Klimaneutralität ist das alles überragende Ziel von Unternehmen
Viele Klimafolgen sind intensiver und häufiger geworden - und werden dies auch in den kommenden Jahrzehnten weiterhin tun. CO2-Emissionen müssen rasch und drastisch reduziert werden, weil sonst das 1,5-Grad-Ziel nicht erreicht werden kann – mit dramatischen Folgen für die Menschheit und für nachfolgende Generationen. So das alarmierende Fazit der Wissenschaftler im kürzlich veröffentlichten IPCC-Bericht des Weltklimarates. Experten von McKinsey schätzen, dass der Umbau der deutschen Wirtschaft zur Klimaneutralität bis 2045 etwa 240 Milliarden Euro jährlich kosten wird. Dabei muss jeder Wirtschaftszweig andere Hebel ansetzen. Die Studie „Von Haltung zu Handlung“ von Bain gemeinsam mit Futurist und dem Potsdam Institut für Klimafolgenforschung widmet sich der Stimmung in den Führungsetagen der Konzerne.
Allerdings kommt es bei der erforderlichen Transformation nach Einschätzung der CEOs zu Zielkonflikten. Mehr als die Hälfte der Befragten ist der Ansicht, dass Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit derzeit noch Gegensätze seien. Klimaneutralität ist derzeit das alles überragende Ziel. Im Durchschnitt benötigen die Unternehmen noch etwa 14 Jahre, um zumindest ihre eigenen CO 2-Emissionen auf eine Nettonull zu reduzieren. Dazu müssen Abläufe angepasst und grüne Verfahren angewendet werden. Ein Beispiel: Das Outdoor-Unternehmen VAUDE nutzt seit 2009 am Firmensitz in Tettnang zu 100 % Ökostrom (u. a. aus selbsterzeugter Solarenergie). 2008 wurde die europäische EMAS-Zertifizierung für das Umweltmanagement eingeführt und damit begonnen, die Emissionen und Verbräuche am deutschen Firmensitz zu erfassen und zu reduzieren. Seit 2012 ist die Firmenzentrale mit allen dort hergestellten Produkten klimaneutral. Seit Januar 2022 sind es auch alle weltweit hergestellten Produkte. 2019 wurde das Ziel festgelegt, die Klimaneutralität global auszuweiten.
Diese Datengrundlage war die Basis, damit alle Produkte klimaneutral werden können. Mit den Science Based Targets verkleinert VAUDE kontinuierlich den ökologischen Fußabdruck. Da nicht alle Emissionen sofort eliminiert werden können, werden sämtliche (noch) nicht vermeidbaren CO2-Emissionen über ein myclimate Gold Standard Klimaschutzprojekt in Vietnam kompensiert bei dem Kleinbauern Biogas aus organischen Abfällen gewinnen. Es wird derzeit noch so viel reduziert wie nur möglich - und zugleich wird kompensiert. Der Löwenanteil der Emissionen entsteht in der globalen Lieferkette, vor allem bei der Herstellung der Materialien. Funktionelle Outdoor-Produkte bestehen überwiegend aus synthetischen Fasern, deren Herstellung hohe Energieverbräuche verursacht. Um diese zu reduzieren, hat sich das Unternehmen zwei große Ziele in der globalen Lieferkette gesetzt.
Erstes Ziel: Bis 2024 sollen 90% der Produkte überwiegend aus recycelten oder biobasierten Materialien bestehen (Prinzip der Kreislaufwirtschaft). Durch den Einsatz nachwachsender Rohstoffe und die Wiederverwertung von Materialien werden fossile Ressourcen geschont und CO2-Emissionen (je nach Material) um rund 50% im Vergleich zu neuwertigen Materialien reduziert.
Zweites Ziel: Bis 2030 sollen 50% der Emissionen aus der Lieferkette, insbesondere bei den Materialherstellern, eingespart werden. Bereits 2015 führte VAUDE ein Pilotprojekt mit Zulieferern von textilen Materialien durch, bei dem u. a. jährlich über 18 Millionen Kilowattstunden Energie in der Produktion eingespart wurden. (Pressemitteilung vom 27.1.2022)
Das Beispiel zeigt auch, dass viele Geschäftsmodelle aufgrund der nachhaltigen Transformation nicht komplett neu erfunden werden müssen. Viele Geschäfte sind bereits im Kern nachhaltig, denn Nachhaltigkeit ist hier immanenter Bestandteil der Unternehmensstrategie. Deshalb werden hier auch keine dezidierten Nachhaltigkeitsstrategien neben der Unternehmensstrategie benötigt.
Lieferkette: Warum es eine ganzheitliche Erfassung der unternehmerischen Klimaleistungen braucht
Ulf Lippitz: Alles anders. In: stern (23.12.2022), S. 61.
Klimawandel in der Wirtschaft. warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Heidelberg, Berlin 2020.