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Krisenmanagement: Wie Sie in der Rezession gut führen

Wenn sich Krisen häufen, werden Menschen nicht stärker, sondern anfälliger und unsicherer. Worauf gute Führungskräfte jetzt achten müssen.

Von Merete Wedell-Wedellsborg

Meine Tage sind unvorhersehbar. Ich kann Versprechen nicht halten, setze Prioritäten neu und zweifle. Das zermürbt mich. Ich habe das Gefühl, hart erarbeitetes Vertrauen zu verspielen“, sagte das Mitglied eines Führungsteams in einer unserer Coachingsitzungen. „Ich muss dringend darüber nachdenken, wie ich in einer schlechten Wirtschaftslage eine gute Führungskraft sein kann.“

Auf dem Papier war meine Gesprächspartnerin eine gute Chefin. Sie wandte bewährte Strategien an, um sich auf einen wirtschaftlichen Abschwung vorzubereiten: Sie wurde aktiver. Sie arbeitete enger mit ihrem Team zusammen und steigerte das Tempo. Sie hielt die Mitarbeitenden an, mehr zu schaffen. Doch anstatt die Situation zu verbessern, erschöpften die Maßnahmen sowohl die Führungskraft als auch das Team. Es war, als würden sie ihr Haus niederreißen bei dem Versuch, einen Schutzwall zu errichten.

Dieses Gefühl dürfte vielen Führungskräften und Teammitgliedern vertraut sein. Gerade noch versuchten sie mit den Nachwirkungen der Pandemie klarzukommen, dann kamen schon Diskussionen über eine Rezession auf. Es gibt die weitverbreitete Vorstellung, dass Krisen die Menschen stärken und dazu befähigen, nachfolgende Krisen besser zu bewältigen. Das entspricht jedoch nicht der Realität. Wenn sich Krisen häufen, werden Menschen anfälliger – und unsicherer.

Diese Unsicherheit stellt eine enorme Herausforderung dar, weil einige der üblichen Reaktionen auf Krisen nicht funktionieren. Wenn Führungskräfte das Standardregelwerk beherzigen, laufen sie sogar Gefahr, eine destruktive Kettenreaktion auszulösen und die Krise zu verschlimmern. Ich empfehle, drei Grundprinzipien zu berücksichtigen, die alle gleich wichtig sind: enger zusammen­rücken, ohne andere zu erdrücken; schneller werden, ohne hektisch zu sein; und ein größeres Arbeitspensum zuweisen, ohne Beziehungen zu opfern.

Wenn sich ein wirtschaftlicher Abschwung ankündigt, besteht die erste Reaktion von Führungskräften oft darin, näher an ihre Mitarbeitenden heranzu­rücken. Meetings werden häufiger an­gesetzt, Reportings immer öfter ange­fordert, Gespräche gehen mehr ins Detail. Das ist auch kein Wunder, Chefs wollen schließlich besser verstehen, was vor sich geht. Sie suchen nach Antworten. Und sie wollen sichergehen, dass ihre Teams auf dem richtigen Weg sind und alles tun, um die Situation zu lösen.

Psychologisch gesehen ist der Antrieb für diese Reaktion jedoch oft das Bedürfnis nach Kontrolle. Das Näherrücken ist ein riskantes Manöver, das durchaus Nachteile hat. Teams haben in der Pan­demie gelernt, eigenverantwortlich und unabhängiger zu arbeiten. Die Kontrolle durch die Chefin oder den Chef kann sich da wie ein Rückschritt anfühlen und als Zeichen von Misstrauen und Entmündigung gewertet werden. Mitarbeiter sind mehr und mehr damit beschäftigt, ihre Führungskraft zufriedenzustellen, und werden dadurch von ihrer eigentlichen Arbeit abgelenkt. Das Resultat ist eher erdrückend als motivierend.

Hinzu kommt: Wenn sich Führungskräfte zu sehr mit den Angelegenheiten ihrer Mitarbeitenden beschäftigen, verbringen sie zu viel Zeit mit unnötigen Details und Mikromanagement. Der schlimmste Fall wäre, wenn eine Führungskraft formell die Rolle eines Mitarbeiters übernimmt, in dem Glauben, sie könne es besser.

In einem Finanzinstitut war ein Manager beispielsweise so frustriert über den drohenden Verlust eines Großkunden, dass er in eine Besprechung seines Teams hineinplatzte und das Gespräch mit dem Kunden unterbrach. Er war kurzatmig, aufgeregt und verschwitzt. In dem Meeting stellte er sich hinter seine Mitarbeiter, um sie zu beobachten und Fragen zu stellen. Später erklärte er, er sei nur da ge­wesen, um „sicherzustellen, dass ihr eure Arbeit richtig macht“, und um „die Mannschaft anzufeuern“. Sein Plan ging nicht auf, und das Unternehmen verlor den Kunden mit der Begründung, dass „ein feindseliges, unreifes und hektisches Umfeld herrschte, in dem man sich nicht wohlgefühlt hat“. Das Team löste sich schließlich auf, das Unternehmen verlor vielversprechende Talente.

Natürlich gibt es legitime Gründe, enger zusammenzuarbeiten. Zum Beispiel wenn Managerinnen und Manager ihre Entscheidungen auf Vor-Ort-Erfahrungen ihrer Mitarbeiter stützen wollen oder wenn sie ihre Unterstützung zeigen wollen. Aber sie dürfen nicht vergessen, dass es bei Nähe darum geht, zu motivieren, anzuregen und zu unterstützen. Kon­trolle, Demotivation und Zweifel haben an dieser Stelle nichts verloren.

Eine ausgewogene Herangehensweise ist die „Touch and go“-Methode. Dabei hören Sie sich die Probleme der Mitarbeitenden an, nehmen sie ihnen aber nicht ab und machen sie nicht zu Ihren eigenen. Stellen Sie sicher, dass Sie nicht die ­To-do-Liste Ihres Teams übernehmen, sondern dass Ihr Team diese in der Hand hält und versteht, dass es den Stift zum Abhaken besitzt.

Arbeiten Sie enger zusammen, aber lungern Sie nicht in der Nähe Ihrer Leute herum – und haben Sie eine klare Ausstiegsstrategie. Wenn Sie genug gesehen haben, geben Sie das Zepter wieder an Ihre Mitarbeitenden zurück.

Die zweite typische Reaktion ist eine gesunde Neigung dazu, handeln zu wollen. In Krisenzeiten können Führungskräfte nicht untätig herumsitzen und Däumchen drehen, denn die Zeit drängt. Das spürt man an der hektischen Abfolge der Meetings, am bisweilen harschen Tonfall oder am zunehmend unruhigeren Auftreten der Führungskraft.

Es gibt jedoch einen schmalen Grat zwischen Eile und Hektik. Managerinnen und Manager müssen bedenken, dass die Pandemie viele Menschen verunsichert und deshalb nicht gerade widerstandsfähiger gemacht hat. Stress und psychische Probleme sind deutlich mehr geworden. Infolgedessen verstehen die meisten Menschen zwar, dass es in einer Krise schnell gehen muss, aber ihre Toleranz gegenüber rücksichtsloser Führung ist deutlich geringer als vor der Pandemie.

Die Toleranz gegenüber rücksichtsloser Führung ist inzwischen deutlich geringer als vor der Pandemie.

Führungskräfte können dieses Problem vermeiden. Sie sollten die psychologischen Fallen beachten, in die sie in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nur allzu leicht tappen. Eine davon ist, dass die Menschen glauben, weniger Zeit zu haben, als dies tatsächlich der Fall ist. Dann neigen sie dazu, sich imaginäre, selbst auferlegte Fristen zu setzen. Aussagen wie „Wir brauchen eine Lösung bis Ende des Monats“ mögen zwar Dringlichkeit erzeugen, aber wenn die bessere Lösung noch einige Monate benötigt, können derlei Fristen leicht dazu führen, dass die Qualität leidet.

Hinzu kommt, dass Führungskräfte in schwierigen Zeiten auf abweichende Meinungen oft deutlich weniger tolerant ­reagieren. Sie neigen dazu, sich mehr auf sich selbst und die eigenen Überzeugungen zu konzentrieren. Wenn andere ihre Ideen oder Vorschläge ablehnen, fühlen sie sich daher häufig angegriffen. Die Folge: Sie nehmen die Kritik nicht als konstruktives Feedback wahr, sondern als Form des Widerstands.

Früher oder später führt dieses Verhaltensmuster zu einem inneren Rückzug der Teammitglieder und zu einem Gefühl des „falschen Konsenses“ über Ideen, also nur einer scheinbaren Zustimmung. Dies mag zwar zu schnelleren Entscheidungen führen, kann aber auch unabhängiges Denken stören und verhindert die Entwicklung besserer Lösungen.

Ein ausgewogener Ansatz besteht darin, eine bewusste Verzögerung zwischen der Idee, der Entscheidung und der Handlung zu schaffen. Betrachten Sie dies als Impulskontrolle nach Plan: Schaffen Sie Strukturen und Prozesse, in denen Sie anderen (dem Vorstand, externen Beratern, Kollegen oder engen Mitarbeitenden) die Möglichkeit geben, Ihre Pläne zu prüfen und zu hinterfragen. Sie haben keine Zeit oder Geduld für endlose Bürokratie und Schleifen, also gestalten Sie diese Prozesse schnell und informell. Manchmal reicht schon ein kurzes Gespräch am Telefon, in dem Sie Ihr Vorhaben erläutern und die unmittelbare Reaktion einer Person Ihres Vertrauens testen.

Mehr arbeiten, ohne Beziehungen zu gefährden

Die dritte typische Reaktion auf einen wirtschaftlichen Abschwung besteht darin, dass sich die Führungskräfte stärker an den Aufgaben orientieren und zwischenmenschliche Beziehungen vernachlässigen. Genau wie die frustrierte Führungskraft weiter oben in diesem Artikel fordern viele Managerinnen und Manager ihre Teams auf, ein größeres Arbeits­pensum zu übernehmen. Die To-do-Liste wird immer länger, weil „mehr“ sich besser anfühlt und „mehr“ wie verantwortungsvolle Führung erscheint.

Vielleicht hören Sie auch Aussagen wie: „Wir müssen jetzt Probleme lösen, nicht Leute verhätscheln.“ Deswegen werden Betriebsausflüge gestrichen, Talentprogramme auf Eis gelegt, Vergünstigungen gekürzt, und Höflichkeit und Einfühlungsvermögen gehen den Bach runter.

Beziehungsarbeit ist aber kein Verhätscheln, sondern knallhartes Leistungsmanagement. Wir haben aus den Folgen der Pandemie gelernt: Talentierte Menschen kündigen selten nur deshalb, weil ihre Arbeit schwieriger wird oder weil schwerere Zeiten bevorstehen. Sie kündigen, weil sie das Vertrauen in ihre Führungskräfte, in ihre Kollegen oder in die Zukunft des Unternehmens verlieren. Oder sie ziehen sich zurück, weil sie sich ungerecht behandelt oder vernachlässigt fühlen. Ja, Menschen gehen zur Arbeit, um für den Unternehmenszweck zu arbeiten und ihre Aufgaben zu erledigen. Aber sie kommen jeden Tag wieder, weil sie die sozialen Kontakte und das Gemeinschaftsgefühl schätzen. Lassen Sie also weiterhin Raum für Beziehungsarbeit.

Dazu gehört auch, dass Sie ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Aufgaben und Beziehungen wahren. Seien Sie gegenüber Ihrem Team transparent: Welche Art und Qualität von Arbeitsbeziehungen erwarten Sie in einer schweren Zeit? Welche Art von Herausforderungen und Unterstützung erwarten Sie voneinander? Welche Art von Kompromissen sind Sie nicht bereit einzugehen, selbst wenn sie kurzfristige Ergebnisse bringen würden? Wenn Sie sich in einem längeren Abschwung befinden, sollten Sie mit Ihrem Team einen Schritt zurücktreten und neu definieren, wie Erfolg aussieht – und zwar nicht nur für die Arbeits­aufgaben selbst.

Eine gute Führungskraft in einer schlechten Wirtschaftslage zu sein war schon immer eine Herausforderung. Diesmal ist es sogar noch schwieriger, weil wir zusätzlich noch unter den Nachwirkungen der Pandemie leiden. Managerinnen und Manager sollten deshalb genau prüfen, ob die bewährten Krisenreaktionen noch funktionieren.

Natürlich ist es angesichts des wirtschaftlichen Abschwungs keine Alter­native für Führungskräfte, abzuwarten und nichts zu tun. Doch sie sollten ihre instinktive Reaktion, sofort etwas zu tun – näher zusammenzurücken, schneller zu handeln, die Arbeitsintensität zu erhöhen –, in die richtigen Bahnen lenken. Setzen Führungskräfte diese Maß­­nahmen nicht mit Augenmaß ein, könnten sie die Krise für ihr Team sogar noch vergrößern. © HBP 2023

Autorin

Merete Wedell-Wedellsborgbetreibt ihre eigene wirtschaftspsychologische Praxis mit Kunden aus dem Finanz-, Pharma- und Verteidigungssektor. Sie ist Autorin des Buches „Battle Mind: How to Navigate in Chaos and Perform Under Pressure“.

Dieser Artikel erschien erstmals in der März-Ausgabe 2023 des Harvard Business managers.

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