Krise hier, Rekorde dort: Was macht Renault besser als VW?
Die Geschäftsberichte großer Autobauer gehören aktuell ins Genre der Horrorliteratur: Arbeitsplätze werden abgebaut, Werke geschlossen oder verkauft, Schichten gestrichen, Prämien gekürzt. Nur ein Unternehmen stemmt sich erfolgreich gegen die Krise: Renault. Ausgerechnet der Kleinste unter den Großen hat 2024 ein Rekordjahr hingelegt.
Die jüngsten Bilanzen der großen Autohersteller sind alles andere als eine erbauliche Lektüre: Gewinneinbruch bei Volkswagen (- 31 Prozent), Mercedes-Benz (- 28 Prozent) und BMW (- 37 Prozent). Stellantis (Opel, Peugeot, Fiat) hat sogar zwei Drittel des operativen Gewinns eingebüßt.
Ernüchternde Zahlen
Und Renault? Der Umsatz ist um 7,4 Prozent auf 56,2 Milliarden Euro gewachsen, das Betriebsergebnis um 146 Millionen Euro auf 4,3 Milliarden Euro, der Nettogewinn sogar um 21 Prozent auf 2,8 Milliarden Euro. Wurde man früher in Wolfsburg, Stuttgart und München als südeuropäische Kleinwagenmarke belächelt, schauen die Manager der deutschen Autobauer heute ungläubig auf deren Erfolg. Noch nie in seiner 125-jährigen Geschichte war Renault so profitabel.
Auch der Aktienkurs der Franzosen konnte die deutsche Konkurrenz im Jahresvergleich abhängen: Um 12 Prozent legte die Renault-Aktie zu, während VW (- 7 Prozent), Mercedes (- 18 Prozent) und BMW (- 22 Prozent) abgestürzt sind (Stand: 20.3.). Im Fünf-Jahres-Vergleich schlug das Renault-Papier Volkswagen sogar um satte 20 Prozent.
Erfolgsmanager Luca de Meo
Was ist das Erfolgsgeheimnis des französischen Autoherstellers, der mit 2,26 Millionen verkauften Fahrzeugen gerade einmal Nummer 15 in der Welt ist? Da ist vor allem Vorstandschef Luca de Meo zu nennen, seit 2020 führt er Renault. Der 57-jährige Italiener ist ein erfahrener Automanager mit einer bemerkenswerten Bilanz: Als Chef der Marke Fiat führte er den Fiat 500 ein, das erfolgreichste Modell der Italiener seit vielen Jahren.
Der Coup blieb in Wolfsburg nicht unbemerkt. VW-Patriarch Ferdinand Piëch holte de Meo 2009 zu Volkswagen. Als Marketingchef brachte er dort den Kleinwagen Up auf Trab. Zum Dank wurde de Meo 2015 zur kriselnden spanischen VW-Tochter Seat entsandt. Eigentlich ein Himmelfahrtskommando – zuvor hatten sich schon einige Automanager an der Sanierung der chronisch defizitären Marke die Zähne ausgebissen, unter anderem Bernd Pischetsrieder. Doch de Meo legte mit der Gründung der Submarke Cupra den Grundstein für einen Erfolg, der bis heute anhält. Jüngst hat Seat mit Cupra das erfolgreichste Jahr seiner Geschichte verkündet.
Aufräumen bei Renault
2020 verließ Luca de Meo Seat und den VW-Konzern, um Vorstandsvorsitzender bei Renault zu werden. Alles andere als eine leichte Aufgabe, Renault hatte so ziemlich jeden Trend in der Automobilindustrie verpasst. China? Kein einziges Werk besaßen die Franzosen dort. SUV? Hielt man bei Renault lange für überflüssig. Eine Premiummarke fehlte genauso im Programm. Global war Renault nur in Südamerika und Russland präsent. Wie sollte daraus eine Erfolgsgeschichte werden?
Auf der Habenseite gab es die Allianz mit Nissan und die Tochter Dacia, die rumänische Billigmarke. Also alles andere als ideale Voraussetzungen. Aber de Meo packte es an – nach dem Motto „Du hast keine Chance, also nutze sie“. Nicht in China vertreten zu sein, darüber ist man bei Renault heute froh.
Intelligentes Engineering
Dacia war von Anfang an ein Erfolg. Als Renault die Rumänen übernahm, wurde das in Wolfsburg noch belächelt. Schließlich hatte man mit Škoda bereits eine eigene Einstiegsmarke in Osteuropa. Doch Renault schaffte es, durch intelligentes Engineering die Preise der tschechischen VW-Tochter deutlich zu unterbieten. Seit Jahren ist der Dacia Sandero das billigste Auto auf dem Markt. Aktuell kostet er 12.500 Euro, 7000 Euro weniger als der Škoda Fabia.
So ist es kein Wunder, dass der Dacia Sandero in Europa 2024 das meistverkaufte Auto wurde – vor dem technisch ähnlichen Renault Clio. VWs Bestseller Golf landete auf dem dritten Rang. Vor allem Privatkunden, auch in Deutschland, rennen den Dacia-Händlern die Türen ein. Sie sind nicht mehr bereit, die ständig steigenden Preise neuer Autos zu bezahlen, und weichen auf Gebrauchtwagen aus – oder auf Dacia.
Konzentration auf das Wesentliche
Das Erfolgsgeheimnis von Dacia sind nicht nur die niedrigen Produktionskosten in Rumänien. Schon bei der Entwicklung achten die Ingenieure peinlich genau auf die späteren Produktionskosten: Was braucht der Kunde wirklich (Rückfahrkamera, Navi), worauf kann er verzichten (Schiebedach)?
Gemeinsam mit dem chinesischen Autohersteller Geely, der auch an Mercedes beteiligt ist und dem Marken wie Volvo, Smart und Polestar gehören, baut Renault Verbrennungsmotoren. Bei Horse Powertrain, so der Name des Gemeinschaftsunternehmens, lässt Mercedes künftig seine modernsten Vierzylinder für den neuen CLA bauen. Renault hilft das Joint Venture, die Kosten für die nach wie vor beliebten Verbrenner zu senken und gleichzeitig in die elektrische Zukunft zu investierten.
Effekte dank Synergien
Mit Nissan betreiben die Franzosen das Gemeinschaftsunternehmen Ampere. Dort werden kostengünstige Elektroantriebe entwickelt. Luca de Meo hat sich vorgenommen, die Kosten für Batterien und Leistungselektronik in naher Zukunft um 40 Prozent zu senken.
Schon aktuell ist Renault bei der E-Mobilität gut aufgestellt: 22 Prozent der verkauften Autos hatten im vergangenen Jahr einen Elektromotor an Bord. Damit hat das Unternehmen 2024 den von der EU verlangten CO2-Wert unterboten. Auch die schärferen CO2-Grenzen dieses Jahres hätte Renault wohl erreicht, ohne dass die EU-Kommission – wie jetzt beschlossen – der Autoindustrie mehr Zeit dafür gibt.
Modernisierte Klassiker
Denn mit dem R5 und R4 hat Renault zwei bezahlbare, attraktive Elektroautos auf den Markt gebracht – die Modelle sind auf Monate ausverkauft. So gibt es den Renault 4 E-Tech ab 27.300 Euro. Optisch ist er eine Reminiszenz an den legendären R4, technisch ein praktisches Elektroauto mit bis zu 300 Kilometern Reichweite. Als Spaß- und Stadtauto kommt der elektrische Renault 5 E-Tech im Stil des alten R5 hinzu.
Während Renault damit schon zwei Elektroautos für unter 30.000 Euro im Programm hat, wird Volkswagen ein solches Modell erst auf der IAA im September vorstellen. Dort wird Renault mit einem vollelektrischen Twingo dann allerdings ein Elektroauto zum Preis von unter 20.000 Euro zeigen und schon im nächsten Jahr in den Verkauf bringen. Der ähnlich günstige Volkswagen ID.1 wird dann noch ein Jahr auf sich warten lassen. Das Angebot von Renault, gemeinsam preiswerte Elektroautos zu entwickeln und zu bauen, hat Volkswagen abgelehnt. Der mächtige Betriebsrat des VW-Konzerns wollte damit Beschäftigung in den eigenen Fabriken sichern. Das rächt sich jetzt: Renault hat ein Jahr Vorsprung auf VW.
Mit Alpine als sportliche Submarke will Luca de Meo nun bei Renault den Erfolg wiederholen, den er mit Cupra bei Seat hatte. Die Erfolgsstory von Renault dürfte er damit weiterschreiben.
