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Kleiner Querdenker Guide

‚Querdenker' erleben zurzeit einen echten (Media)Hype. Doch was steckt wirklich drin im Thema? Ist jeder, der die Annahmen der Chefs nicht teilt ein Querdenker oder nur ein Querläufer? Wird, wer etwas anderes tut, nicht auch zum Quertreiber und Querläufer? Was sagen die Querlenker? Ich glaube, es lohnt, tiefer einzusteigen.

Was hier als kleines Wortspiel beginnt, hat einen ernstzunehmenden Hintergrund. Für Querdenker gibt es keine klare, anerkannte Definition, kein Berufsbild und damit eine ungeheure Vielfalt. Worin liegt der Wert von Querdenkern und bringen sie Unternehmen tatsächlich einen Mehrwert? Der Wert liegt (auch hier) in der (Selbst)Wirksamkeit, wobei das ‚Selbst‘ hier deutlich stärker zum Tragen kommt als in anderen Situationen. Querdenker gehören aufgrund ihrer Rolle in jeder Organisation zu einer (exklusiven) Minderheit, denn in der Masse querzudenken ändert die Denkrichtung der gesamten Struktur und dann ist quer auf einmal längs.

Noch etwas steckt implizit in dem Wortspiel, nämlich die Frage, für wen und mit welcher Intention quer gedacht wird. Wer sich aus reinem Eigeninteresse quer zu den Positionen der anderen stellt, sorgt zwar für Impulse, die sind aber eher selten im Gesamtinteresse der Organisation und sorgen tatsächlich eher für Unruhe, als dass sie Nutzen stiften. Das Interesse der Gemeinschaft in den Fokus zu rücken, ist also ein eindeutiges Merkmal sinnvollen Querdenkens. Doch, und auch hier wird es schon herausfordernd: Die Unterscheidung ist gerade aus einer Führungsperspektive oft schwer, insbesondere, wenn hier ebenfalls das Eigeninteresse dominiert. Eine bewusste Reflexionsfähigkeit auf beiden Seiten, beim Querdenker und der ‚zugehörigen‘ Führungskraft, ist damit Voraussetzung für den gegenseitigen und gemeinsamen Erfolg.

Was steckt noch drin im Quer-, Anders-, Neudenken, das heute so oft gefordert aber eben auch nicht immer toleriert wird? In welcher Art Organisation kann es gelingen? Wovon sollte auch der leidenschaftlichste Querdenker eher die Finger lassen? Welche Art von Unternehmensstruktur und Managementdenke eignet sich für win-win Situationen? Welche unterschiedlichen Themenbereiche lassen sich, je nach Organisationssystem, leichter bzw. schwerer querdenken?


Die klassischen Kategorien von Managementstrukturen und -modellen helfen hier nicht weiter, um substanzielle Antworten zu finden. Die traditionell weit verbreiteten bürokratischen und meritokratischen Strukturen reagieren meist mit Ablehnung auf jeden, der versucht, am Status Quo zu rütteln. Insbesondere, wenn es nicht nur um die Anpassung einzelner Prozesse geht, sondern ein größerer Wurf versucht wird. Sobald Macht- und Entscheidungsbefugnisse hinterfragt werden, reagieren diese Systeme meist mit Ab- und Ausgrenzung.

Auch in modernen Strukturen kann Querdenken auf Widerstand stoßen, etwa, wenn gerade mühsam und umfassend in der gesamten Organisation etablierte, agile oder holokratische oder ‚wie auch immer‘ Struktur infrage gestellt wird. (Auch wenn klar ist , dass es keine „one-system-fits-all“ Lösungen gibt und daher die Themen auf Ebene der Teilorganisationen sehr differenziert angegangen werden sollten.) 
Weiter differenzieren lässt sich das so aus meiner Sicht, kaum.

Die Problematik liegt darin, dass Querdenker immer das Potenzial haben, ihre eigenen Rahmen und die der Organisation zu sprengen (und/oder zu pulverisieren). Oft verlassen sie selbst sehr aktiv und immer wieder ihre Komfortzone und ziehen und schubsen die Organisation oder zumindest Teile von ihr, ebenfalls in diesen als unsicher wahrgenommenen Raum. So positiv dieser Schritt gemeinst ist (und oft auch tatsächlich wirkt), sehr bewusst sollte damit umgegangen werden, um maximale Wirkung und Nutzen zu erzielen.

Um besser differenzieren zu können, in welchen Grundstrukturen und vor welchen Fragestellungen Querdenker echten Mehrwert leisten, hilft eine Systemik die mein AGILITYinsights Kollege und Mentor Lukas Michel im Lauf der Zeit entwickelt hat (und die er in diesem Jahr in seinen Webinaren detaillierter vorstellt - die nächsten Webinartermine sind am 15.01., dem 11.02. und dem 23.03.)

Er nutzt dabei vier Kernfragestellungen, um Organisationssysteme zu unterscheiden:

  • Wie gewinnen wir ein klares Verständnis für das, was wir tun? 
Mit Antwortoptionen zwischen „Kontrolle“ und „Selbstverantwortung“.

  • Wie gelingt es uns, dass wir in die gleiche Richtung arbeiten? 
Mit Antwortoptionen zwischen „Weisung“ und „Entscheidungsdelegation“.

  • Wie geben wir Raum, in der die Energie der Mitarbeiter wirken kann? 
Mit Antwortoptionen zwischen „bürokratische Strukturen“ und „Selbstorganisation“.

  • Was tun wir, um den Fokus zu behalten? 
Mit Antwortoptionen zwischen „Ziele vorgeben“ und „Sinnorientierter Arbeit“.

Auf Basis dieser vier Fragen lassen sich vier Archetypen von Organisationen klassifizieren:

Kontrollbasierte“ Strukturen, die auf die jeweils zuerst genannten Antwortoptionen fokussieren, also mit Kontrolle, vorgegebenen Zielen, Weisung und bürokratischen Strukturen agieren. „Command & Control“ Unternehmen, wie wir sie oftmals noch kennen.

Typ zwei und drei sind Unternehmen, die teilweise auf dem Weg sind, sich zu öffnen:

Zum einen „Veränderungsbereite“, deren Führungssysteme zwar auf Kontrolle und klaren Zielvorgaben aufbauen, die aber zugleich Entscheidungsbefugnisse delegiert haben und auf Selbstorganisation setzen,

sowie die

Engagement fördernden“, die eng und mit Weisungen führen und bürokratische Strukturen leben, andererseits aber Selbstverantwortung und Sinnorientierung vermitteln.

Als vierter Typ bleiben die Organisationen, die sehr offen und frei strukturiert sind, oftmals mit dem Ziel, schnell und flexibel agieren und reagieren zu können - die „Befähiger“. Hier ist nicht alles, aber vieles möglich, solange die gemeinsame Zielrichtung respektiert und so maximale Wirkung erzeugt wird. (Mehr dazu wie gesagt in den sehr empfehlenswerten Webinaren von Lukas Michel).

Was bedeuten diese vier Typen aber nun für die Querdenker und welche Unternehmen können mit welcher Art von Querdenker umgehen? Wer kann wo ein Zuhause bieten und finden?

So herausfordernd und spannend es für viele Querdenker vielleicht klingt in „Command & Control“ Strukturen wirken zu wollen, ich kann davon nur abraten. Die Abwehrmechanismen sind oft (zu) stark und der Spaß der Veränderung damit extrem limitiert. Selbst für potenzielle Querlenker, also Querdenker auf Top-Führungspositionen, ist es schwer, hier Fuß zu fassen. Wer nicht mit einer ungeheueren Machtfülle, einem extrem dicken Fell und einer enormen Frustrationstoleranz ausgestattet ist, tut sich hier keinen Gefallen.

Besser sieht es da bei den „veränderungebereiten“ Organisationen aus. Entscheidungsräume und Selbstorganisationen lassen vor allem Raum für Querdenker, die die Verantwortung übernehmen wollen, im und am System etwas zu bewirken. Wer vor allem den inneren Wandel, etwa hin zu besseren Arbeitsstrukturen bis hin zu „New Work“ treiben will, findet hier ein gutes Fundament.

Eine anderes Umfeld bieten die „Engagement fördernden“. Sinnorientierung und Selbstverantwortung gibt den Querdenkern Möglichkeiten an die Hand, die gerne neue Produkt- und Geschäftsideen entwickeln, also eher nach außen gerichtet Wirkung zeigen.

Bleiben die „Befähiger“. Hier ist der „Home Turf“, das natürliche Habitat für Querdenker. Allerdings finden sich damit hier mit hoher Wahrscheinlichkeit auch viele davon, sodass hier Querdenken leicht zum Längsdenken wird. Oft zum Wohle des Unternehmens, aber auch weniger attraktiv und spannend für all jene, die ganz unmittelbar wahrnehmen wollen, was ihre persönliche Aktivität tatsächlich zu bewirken in der Lage ist. Solche Unternehmen laufen allerdings Gefahr, den Spirit zu verlieren, weil das Anderssein zu selbstverständlich wird.

Woher wissen Unternehmen jetzt, wo sie stehen und wie finden Querdenker zu ihnen?

Dazu 2 x 5 Tipps, je fünf für Unternehmen und Querdenker

  • Wer es als Verantwortlicher in einem Unternehmen ganz konkret wissen möchte, sollte damit beginnen, sich die vier genannten Kernfragen selbst zu beantworten. (An der Stelle bietet das Netzwerk von AgilityInsights viel Erfahrung und entsprechende Beratungs- und Befragungstools an. Mehr Infos gerne auf Anfrage.)

  • Als Zweites sollte man sich die Frage nach den nächsten (notwendigen und hilfreichen) Entwicklungsschritten stellen. Welche Trends wirken auf das Unternehmen, welche Chancen ergeben sich, woran sollte in den nächsten Monaten vor allem gearbeitet werden? Welche Richtung gibt die Strategie und die Zielsetzung der Organisation vor? Welcher Typus von Querdenkern (‚Systemveränderer' oder ‚Produktideengeber') sind interessant für das Unternehmen?

  • Wieviele davon kann und will das Unternehmen verkraften? Womit kann es und können die Mitarbeiter umgehen? Was lassen unsere Führungskräfte zu? Wie belastet sind sie und die Mitarbeiter? Je höher die Grundlast, desto notwendiger mag es sein, einen Impulsgeber ins Unternehmen zu holen, desto schwieriger wird es aber auch, wenn dieser permanent im Fundament wühlt. Welche Alternativen gibt es?

  • Wie ist die Fremdwahrnehmung der Organisation? Ist sie, so wie sie ist, stabil und wird positiv wahrgenommen? Werden Rufe nach Veränderung von außen so laut, dass man sie innen hören kann? Dann sollte nochmal intensiver geschaut werden welche Impulse helfen können.

  • Welchen Typen Querdenker sollte das Unternehmen, basierend auf dieser ersten Analyse suchen, wo finden sich diese und wie offen ist die Organisation dann tatsächlich dafür, diese zu integrieren und zugleich nicht zu sehr zu vereinnahmen?

Für Querdenker stellen sich ähnliche Fragen:

  • Was ist dein Herzensthema? Brennst du dafür, Organisationen von innen heraus besser zu machen oder willst du eher nach außen wirken und aufzeigen, was hier alles möglich ist?

  • Welchen Rahmen und welches Regelwerk der Unternehmen, welches „Betriebssystem“ brauchst du, um deine volle Energie und Wirksamkeit einzubringen? Was sind deine Anforderungen an das Handeln und Denken des Unternehmens?

  • Mit wieviel Widerstand kannst und willst du im Unternehmen umgehen? Was kannst und willst du aushalten und warum? Was bringt es dir an Energie und der Wahrnehmung von Selbstwirksamkeit, wenn du etwas erreichst? Wann ist der Zeitpunkt gekommen die Reißleine zu ziehen und zu gehen?

  • Wie sehen dich andere? Wo sind deine sichtbaren, unsichtbaren und bewussten Stärken? Auf wen solltest und musst du in einem Unternehmen treffen, um diese ausspielen zu können?

  • Und schließlich: Welchen Typus Organisation brauchst du dazu? Wie kannst du herausfinden, welche Orga wie tickt? Wen kannst du fragen, wo erhältst du die notwendigen Informationen?

Zugegeben, das sind zunächst deutlich mehr Fragen als Antworten. Aber Fragen, die lohnen, weil die Antworten wichtig sind. Zunehmend wichtig.

Den Unternehmen kann ich anbieten, sie bei der Selbstevaluierung zu unterstützen. Den Querdenker kann ich das mangels Masse nicht. Dazu reicht auch mein Netzwerk kaum aus. Aber ich bin sicher, dass ihr auch selbst auf eure Antworten kommt. Was in jedem Fall hilft - macht euch sichtbar, vernetzt euch und arbeitet gemeinsam daran den Wandel voranzubringen.

Guido Bosbach schreibt über Management, Führung, Leadership, NextManagement

Guido Bosbach ist Organisationsberater mit einem Fokus auf Lösungen, die für eine systemisch fundierte, nachhaltige und menschenzentrierte Verbesserung der Zusammenarbeit und des gemeinsamen Erfolgs abzielen. Er arbeitet dazu in Unternehmen mit deren Executive-Teams & Führungskräften.

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