Rückblickend betrachtet, war die unfreiwillige berufliche Neuausrichtung eine gute Sache. (Foto: Kai Kaufmann/ KI)

Kognitive Neubewertung und Storytelling: Aus etwas Schlechtem etwas Gutes werden lassen

Was kann helfen, wenn die Dinge richtig schiefgelaufen sind? Nach der verpassten Beförderung, einer holprigen Transformation im Unternehmen oder einer schlimmen Erkrankung? Eine neuere US-Studie zeigt, wie kognitive Neubewertung und Storytelling negative Gefühle verringern und Mut für den nächsten Schritt machen können.

Es war ein schmerzhafter Wake-up-Call. Nach monatelangen Knieschmerzen beim Joggen kroch ich nun doch zum Orthopäden. Diagnose: angerissener Meniskus. Doch das Ganze bekam in den folgenden Tagen etwas wirklich, wirklich Positives. Denn ich machte – völlig unerwartet – aus etwas Schlechtem etwas Gutes, doch dazu später mehr. Übrigens, im Englischen klingt dieses Prinzip wie so oft besser: „Turning a bad experience into a good one“.

Effekt der Neubewertung: Negative Emotionen verringern sich

Dahinter steckt die psychologische Technik „kognitive Neubewertung“. Rückblickend wird dabei etwas Positives in einem negativen Ereignis gesehen. Der Effekt: Die negativen Emotionen werden verringert. Das kann in jeder Lebenssituation, ob im Job oder privat, eine Erleichterung sein. Und es gilt für emotional negative Erfahrungen genauso wie für physisch negative Ereignisse, zum Beispiel einen Unfall oder eine Erkrankung.

Welchen Nutzen hatte die unbeliebte Transformation im Unternehmen?

Bei dieser Neubewertung blickt man beispielsweise humorvoll auf eine missglückte Präsentation zurück, man zieht eine positive Lehre aus einer Auseinandersetzung mit dem Kollegen, ist dankbar für die Neuausrichtung nach einer schweren Erkrankung oder erkennt später den Nutzen, den eine zunächst unbeliebte Transformation im Unternehmen hatte. Eine neuere Studie, die in dem amerikanischen Fachmagazin „Current Opinion in Psychology“ veröffentlicht wurde (Truncellito und VanEpps, 2023), untersucht unter anderem die besondere Rolle, die neben kognitiver Neubewertung ein humorvoller Blick und Storytelling auf ein negatives Ereignis haben können. Das macht übrigens auch deshalb Sinn, weil Humor ein Resilienzfaktor ist.

Reframing ist die Kunst, Inhalte in einen neuen Rahmen zu stellen und ihnen dadurch eine neue Bedeutung zu verleihen. („Spektrum“)

Kurzer Rückblick: Seit meinem Burn-out vor vielen Jahren hielt mich eine hartnäckige Blockade davon ab, im Gym wieder ins Krafttraining einzusteigen. Einen Grund dafür gab es nicht. Es war reine Kopfsache. Ja, ich oute mich hier: Auch ein Trainer für Stressmanagement und Resilienz kann jahrelang Blockaden im Kopf haben. Räusper.

Meniskusanriss – wozu soll das gut sein?

Zum Glück machte ich all die Jahre weiter Yoga, joggte und schwamm. Schließlich predige ich das ja in meinen Seminaren und Vorträgen für Mitarbeiter von Unternehmen. Allerdings betrieb ich diese Sportarten lange nicht so intensiv wie vor dem Burn-out. Die genannten Aktivitäten klingen also nach mehr, als sie wirklich waren. Nun – mit 61 Jahren – der angerissene Meniskus.

Mit gezielter Belastung, ein paar Spritzen und etwas Glück könnte ich vielleicht um eine OP herumkommen, meinte der Orthopäde. Das wirkte. Denn erstens wollte ich nicht unters Messer – das passt weder zu meinen beruflichen Reisen noch zu den Auslaufwünschen meines Berndoodles. Und zweitens wurde mir greifbar bewusst, was mein Verzicht auf Kraftsport für meine künftigen Lebensjahre bedeuten würde.

Im Alter dauert Muskelaufbau länger, als man möchte, aber kürzer als man denkt.
Dr. Jörg Bethge, Orthopäde, ZDFheute

Muskelabbau geht ab einem Alter von 50 Jahren viel fixer als davor. Bis Mitte 80 haben wir bis zu 50 Prozent (!) unserer Muskelmasse abgebaut, wenn wir nichts dagegen tun. Mein Plan für die nächsten Jahre sieht anders aus. Für mich soll es ein Leben nach dem Job geben. Und zwar ein gesundes! Und das möchte ich so lange wie möglich ohne Rollator verbringen.

Zwei Tage nach dem Besuch beim Orthopäden war ich also endlich und nach vielen Jahren wieder im Kraftraum des Gyms. Yay!

Danke für meine sportliche Neugeburt!

Anmelden musste ich mich dafür nicht – ich hatte meine Beiträge ja jahrelang als Karteileiche weitergezahlt. Mittlerweile gab es komplett neue Geräte, sodass ich ziemlich verloren umherstreifte, hoffend, man möge mir nicht anmerken, wie fremd mir alles war. Aber: Es hat so unfassbar gutgetan, wieder dabei zu sein. Die Trainings der ersten Woche: gefühlt ein sportliches Erweckungserlebnis – kein Scherz!

Danke, lieber Meniskus! Danke, dass du aus etwas Schlechtem wie dem wirklich gemeinen Muskelanriss etwas Gutes gemacht hast. Jetzt muss ich nur noch dranbleiben …

Burn-out: Mein „liebstes“ furchtbares Ereignis

Mein aus heutiger Sicht vielleicht wirkungsvollstes „Aus etwas Schlechtem etwas Gutes machen“ war die berufliche 360-Grad-Wende, die der weit über ein Jahr lange Burn-out ausgelöst hatte. Seit über zehn Jahren stehen nun nahezu alle meine beruflichen Aktivitäten – die Trainings, Vorträge, Coachings und Texte – unter dem Zeichen „Gesund führen und arbeiten“. Erst vor wenigen Wochen stellte mich ein Kunde zu Beginn meines Trainings seinen Mitarbeitern als „ein Burn-out-Überlebender“ vor. Ich hörte das zum ersten Mal über mich – und es fühlte sich nicht schlecht an.

Storytelling hat einen eigenen Wert

Mein persönlicher Bericht wäre laut der oben genannten neueren Studie ein Storytelling, das eine Erweiterung der kognitiven Neubewertung ist. Schon das Erzählen selbst schafft einen neuen Wert. Nicht jede Geschichte erfüllt dabei dieselbe Funktion. Meine macht mir Hoffnung, andere können eine Warnung sein, amüsant oder einfach unterhaltsam und uns mit anderen Menschen verbinden.

Jetzt bin ich gespannt: Aus welcher Story eines negativen Ereignisses im Job oder privat ziehst du heute etwas Positives?

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Quellen:

  • Studie: Truncellito und VanEpps, "That one Time when...: Reframing negative experiences with Storytelling" in "Current Opinion in Psychology", 2023

  • "Two Techniques for Turning Bad Experiences into Good Ones" in "Psychology Today", Mai 2024

Dr. Kai Kaufmann schreibt über Stressmanagement, Resilienz, New Work, Gesundheit & Soziales

Dr. Kai Kaufmann war 15 Jahre als Führungskraft für Verlage tätig. Nach einem Burnout stellte er die Weichen für sein Leben neu. Heute unterstützt er als Trainer für Stressmanagement und Resilienz Unternehmen und ihre Mitarbeiter. Als Medical Writer publiziert er bis zu 30 Fachartikel jährlich.

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