Coverausschnitt: Gold Sebastião Salgado, bei TASCHEN. - TASCHEN

Landschaft voller Narben: Was von der Gier nach Gold bleibt

Der Weg des Goldes

„Was hat dieses leblose gelbe Metall nur an sich, dass es die Menschen dazu bringt, ihre Heimat zu verlassen, all ihre Habe zu verkaufen und einen ganzen Kontinent zu durchqueren, um ihr Leben, ihre Knochen und ihre Gesundheit für einen Traum aufs Spiel zu setzen?" Fragt der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado, der am 20. Oktober in der Paulskirche den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhält, in seinem Buch GOLD, das nun in einer von ihm erweiterten und aktualisierten Neuausgabe vorliegt. Es zeigt das vollständige Serra-Pelada-Portfolio in großformatigen Reproduktionen von Museumsqualität, beinhaltet ein Vorwort des Fotografen und einen Essay seines Freundes und früheren Korrespondenten der New York Times, Alan Riding.

Der studierte Ökonom, geboren 1944 in Aimorés, arbeitete ab 1969 nach seiner Flucht als linker Oppositioneller aus Brasilien für die Weltbank in der Entwicklungshilfe. 1970 hielt er zum ersten Mal eine Kamera in der Hand. Er gab seine gut bezahlte Stelle auf, verdingte und sich unter anderem als Sportfotograf. Seine berufliche Karriere als Fotograf begann 1973 in Paris, wo er nacheinander für die Fotoagenturen Sygma, Gamma und Magnum Photos arbeitete. 1994 gründete er mit seiner Frau Lélia Wanick Salgado die Agentur Amazonas Images, die seine Werke exklusiv vertritt. Salgados fotografische Projekte wurden in zahlreichen Ausstellungen und Büchern gezeigt, darunter Other Americas (1986), Sahel, L’Homme en détresse (1986), Arbeiter (1993), Terra (1997), Migranten (2000), Kinder (2000) und Africa (2007). Drei Langzeitprojekte sind besonders hervorzuheben: Workers (1993), das die zunehmend verschwindende Lebenswelt von Arbeitern rund um den Erdball dokumentiert, Migrations (2000), das sich mit von Hunger, Naturkatastrophen, Umweltzerstörung und demografischem Druck motivierter Massenmigration befasst, und GENESIS, in dem von der modernen Zivilisation unberührt gebliebene Bergen, Wüsten, Meeren, Tieren und Völker gezeigt werden. Zusammen mit seinem Wiederaufforstungs-Organisation Instituto Terra ist es Ziel des GENESIS-Projekts, die Schönheit unseres Planeten zu zeigen und den an ihm verübten Schaden – wo möglich - rückgängig zu machen und ihn für die Zukunft zu bewahren.

Seit in einem der Flüsse der Gegend 1979 Gold entdeckt wurde, weckte die Serra Pelada (portugiesisch der „kahle Berg“) Sehnsüchte nach dem legendären Goldland El Dorado. Ein Jahrzehnt lang war sie die weltgrößte Freiluftgoldmine, in der unter unmenschlichen Bedingungen rund 50.000 Goldgräber arbeiteten. Sie verließen dafür ihre Heimat, verkauften ihre Habe und durchquerten einen ganzen Kontinent, um ihr Leben und ihre Gesundheit für einen Traum aufs Spiel zu setzen. Die Fotografien von Sebastião Salgado trugen dazu bei, die Mine zu schließen. Als seine Bilder beim New York Times Magazine eintrafen, war es vollkommen still. „In meiner ganzen Karriere bei der Times“, erinnerte sich Fotoredakteur Peter Howe, „habe ich niemals erlebt, dass Redakteure so auf eine Serie von Bildern reagierten wie auf die Aufnahmen von Serra Pelada.“ Sie mutetet an wie Albrecht Altdorfers Schlachtenbilder im 16. Jahrhundert oder erinnerten an die Bildern Pieter Bruegels des Älteren. Dass es sich um Fotos aus dem 20. Jahrhundert handelte, war den wenigstens bewusst.

Die ersten Männer, die dort ankamen, bildeten eine Kooperative, die den Pionieren das Schürfrecht für 2 x 3 Meter große Parzellen übertrug. Ihnen folgten Zehntausende, die als Tagelöhner das Graben übernahmen und die Erde zu den Parzellenbesitzern und ihren Mitinvestoren trugen. Um die Ordnung aufrechtzuerhalten, entsandte die brasilianische Militärregierung die Bundespolizei nach Serra Pelada, die erlaubte, dass dort weitergearbeitet wurde, verbot jedoch Schusswaffen, Alkohol und Frauen. Offiziell lag das Schürfrecht bei dem staatlichen Bergbaugiganten Companhia Vale do Rio Doce (CVRD, heute in Vale umbenannt). Dennoch war es völlig aussichtslos, den Wahnsinn des ungeregelten Abbaus stoppen zu wollen, der dort in fast biblischen Dimensionen stattfand.

Salgado versuchte bereits 1980, Serra Pelada zu besuchen, war aber durch die Gesetze daran gehindert worden, mit denen das brasilianische Militär, nachdem es 1964 an die Macht gekommen war, die Pressefreiheit und andere Grundrechte einschränkte. Die Kontrolle über die Mine hatte 1986 eine Genossenschaft, die von den ursprünglichen Prospektoren gegründet worden war.

Die Genossenschaft verteilte kleine Parzellen, und die ersten Prospektoren, die zur Mine stießen, hatten das Recht darauf. Doch die meisten hatten kein Geld, um Schürfer zu bezahlen, deshalb musste jeder einen sogenannten „Kapitalisten“ finden, der das Geld dafür aufbrachte. Der Eigentümer teilte dann die Gewinne 50:50 mit ihm. Um den Boden zu untersuchen und festzustellen, ob er überhaupt Gold enthielt, wurden jeweils 40 Männer beschäftigt. Zunächst reiste er im Rahmen eines Fotoprojekts namens Workers zur Serra Pelada. Seine Frau Lélia und er hatten sich eine Geschichte über das Ende der ersten industriellen Revolution vorgestellt. Dafür fotografierte er sechs Jahre lang Männer und Frauen, die noch mit den Händen arbeiteten. Die Mine war einer dieser Orte. Er hatte immer drei Leicas mit 28-, 35- und 60-Millimeter-Objektiven dabei. Die brauchte er, da die Zoom-Objektive damals noch nicht so gut waren.

Die Genossenschaft erlaubte Salgado schließlich den Zutritt. Als er dort ankam, gab es ungefähr 1.200 Parzellen, also arbeiteten bereits mehr als 50.000 Menschen dort. Es gab Tote, Unfälle und keine medizinische Versorgung.

Vor seinen Augen tat sich ein Loch mit einem Durchmesser von rund 200 Metern auf. Darin arbeiteten Zehntausende notdürftig bekleidete Männer. Die Hälfte von ihnen trug bis zu 40 Kilo schwere Säcke über hölzerne Leitern nach oben, die anderen sprangen an schlammigen Böschungen hinunter in den höhlenartigen Schlund. Unter den Goldsuchern waren Farm- und Fabrikarbeiter, Universitätsangehörige, Menschen aller Kultur- und Bildungsstufen. Den härtesten Job hatten die Tagelöhner. In Wim Wenders Filmporträt über Sebastião Salgado, „Salz der Erde“ (2014), wird gezeigt, dass die Arbeiter 50 bis 60 Mal täglich die Treppen herauf- und heruntersteigen, und dass sie nicht stehen bleiben durften, weil sonst alles zusammenbrechen würde.

Am häufigsten hielt sich Salgado bei den Arbeitern in der Grube auf und fotografierte sie, während sie die Erde ihrer Parzellen aufhackten. Schon früh in der Geschichte dieser Mine hatte die Regierung dort die Filiale einer staatlichen Bank eröffnet, die Caixa Econômica Federal. Nur sie allein hatte das Recht, Gold zu kaufen (zu einem Preis 15 Prozent unter dem Tagespreis der Londoner Metallbörse). In einem Ofen konnten die Besitzer der Claims oder die Arbeiter ihr Gold zu Barren einschmelzen. Täglich brachten die Männer ihre kleinen Vermögen zur Bank und erhielten dafür dicke Bündel Papiergeld. 99 Prozent der Säcke, die am Tag nach oben gebracht wurden, enthielten allerdings nichts als Erde und Steine.

Sklaven des Goldes

Während einige Goldgräber Serra Pelada mit Geld verließen, eine Farm oder ein Geschäft kauften, glaubten andere, die Gold gefunden hatten, dass sie noch reicher werden könnten. Am Ende verloren sie alles, was sie zusammengebracht hatten. So erging es auch einem Freund von Salgados Vater, der 97 Kilo Gold fand, seinen Gewinn in weitere Parzellen und Tagelöhner investierte - und die Mine am Ende mit leeren Händen verließ.

Offiziellen Dokumente belegen, dass zu der Zeit, als die Konzession 1992 an die Bergbaugesellschaft CVRD zurückgegeben wurde, aus der Mine in Serra Pelada etwa 30 Tonnen Gold im Wert von rund 400 Millionen Dollar gewonnen wurde. Die Ausbeute wurde Jahr für Jahr immer weniger (bis hin zu nur 245 Kilo im Jahr 1990, was nur einem Verkaufswert von etwa 3,5 Millionen Dollar entsprach). Serra Pelada ist heute wieder eine arme Region. Was bleibt, ist eine Landschaft voller Narben und ein großer, 200 Meter tiefer See.

Trend zum grünen Gold

Die Goldgewinnung ist zweifellos eine der schmutzigsten Industrien der Welt. Das konstatiert auch das internationale Netzwerk „No dirty gold“. Weltweit graben noch heute mehr als zehn Millionen Menschen, teilweise illegal, nach dem begehrten Metall. Um an den Rohstoff zu kommen, dringen Goldsucher sogar in Gebiete indigene Völker vor. Kinderarbeit in hochgiftigen Minen ist keine Seltenheit. Um das Gold aus dem Erz zu lösen, wird beim herkömmlichen Kleinbergbau Quecksilber genutzt, jährlich etwa 1000 Tonnen. Gold und Quecksilber gehen eine Legierung ein (Goldamalgam), mit dem auch die kleinsten Goldflitter aus dem goldhaltigen Bodensatz gewonnen werden können. Anschließend wird es erhitzt, und es steigen Dämpfe auf, die von den Minenarbeitern eingeatmet werden, auch gelingen Quecksilberemissionen in Luft, Boden und Wasser.

Großunternehmen nutzen meistens Zyanid. Die Gifte der Blausäure können zu Missbildungen führen und Krebs auslösen. Auch Enteignung und Vertreibung sind an der Tagesordnung. Um zu signalisieren, dass es auch anders geht, folgen erste Unternehmen dem Trend zum grünen Gold mit dem Ziel, Eingriffe in die Natur möglichst gering zu halten sowie Verschmutzungen und Erosionen zu minimieren. US-Elektronikhersteller müssen mittlerweile belegen, ob sie Rohstoffe aus Krisengebieten wie dem Kongo verwenden und sind angehalten, sich für nachhaltige Alternativen zu entscheiden.

Fair gehandeltes Gold gibt es zwar seit 2011, jedoch liefen Handel und Verkauf lediglich auf Vertrauensbasis. Seit 2010 gibt es Standards der Fair Labelling Organization (FLO) dafür. Großbritannien führte das Label 2011 als erstes Land ein, dann folgten Kanada und die Niederlande. Fairtrade Deutschland hat inzwischen auch ein Siegel für Gold entwickelt. Damit sollen bessere Bedingungen für Minenarbeiter und deren Familien erreicht werden. Es gibt die Möglichkeit, gebührenpflichtiger Lizenznehmer (Fairtrade-Partner) zu werden oder sich als Juwelier registrieren zu lassen. Voraussetzung dafür ist die Anmeldung in einem Goldschmiedeportal und der Nachweis, dass der Rohstoff von zertifizierten Partnern bezogen wird (allerdings erfolgt hier keine Kennzeichnung durch das Fairtrade-Logo, da nicht transparent ist, wie viel faires Gold im Ring enthalten ist).

Literatur:

Sebastião Salgado. Gold Sebastião Salgado, Lélia Wanick Salgado, Alan Riding Hardcover, 24,8 x 33 cm, 208 Seiten, € 50 ISBN 978-3-8365-7508-9 (Deutsch, Englisch, Französisch). TASCHEN Verlag, Köln 2019. (Ebenfalls erhältlich als signierte und limitierte Collector’s Edition, sowie als Art Edition.)

Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Circular Thinking 21.0: Wie wir die Welt wieder rund machen. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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