Kündigen ohne neuen Job? Finde heraus, was ein guter Weg für Dich ist (Bild: 123rf.com)
17.7.2023

Kündigen ohne neuen Job? So triffst Du eine kluge Entscheidung

Einfach den Job hinschmeißen und den Kopf frei für Neues haben? Oder lieber auf Nummer sicher gehen? Diese vier Fragen helfen, eine Entscheidung zu treffen.

„Es geht nicht mehr, ich würde am liebsten noch heute kündigen.“ Mit dieser Aussage kommen viele in ihrem Beruf gestresste Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu mir ins Karrierecoaching. Doch sie alle fragen sich (und mich) im nächsten Moment, wie eine Eigenkündigung im Lebenslauf aussehen wird, was ein neuer Arbeitgeber wohl darüber denkt und wie hoch das finanzielle Risiko ist, eine noch unbestimmte Zeit der Jobsuche und Bewerbung ohne sicheres Gehalt zu überstehen.

Kündigung ohne neuen Job: Schandfleck im Lebenslauf oder Freiheit pur?

Manche Karriereberater prophezeien immer noch, dass die bei einer Kündigung ohne neue Stelle klaffende Lücke einen Lebenslauf für immer und ewig verschandelt und raten daher kategorisch von solch gewagtem Schritt ab.

Andere warnen vor einer schlechteren Verhandlungsposition einem neuen Arbeitgeber gegenüber, denn schließlich sei der Druck größer, einen neuen Arbeitsvertrag zu unterschreiben. Stattdessen solle man irgendwie durchhalten, sich parallel bewerben und erst kündigen, wenn die Tinte unter dem neuen Vertrag trocken ist.

Noch andere wiederum, die einfach so mutig ausgestiegen sind, bezeichnen es als die beste Entscheidung ihres Lebens. Schließlich sei Sicherheit nur eine Illusion und das Leben zu kurz, um Frust im Beruf auszuhalten oder sogar krank zu werden.

Alle Meinungen besitzen Wahrheit. Doch sie allein führen Betroffene nicht hin zu einer endgültigen Entscheidung für oder gegen die Eigenkündigung ohne neue Stelle. Viele meiner Klienten berichten mir, dass sie sich schon seit Jahren intensiv mit einer beruflichen Veränderung beschäftigen, Ratgeber studiert sowie aus ihrem privaten Umfeld viele Meinungen gehört haben und so das Gedankenkarussell mit der Zeit immer mächtiger geworden ist. Sie selbst haben jedoch immer weiter ausgeharrt, statt etwas zu verändern.

Richtig oder falsch? Das ist persönliche Ansichtssache

Keine Frage, es ist eine schwierige Entscheidung, die für viele mit Selbstzweifeln, Ängsten und Sorgen verbunden ist. Den Job freiwillig hinzuschmeißen, den lieb gewonnenen Kollegen auf Wiedersehen zu sagen, finanzielle Abstriche hinzunehmen und sich auf unbestimmte Zeit mit Stellensichten, Bewerbungenschreiben und bohrenden Fragen im Vorstellungsgespräch herumzuschlagen, das alles ist nichts, was uns vor Freude jubeln lässt.

Es ist mir im Coachingprozess wichtig, bei dieser Frage ausdrücklich nicht die Radikalposition eines Richtig oder Falsch zu vertreten. Denn die Lebensläufe, Wechselmotive sowie persönlichen Situationen von Menschen sind viel zu individuell, um solch einen Schritt auf Basis von Schwarz-Weiß-Denke und dem pauschalen, schnellen Tipp zu entscheiden.

Je nach Grad der Belastung im aktuellen Beruf, dem kollegialen Umfeld, der Beziehung zum Chef, der persönlichen Lebenssituation und den Zielen für die nächsten Jahre kann die Kündigung ohne neue Stelle für manche sehr zielführend und somit sinnvoll, für andere jedoch auch riskant und schädlich für den Veränderungsprozess sein.

Kündigen ohne neuen Job? Diese vier Fragen solltest Du für Dich beantworten

1️⃣ Bist Du wirklich schon bereit, an Deiner Zukunft zu arbeiten?

An seiner beruflichen Zukunft zu arbeiten erfordert die mentale Bereitschaft, über die Ziele der nächsten Jahre sowie mögliche Schritte dorthin nachzudenken. Vielen in ihren Berufen aktuell frustrierten, enttäuschten und unter Druck stehenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern fällt es schwer, ihre belastenden Gedanken rund um das Gestern und Heute hin zu einer neugierig motivierenden Sicht auf das Morgen zu lenken.

Wer noch nicht bereit ist, den Blick in die Zukunft zu richten, der sollte zunächst Abstand von der aktuell belastenden Situation gewinnen. Dies ist mit einer bewussten Auszeit und damit auch einer Kündigung möglich, um das Alte zu beenden, bevor das Neue beginnen darf.

Vielleicht reicht auch bereits eine gezielte Veränderung der eigenen Einstellung zur aktuellen Tätigkeit aus, um die nötige Distanz zum täglichen Wahnsinn zu gewinnen und die knappe Energie nicht in unpassende Jobs, falsche Kollegen oder miese Chefs zu investieren, sondern ab sofort für Deine persönliche Zukunft zu nutzen.

2️⃣ Wie viel Zeit besitzt Du heute für Jobsuche und Bewerbung?

Bewerbung ist ein Vollzeitjob. Viele Jobwechsler unterschätzen den Aufwand, der mit einer wirkungsvollen und erfolgreichen Bewerbung verbunden ist. Von der gezielten Jobsuche über die Auswahl der passenden Jobbörsen, die Formulierung des Anschreibens - wo es noch verlangt wird, das Update des Lebenslaufs bis hin zur Vorbereitung und den Besuch von Vorstellungsgesprächen.

Wer in seinem Beruf seit Jahren im Hamsterrad rennt, dem fehlt es oftmals an den nötigen Freiräumen, um das eigene Projekt „Bewerbung“ konsequent in Angriff zu nehmen. Auch dann kann es sinnvoll sein, bewusst zu kündigen, um sich voll und ganz auf die Neuorientierung zu konzentrieren.

Bist Du Dir hingegen sicher, dass Dir nach einer Kündigung zu Hause die Decke auf den Kopf fallen wird oder Du womöglich mit dem Status „arbeitslos“ in Panik geraten wirst, dann solltest Du besser die Entscheidung treffen, zu bleiben und Dir dort bewusst jene Freiräume schaffen, die Du für Jobsuche und Bewerbung benötigst. Musst Du dort noch die engagierten 120 Prozent geben und Überstunden sammeln, wenn klar ist, dass Deine Zeit bei diesem Arbeitgeber endlich ist?

3️⃣ Welchen Zeitraum kannst Du finanziell entspannt überbrücken?

Finanzielle Unsicherheit hält die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer davon ab, die Kündigung ohne neue Stelle auszusprechen. Frage ich nach, welche Konsequenzen diese Durststrecke für sie oder ihre Familie tatsächlich bedeutet, relativiert sich die Sorge des Kürzertretens häufig.

Bringe Klarheit in Deine Finanzen und rechne konkret aus, welche Rücklagen vorhanden sind, auf was Du für eine gewisse Zeit verzichten kannst und wie hoch die laufenden Ausgaben sind. Kannst Du einigermaßen sorgenfrei die nächsten sechs bis neun Monate ohne volles Gehalt mit einer dreimonatigen Sperrfrist bei Eigenkündigung und im Anschluss Arbeitslosengeld über die Runden kommen?

Wen die finanzielle Situation bei Eigenkündigung ohne neue Stelle zu sehr unter Druck und bei der Jobentscheidung unter Zugzwang setzt, der sollte besser parallel zum aktuellen Job nach Stellen suchen oder etwa durch einen Urlaub Kraft für eine anstehende Bewerbungsphase tanken. Druck ist kein guter Ratgeber bei Jobentscheidungen und ich warne vor unüberlegtem Blind Signing.

4️⃣ Was ist Deine eigene Haltung als Jobwechsler und Bewerber?

Empfindest Du die bei diesem Schritt entstehende Lücke in Deinem Lebenslauf selbst als Schandfleck oder hast Du das Gefühl, Du handelst falsch, weil man schließlich ohne eine neue Stelle zu haben nicht einfach so kündigen darf?

Dann ist es tendenziell keine gute Idee, als armes Opfer der Umstände Deinem Chef die Kündigung zu präsentieren. Denn spätestens bei der Frage im Bewerbungsgespräch, warum Du die letzte Stelle freiwillig an den Nagel gehängt hast, wird sich der Angstschweiß auf Deiner Stirn breitmachen.

Wer sich für die Kündigung ohne neuen Job entscheidet, der sollte dies mit dem Bewusstsein tun, dass dieser Schritt mit bestem Wissen aus heutiger Sicht eine persönlich gute Entscheidung ist – und auch Dritten gegenüber dazu stehen.

Es ist nicht verwerflich, einem potenziellen zukünftigen Arbeitgeber zu erklären, dass Du selbst gekündigt hast, weil es am Ende nicht mehr passte, Du Dir nach vielen Jahren im Beruf eine längere Auszeit gegönnt oder einfach nur Freiraum und Muße für Dich und Deine berufliche Orientierung benötigt hast. Außerdem kann sich ein neuer Arbeitgeber freuen, nicht mit drei oder sogar sechs Monaten Kündigungsfrist auf Dich warten zu müssen.

Deine Haltung als Bewerberin oder Bewerber bestimmt, in welchem Licht die Eigenkündigung ohne neue Stelle steht.

Eine Kündigung ohne neuen Job ist weder außerordentlich mutig noch ein schlimmer Fehltritt, sondern allein Deine persönliche Entscheidung.
Dr. Bernd Slaghuis | Karriere-Coach

Du bist der Chef oder die Chefin Deines Lebens und darfst darüber entscheiden, ob dieser Schritt gut ist, weil er Dich Deinen Zielen leichter oder schneller näher bringen wird, oder ob Du die finanzielle Sicherheit und das gewohnte Umfeld bei Deinem aktuellen Arbeitgeber weiter benötigst, um entspannter nach neuen Positionen Ausschau zu halten.

Wichtig ist, dass Du eine bewusste Entscheidung triffst. Denn nur sie ist der erste Schritt jeder guten Veränderung hin zu etwas Neuem. Und bist Du selbst mit Deiner Entscheidung im Reinen, dann wirst Du diese Klarheit souverän auch im Gespräch mit potenziellen Arbeitgebern schaffen können.

Was ist Deine Meinung zum Thema „Kündigen ohne neuen Job“ oder hast Du diese Entscheidung selbst schon einmal für Dich getroffen? Erzähle von Deinen Erfahrungen oder Überlegungen gern in den Kommentaren 👇🏻

Ich freue mich, wenn Du mir als XING Insider folgst oder mir eine Kontaktanfrage schickst. Alle Informationen zu meinen Angeboten im Karriere-Coaching findest Du auf meiner Homepage.

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Dr. Bernd Slaghuis schreibt über Job & Karriere, berufliche Neurorientierung, Bewerbung

Karriere ist heute mehr als nur "höher, schneller, weiter". Seit 2011 habe ich über 1.800 Angestellte bei ihrem nächsten Schritt im Beruf begleitet. Von der Neuorientierung und Bewerbung bis zum Onboarding. Meine Erfahrungen teile ich hier als XING Insider, auf meinem Blog und als SPIEGEL-Kolumnist.