Kriminalität von Managern: Die fehlende Kontrolle der Presse
Jeden Monat überprüfen wir die Thesen von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen. Dieses Mal sprach Ingmar Höhmann, Redakteur des Harvard Business managers, mit Jonas Heese, Professor an der Harvard Business School im Bereich Accounting und Management. Bei der Studie, um die es in diesem Interview geht, arbeitete Heese mit Gerardo Pérez Cavazos von der Universität von Kalifornien in San Diego und Caspar David Peter von der Erasmus Universität Rotterdam zusammen.
Die Studie: H****arvard-Professor Jonas Heese hat untersucht, ob das Zeitungssterben in den USA Wirtschaftskriminalität befördert. Seine Studie umfasste 1383 Aktiengesellschaften, die zwischen 2000 und 2017 mehr als 26.000-mal Gesetze gebrochen hatten. In den Regionen, in denen Zeitungen geschlossen wurden, fanden nicht nur mehr Verstöße statt, auch die verhängten Bußgelder fielen deutlich höher aus.
Die These: Manager begehen mehr Straftaten, wenn es keine lokale Presse gibt.
Harvard Business manager: Was haben Sie herausgefunden?
Jonas Heese: Wenn eine lokale Zeitung schließt, verstoßen die Niederlassungen börsennotierter Unternehmen im Verbreitungsgebiet der Zeitung häufiger gegen das Gesetz. Leidtragende sind die Arbeiter und Arbeiterinnen, die Investoren, die Umwelt und selbst der Staat, weil bei Staatsaufträgen mehr geschummelt wird. Wir decken in unserer Studie fast alle Stakeholdergruppen ab. Die Zahl der Gesetzesverstöße stieg um 1,1 Prozent, und die Geldbußen, die daraus resultieren, erhöhten sich um 15,2 Prozent. Die zusätzlichen Verstöße waren also deutlich schwerer.
Wie ist das zu erklären?
Was verursacht Kosten für Unternehmen, die das Gesetz brechen? Nicht die paar Tausend Dollar Geldbuße, die sie zahlen müssen, wenn sie Vorschriften missachten. Die große Gefahr ist Rufschädigung. Bei börsennotierten Unternehmen kann der Aktienpreis in den Keller gehen. Dieser Zusammenhang zeigte sich dadurch, dass der Effekt deutlich größer war bei Firmen, die in der Öffentlichkeit stehen und über die viel geschrieben wird.
Wenn so viel auf dem Spiel steht, würden diese Unternehmen doch trotzdem alles daransetzen, rufschädigendes Verhalten zu unterbinden.
Sie haben aber nicht Kontrolle über alles, was in ihren lokalen Niederlassungen geschieht. Wir gehen von folgendem Mechanismus aus: Die Zentralen üben Druck auf die Standorte in den Regionen aus, ihre Leistung zu erhöhen. Aber sie können dann nicht nachverfolgen, wie jede einzelne Niederlassung dieses Ziel erreicht. Sie sind auch auf externe Informationen vor Ort angewiesen, und das sind häufig Journalisten und Journalistinnen. Wenn es diese nicht mehr gibt, missachten die lokalen Manager eher das Gesetz, um die vorgegebenen Ziele zu erreichen. Sie leiten etwa Chemikalien in Flüsse, um Entsorgungskosten zu sparen.
Sind dafür nicht Behörden zuständig?
Wenn es den Behörden auffällt, ist die Folge einfach nur ein Bußgeld. Die Öffentlichkeit erfährt nichts davon, weil keine Journalisten mehr da sind, um darüber zu berichten. Das Verhalten hat also keine schwerwiegenden Konsequenzen, darum schrecken Managerinnen und Manager nicht mehr davor zurück. Ich kann allerdings nicht genau sagen, was die Firmen machen. Wir können nur Durchschnittseffekte belegen.
Die Zahl der Fälle stieg nur um 1,1 Prozent. Das hört sich nicht nach viel an.
Als Empiriker bin ich darauf angewiesen, dass eine Behörde sagt: "Hier gibt es einen Gesetzesverstoß." Die Dunkelziffer ist riesig. Was die Behörden nicht erfassen, ist in unserem Effekt nicht enthalten. Deshalb ist es ohnehin eine konservative Zahl.
Wir haben auch die Emission von Giftgasen gemessen. Fabriken in den USA müssen diese Emissionen offenlegen. Der Ausstoß von giftigen Gasen ist aber kein Gesetzesverstoß, bei dem eine Behörde eine Geldbuße verhängt. Es gibt einfach ein Register, in dem die Mengen aufgeführt sind. Unternehmen haben wenig Grund, hier zu schummeln. Unsere Analyse zeigt: Nachdem Lokalzeitungen geschlossen wurden, stiegen die Emissionen um mehr als 18 Prozent. Das ist ein ziemlich großer Effekt. Verschwindet die lokale Presse, steigt die Umweltverschmutzung.
Manche Konzerne haben sehr viele Niederlassungen. Wie haben Sie zwischen den Standorten unterschieden?
Um ein Beispiel zu geben: Wir hatten alle Niederlassungen von Boeing in unserer Stichprobe. Dann haben wir geschaut, was in einer Niederlassung im Vergleich zu anderen Niederlassungen von Boeing passierte, wenn die örtliche Zeitung zugemacht hatte. Wir haben auch die Verstöße der Niederlassung vor und nach der Zeitungsschließung verglichen.
Machte es einen Unterschied, ob es eine oder mehrere Lokalzeitungen gab?
Der Effekt war drastisch größer, wenn es die letzte verbliebene Zeitung in einer Region war. Das ist ja das Bemerkenswerte. Vor allem im Mittleren Westen der USA gibt es heute viele Regionen, über die keine Zeitung mehr berichtet. Manche Unternehmer begreifen dies als Freifahrtschein für unlautere Machenschaften.
Hat Sie Ihr Ergebnis überrascht?
Ja, schon. Viele Leute denken, dass Lokalzeitungen für die Wirtschaft keine große Rolle mehr spielen. Oder dass die Zeitungen wenig Biss haben, weil sie auf die Anzeigen angewiesen sind. Wenn ein Großteil der Leserschaft bei einem der Hauptarbeitgeber in der Region angestellt ist, kann es nicht im Interesse der Zeitung sein, diesen schlechtzumachen. Ein Beispiel ist der DuPont-Umweltskandal, über den 2020 der Film "Vergiftete Wahrheit" in die Kinos kam. Eine Fabrik des Konzerns in den USA leitete jahrzehntelang giftige Chemikalien ins Abwasser. Niemand traute sich, dagegen vorzugehen, weil DuPont der größte Steuerzahler und Arbeitgeber in der Region war.
Haben Sie ein Beispiel für eine Lokalzeitung, die über Fehlverhalten berichtete und dann schließen musste?
Die "Rocky Mountain News" aus Denver. Sie gewann zwischen 2000 und ihrer Schließung 2009 vier Pulitzerpreise und stand für hochwertigen Journalismus. Sie berichtete unter anderem über Betrug von Investoren bei Qwest, einem börsennotierten Unternehmen mit Sitz in Denver. Wegen dieser Berichte schaute sich die Börsenaufsicht SEC die Firma genauer an – und bestätigte den Gesetzesverstoß. Es gibt viele solcher Beispiele. Die "Tampa Tribune", die 2016 nach 123 Jahren schließen musste, hatte einen Ruf für investigative Geschichten über lokale Unternehmen. Sie machte zum Beispiel betrügerische Transaktionen bei der Wachovia Bank in Tampa publik, die zur Großbank Wells Fargo gehört.
Vielleicht sterben Zeitungen eher in wirtschaftsschwachen Regionen, in denen viele Firmen Probleme haben. Wer mit dem Rücken zur Wand steht, greift schneller zu unlauteren Mitteln.
Gutes Argument – den Gedanken hatten wir auch. Also haben wir eine Zusatzanalyse gemacht und dafür ein in der Forschung verbreitetes Instrument gewählt: Craigslist, eine Anzeigenwebsite, die in den USA sehr beliebt ist. Studien zeigen: Wenn Craigslist eine lokale Seite aufmacht, schalten Firmen dort Inserate, die sonst in Lokalzeitungen erschienen wären. Wir konnten nun nachweisen: Mit dem Auftauchen von Craigslist erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit, dass Redaktionen schließen mussten und in der Folge die Wirtschaftskriminalität zunahm. Der Anstieg der Gesetzesverstöße hing also direkt mit dem durch Craigslist ausgelösten Zeitungssterben zusammen, nicht mit dem wirtschaftlichen Umfeld.
Glauben Sie, die Situation ist in Deutschland ähnlich?
Vermutlich ist das Problem kleiner, vor allem aufgrund der höheren Zeitungsdichte. Mein Hauptproblem ist, dass es in Deutschland keine Daten darüber gibt, wie häufig Unternehmen gegen Gesetze verstoßen. Wissen wir in Deutschland, wie oft Firmen bei Staatsaufträgen geschummelt haben? Nein. Wie häufig sie Umweltauflagen verletzt haben? Nein. Die USA sind da transparenter – es gibt diese Daten. Wir haben von der Arbeit einer Plattform namens Violation Tracker profitiert. Sie gehört zur gemeinnützigen Organisation Good Jobs First, sammelt Daten von mehr als 40 Behörden und enthält Angaben zu mehr als 310.000 Verfahren gegen Unternehmen seit dem Jahr 2000.
Treten die sozialen Medien an die Stelle der Journalisten?
Das haben wir in einer Studie untersucht, die noch nicht veröffentlicht ist. Unser Ergebnis ist, kurz gesagt: Wenn es lokale soziale Medien gibt, betrügen Unternehmen weniger. Das heißt aber nicht, dass wir keine Zeitungen mehr brauchen. Zwar kann jeder zum Hinweisgeber werden, wenn er auf Twitter postet, dass ein Unternehmen betrügt. Aber es braucht auch jemanden, der diese Information aufnimmt, ihr nachgeht und sie verbreitet.
Sollte der Staat Lokalzeitungen fördern, wenn sie so wichtig sind?
Vor allem müssen sich die Zeitungen selbst Gedanken machen, wie sie ihr Geschäftsmodell zukunftsfähig machen. Das ist leichter gesagt als getan. Aber in den USA übernehmen Private-Equity-Firmen Lokalzeitungen, weil sie daran glauben, dass diese Rendite abwerfen. Natürlich muss es nicht automatisch zu hochwertigen Berichten führen, wenn sich eine Zeitung keine wirtschaftlichen Sorgen machen muss. Ob der Staat der richtige Investor wäre – da habe ich Zweifel. Vielleicht sollte er lieber mehr Geld an die Behörden geben, damit diese kriminellen Unternehmen besser auf die Spur kommen. Außerdem ist der Staat auch fehlbar: Eine Studie hat gezeigt, dass Politiker ebenfalls korrupter werden, wenn Lokalzeitungen dichtmachen.
Wenn der HBm schließen müsste, würden dann mehr Managementforscher bei Studien flunkern?
Ich vermute, es hätte keinen großen Effekt.
Wir planen auch nicht zu schließen.
Das freut mich.
© HBm 2022
Dieser Artikel erschien in der Februar-Ausgabe 2022 des Harvard Business managers.
