Kopfsachen: Warum wir mehr Gesicht zeigen sollten
Das Bedürfnis, Nähe zwischen sich und seinem Körper herzustellen, ist tief im menschlichen Wesen verankert. Doch warum sind Menschen ihrem Haar gegenüber oft so distanziert und haben Schwierigkeiten, es zu respektieren? Dieser Frage geht Maria Antas in ihrer Kulturgeschichte „Waschen, schneiden, föhnen“ nach, in dem sie beschreibt, dass sich das Haar in einer spannenden Grauzone befindet: „Es ist ein Teil des Körpers und doch etwas vollkommen eigenes, beinahe Fremdes. Es befindet sich immer auf dem Weg aus unserem Körper heraus, bis es uns eines Tages ganz verlässt.“ Sie untersuchte die Funktion von Haaren in Filmen und Fernsehserien und las Bücher über das weibliche Haar aus unterschiedlichen Epochen und fühlte sich rasch übersättigt, weil diese Geschichte – im Gegensatz zu den Männerfrisuren, die ein immer wiederkehrendes Symbol für die Entwicklung von Popkultur und Rebellion waren - vor allem im 20. Jahrhundert sehr einseitig ist. Frauen werden häufig als passive Kundinnen von genialen (männlichen) Hairstylisten dargestellt, aber auch „als neugierige, aber gehorsame Konsumentinnen von Produkten der ständig wachsenden Haarindustrie, wohingegen die Haare der (insbesondere jungen) Männer als selbstbestimmtes, innovatives Element im Protest gegen das Establishment gelten.“
Anders die Welt von Tove Jansson (1914-2001): Die Erfinderin der Bewohner des Mumintals und Zeitgenossin von Helmut Newton, hat im Buch eine besondere Bedeutung. Hier gibt es eitles Blondinenhaar, halblange, platte Tantenfrisuren mit nach außen geföhnten Spitzen, aber auch strähnige Pagenköpfe, die in alle Richtungen abstehen. Auch Menschen mit hässlichen Frisuren erleben hier Momente von Glück und Befreiung („Sturm im Mumintal“, 1954). Am meisten beschäftigt sie ein Text von Jansson, der 1968 erschien. Das Buch „Die Tochter des Bildhauers“ ist eine autobiographisch geprägte Kindheitsbeschreibung, die sich an erwachsene Leser richtet. Jansson wuchs zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einer Künstlerfamilie auf. Ihr Vater war ein namhafter Bildhauer und die Mutter eine der bekanntesten Illustratorinnen Finnlands. Der Vater erwartet Gehorsam von allen, die mit ihm zusammenleben, und wenn er niedergeschlagen ist, kriecht er zu seiner Frau und versucht sich in ihrem offenen, langen Haar zu verstecken, auch die Tochter findet darunter Zuflucht. Das Haar der Mutter erinnert an das der Königinnen auf den Gemälden, die bei der Familie zu Hause hängen. Dieses Buch hat nicht nur das Sehen von Maria Antas, sondern auch ihre Werte.
Am Todestag von Michael Jackson, am 25. Juni 2009, starb fast unbemerkt auch die Schauspielerin Farrah Fawcett im Alter von 62 Jahren. Zwei Monate zuvor zeigte der Sender NBC einen von ihr selbst produzierten Dokumentarfilm, in dem sie von ihrem Kampf gegen den Krebs erzählte, an dem sie 2006 erkrankt war. Gemeinsam mit einer Freundin beschloss sie, das Leben einer Krebspatientin zu dokumentieren. In einer Szene steht sie vor dem Spiegel. Ein Teil ihrer Haare ist bereits ausgefallen, den Rest streicht sie mit der Hand von ihrem Schädel. „Die Haarikone trennt sich von ihrem Symbol. Sie näherte sich ihrem Tod mit Würde, Differenziertheit und Menschlichkeit, sie zeigte ihr wahrstes Gesicht. Einen Kopf ohne Haar“ (Maria Antas). Das Wort "Kosmetik" kommt aus dem Griechischen und hat die gleiche Bedeutung wie "Kosmos": Ordnung. Am Ende kehrte die Schauspielerin zu dem zurück, was ihr gegeben war. Das, was ihre Persönlichkeit ausmachte, zeigte sich in ihrem Gesicht.
Weiterführende Literatur:
Maria Antas: Waschen, schneiden, föhnen. Eine Kulturgeschichte des Haars. Insel Verlag, Berlin 2018.
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018, S. 172- 177.