sowie HR-Manager in einem großen deutschen IT-Unternehmen. Schwerpunkte: Employer Branding, Personalmarketing, Recruiting, New Work und digital HR.

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