Klimawandel und Arbeitswelt: Wie die Wirtschaftspolitik den Wandel nachhaltig gestalten kann
Die Frage lautet heute nicht, ob wir in Richtung einer CO2-neutralen Wirtschaft gehen, sondern wie Unternehmen Klimaziele konkret umsetzen, und wann sie erreicht werden. Sie sind zum schnellen Handeln aufgefordert. Mit der Erfüllung der globalen Klimaziele verbunden sind tiefgreifende Veränderungen für die Arbeitnehmer. Bei der Bewältigung der Herausforderungen auf dem Weg zur Klimaneutralität benötigen Wirtschaft und Gesellschaft deshalb Unterstützung durch die Wirtschaftspolitik. Aus Sicht der Autoren der aktuellen Deloitte-Studie „Work toward net zero. The rise of the Green Collar workforce in a just transition” sind dabei fünf Felder besonders relevant:
1. Ambitionierte Zwischenziele zur Emissionsreduktion (größere Transparenz und Verbindlichkeit für alle Beteiligten, Verbesserung von Planung und Timing von Maßnahmen)
2. Systembezogene Industriepolitik sollte das Gesamtsystem ins Auge fassen (z.B. das Energiesystem), entscheidend sind Kooperation und Arbeitnehmerzentriertheit.
3. Hochwertige Arbeitsbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten
4. Anpassungsfähige Bildungspolitik entlang des Pfads zur Klimaneutralität (Weiterentwickelung, um die neuen Kompetenzanforderungen der Wirtschaft zu erfüllen).
5. Kohortenzentrierte Weiterbildungspolitik (z. B. „Portfolio-Ansatz“, bei dem nach gruppenspezifischen Bedürfnissen differenziert wird).
Durch den Klimawandel und den Übergang zur klimaneutralen Wirtschaft sind weltweit 800 Millionen Arbeitsplätze gefährdet („vulnerable“) – ein Viertel der globalen Arbeitnehmerschaft insgesamt (zugleich entstehen viele neue Arbeitsplätze). In Südamerika sind so z.B. mit 170 Millionen ebenfalls sehr viele Jobs betroffen. Länder in Asien und Afrika weisen besonders hohe Risiken auf: Bis zu 40 Prozent der Arbeitnehmer sind dort potenziell betroffen. Zugleich sind diese in vielen Fällen den direkten physischen Folgen des Klimawandels deutlich stärker ausgesetzt als andere Regionen.
Die Regionen sind unterschiedlich exponiert, was die Auswirkungen des Klimawandels angeht – in physischer Hinsicht sowie im Hinblick auf die wirtschaftlichen Implikationen der Dekarbonisierung für den Arbeitsmarkt. Um dies konkret nachvollziehen zu können, hat das Deloitte Economics Institute den „Job Vulnerability Index“ entwickelt. Aus der Analyse ergibt sich eine besondere Anfälligkeit von Regionen mit einem hohen Anteil an Arbeitnehmern aus folgenden Bereichen:
Branchen mit hoher Betroffenheit durch Klimaextreme
Kapitalintensive Branchen, in denen Produktivität und Investitionen durch Naturkatastrophen gefährdet sind
Energie- und emissionsintensive Branchen, die von Disruption betroffen sind
Vulnerable Branchen: Landwirtschaft, Energie und Bergbau, Schwerindustrie und Verarbeitendes Gewerbe, Transport sowie Bauwesen.
Die multiplen Krisen erhöhen den Transformationsdruck. Politik und Wirtschaft sind deshalb gefordert, entschlossen und zielgerichtet zu handeln: Klimaschutzmaßnahmen und Investitionen in den grünen Umbau der Wirtschaft müssen zügig auf den Weg gebracht werden. International wird eine koordinierte Dekarbonisierungspolitik benötigt, um neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, wirtschaftliche Disruption zu verringern und den Lebensstandard weltweit zu verbessern.
Eine zentrale Frage ist, wie die Teilhabe der Menschen an einer dekarbonisierten Zukunft gesichert werden kann - der Schlüssel sind Investitionen in die Kompetenzförderung (Top-Prioritäten für Politik und Unternehmen).
Wird die Umsetzung der Klimaziele bis 2050 intensiviert, hat dies langfristige positive Folgen für das weltweite Wachstum im Zeitraum bis 2070. Wichtige Dimensionen der Wirtschaftspolitik sind dabei vor allem Wohlstand, Fairness und Gerechtigkeit. Nur wenn die Transformation nicht zulasten besonders anfälliger Gruppen geht, ist ein stabiler „Gesellschaftsvertrag“ zum Nachhaltigkeitsthema zu erreichen (Konsens zwischen verschiedenen sozialen Gruppen, der auch ein Erfolgsfaktor für die Transformation selbst ist).
Durch die Schaffung und Förderung einer „Green Collar Workforce“ (z. B. durch Upskilling) werden negative Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt verhindert oder kompensiert und neue Jobs schaffen. Da die Arbeitnehmer die praktische Umsetzung meistern müssen, sollte die Wirtschaftspolitik diesem Umstand Rechnung tragen (z.B. indem Kompetenzlücken in der Workforce durch vorausschauende Maßnahmen geschlossen werden).
Regierungen müssen ihre Investitionen, Regulierungen und Anreizsetzungen entsprechend planen und steuern. Eine umfassende Einbeziehung der Workforce macht die Transformation dabei nicht nur gerechter, sondern auch effektiver. Ein zentraler Punkt ist dabei das Entstehen neuer bzw. angepasster Jobprofile, die sowohl von etablierten Unternehmen im Wandel als auch in neuen, erst noch entstehenden Bereichen nachgefragt werden.
Die benötigten Skills der neuen oder transformierten „Green Collar Jobs“ der Zukunft sind zu 80 Prozent schon bei der heutigen Arbeitnehmerschaft vorhanden. In vielen Fällen können also Upskilling-Programme ausreichen, um die Transformation in den individuellen Jobprofilen zu meistern. In der Studie werden die Implikationen für fünf verschiedene Job-Typen innerhalb der „Green Collar Workforce“ noch genauer spezifiziert: Negativ sind die Auswirkungen für emissionsintensive und von Klimaextremen betroffene Stellen. Neutral sieht die Lage für solche Jobs aus, die erhalten bleiben, aber sich wandeln. Zusatznachfrage entsteht bei Stellen rund um Dekarbonisierung (z.B. grüner Wasserstoff: Ingenieure, Techniker) sowie bei gänzlich neuen Stellen für zukünftige Geschäftsfelder und Technologien wie etwa Brennstoffzellen.
Deloitte-Studie Work toward net zero. The rise of the Green Collar Workforce in a just transition
Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller: Klimawende: Wie der Strukturwandel erfolgreich gestaltet werden kann. In: Klimaneutralität in der Industrie. Aktuelle Entwicklungen – Praxisberichte – Handlungsempfehlungen. Hg. von Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt, Stefanie Kästle. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2023.