Christine Bergmair

Landwirtschaft neu denken

Die Welt braucht regionale Lösungen, um die globalen Probleme richtig meistern zu können. Leider bleiben viele landwirtschaftliche Nachhaltigkeitsleistungen oft noch unbeachtet und werden nicht honoriert. Der Strategieplan der Bundesrepublik Deutschland zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) hat zwar zum Ziel, eine resiliente landwirtschaftliche Produktion zur Stärkung der Ernährungssicherheit zu unterstützen sowie die die biologische Vielfalt zu fördern und zur Zukunftsfestigkeit der ländlichen Räume beizutragen, doch liegt der Fokus hauptsächlich auf flächengebunden Subventionen. Innovative Marktakteure gehen derweil voran und möchten einen eigenen Beitrag, Transformationsprozesse anstoßen und inspirieren. Sie sind davon überzeugt, dass globale Herausforderungen für ein friedliches und gerechtes Zusammenleben nur durch bäuerliche Strukturen gewährleistet werden können. Dass Bauernhöfe in Familienhand ressourcenerhaltend wirtschaften, die Biodiversität fördern und das Klima durch optimale Kohlendioxidfixierung schonen können, zeigt das hier vorgestellte Beispiel. Christine Bergmair ist als Tochter von Landwirten schon früh mit Landwirtschaft und Landhandel in Berührung gekommen. Bereits von klein auf wurde sie in die betrieblichen Entwicklungen einbezogen. Das Getreidelagermanagement in der Erntezeit übernahm sie schon in jungen Jahren. Durch ihre Eltern als Vorbild und ihre Erfahrungen im Familienbetrieb studierte sie Corporate Management & Economics in einem interdisziplinär gestalteten Studiengang am Bodensee. Hier lernte sie, Herausforderungen systemübergreifend zwischen Wirtschaft, Kultur und Politik zu betrachten. Ihre beiden Leidenschaften sind Management und Medizin. Als leidenschaftliche Entwicklerin möchte sie das Familienunternehmen in die neue Generation führen und in Vernetzung mit Gesundheit, Genuss und Freude auch hinsichtlich Produktion und Eigenvermarktung weiterentwickeln.

Mein Vater ist auf einem landwirtschaftlichen Kleinbetrieb in Friedberg bei Augsburg aufgewachsen, wo er schon sehr früh Verantwortung übernehmen musste. Er ist ausgebildeter Landwirtschaftsmeister und sammelte in unterschiedlichen Landwirtschaftsunternehmen Erfahrungen. Sein Steckenpferd ist die Ackerbauberatung. Zusammen mit meiner Mutter entwickelte er den Hof ihrer Eltern von Viehzucht zu einem internationalen Agrar- und Landhandel weiter. Er hat ein tiefes Gespür für Pflanzen und Ackerbau und ist ein leidenschaftlicher Landwirt.

Sein besonders Geschick im Handel und in der Einschätzung von Märkten ließen sein Unternehmen stabil heranwachsen. Durch diesen ganzen Prozess wurde aus ihm ein erfolgreicher Unternehmer und Visionär. Nun ist es Zeit für die nächste Generation: Aus den organisatorischen Bereichen zieht er sich immer mehr zurück, er ist jedoch weiterhin mit seiner Expertise im Ackerbau beratend tätig. Auch die Freude am Handel möchte er weiterleben. Seine Erfahrungen in Unternehmensstrategie gibt er gerne an mich weiter.

1994 wurde die Torgauer Landhandels GmbH in Torgau bei Beilrode gegründet. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten mein Vater Stefan Bergmair sowie Leonhard Stemmer und Josef Stemmer. 1999 wurde unser Getreidelager in Beilrode (Torgau) eröffnet, im Juni 2000 erfolgte die Einweihung. 2004 wurde unser Büro in Drosendorf (Bamberg) eröffnet. Es erfolgte eine Spezialisierung auf Handel mit Futtermittel sowie Abwicklung in Bereichen Futter-/Düngemittel und Saatgut. 2010 wurde die Torgauer Landhandels GmbH international: Der Getreide- und Braugerstenhandel wurde auf internationaler Ebene erweitert und ausgebaut. 2014 gab es eine strukturelle Veränderung: Mein Vater Stefan Bergmair übernahm alle Anteile der Torgauer Landhandels GmbH – es wurde nun ein reines Familienunternehmen. Ein Grund dafür war, dass mein Vater den Betrieb einmal an eines seiner Kinder weitergeben wollte. Im gleichen Jahr wurde der Hauptsitz von Torgau nach Steindorf verlegt. 2019 feierte unser Familienbetrieb sein 25-jähriges Bestehen. 2022 wurde ich zusätzliche Geschäftsführerin in der Torgauer Landhandels GmbH. Wir sind ein wichtiger Partner für Landwirtschaft in den Bundesländern Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Bayern und bieten das komplette Dienstleistungspaket: von der Erfassung von Getreide, Ölsaaten und Hülsenfrüchten bis hin zum Handel mit Betriebsmitteln wie Saatgut, Pflanzenschutz, Dünger und Futtermitteln.

Die neue Zeit: Das neue Logo und Erscheinungsbild ist modern, klar und hochwertig. Das spiegelt sich auch in der Typografie und den natürlichen Farben sowie in der Ergänzung einer Bildmarke in Form eines Wappens, die aus den beiden Initialen des Firmennamens entstanden ist: Die Formen greifen ineinander – das „T“ steht für das Dach, das alles zusammenhält, das „L“ erinnert an Felder und führt zur Ähre. Ein Kreislauf mit Landschaftscharakter ist zu erkennen. Die Farben Blau und Grün symbolisieren den „blauen Himmel“ und die „fruchtbare Erde“. Das Wappen soll auch an unser Familieneigenes Wappen des Landwirtschaftshofs erinnern und die familiäre Tradition betonen.

Wir befinden uns mitten im Wandel und in einer Zeit der großen Umbrüche. Technische Veränderungen und Digitalisierung sind ein großes Thema im Alltag unseres Familienunternehmens. Abläufe zu vereinfachen, die Digitalisierung als Chance zu nutzen und Software als echte Unterstützung zu haben, ist gerade nicht einfach. Prozesse müssen neu gedacht werden, alle Mitarbeitenden jeder Altersstufe und mit unterschiedlichem technischen Know-how einbezogen und Lösungen implementiert werden, die eine echte Unterstützung bieten. Gute Partner zu finden und an seiner Seite zu haben, dass im gemeinsamen Austausch der Wandel gelingen kann, ist hier essenziell.

Gleichzeitig ist unsere ganze Branche im Umbruch: Großhandelsfirmen schließen sich zu immer größeren Konzernen zusammen, Inflation, Preisschwankungen und Krieg machen Lebensmittel zu Spekulationsgütern, Unsicherheiten entstehen auch, wie sich die Landwirtschaft weiterentwickeln kann und muss, dass sie zukunftsfähig ist, gerade auch in Hinblick auf Klimawandel und Ernährung. Auch unsere Landwirte haben die große Herausforderung der Digitalisierung und der immer schwerer überblickbaren Marktsituation.

An der Stelle möchte ich gerne eine sehr persönliche Betrachtung schildern, wie ich die Landwirtschaft seit meiner Kindheit erlebt habe. Ich bin auf einem Bauernhof mit Bullenmast und Ackerbau groß geworden, den meine Eltern zu einem mittelständischen Agrarhandel weiterentwickelt haben. Die Tiere haben mir immer große Freude bereitet, und gleichzeitig habe ich erlebt, dass mit den Jahreszeiten auch auf dem Feld gearbeitet wird. In der Schulzeit habe ich dann früh das Gefühl bekommen, dass die Landwirtschaft gesellschaftlich keinen guten Ruf hat. Und auch heute: Medial gibt es viele Themen, die die Landwirtschaft kaputt machen - Berichte über Tierhaltung, Artensterben etc. Ich glaube, dass es ein sehr komplexes Thema ist, und unsere leistungsgetriebene Gesellschaft hat dazu geführt, dass immer mehr immer billiger produziert werden sollte und die Auswirkungen egal waren. Das hat auch dazu geführt, dass politische Rahmenbedingungen so verändert wurden, dass für kleine Bauernhöfe die Umsetzungen überhaupt nicht mehr möglich oder nur mit hohen Investitionskosten verbunden gewesen wären. Unter diesen Umständen haben sich viele Betriebe gegen eine Fortführung entschieden und das war ganz oft sicherlich keine leichte Entscheidung.

Die Märkte für Lebensmittel sind global und müssen auch so gedacht werden. Viele Einflussfaktoren wie Klima, Kriege, Handelspartnerschaften usw. haben Auswirkungen auf Preisgestaltung und Verfügbarkeiten. Der Druck und Preiskampf ist inzwischen sehr hoch. Wenn Qualitätssicherung, Klimawandel und Entwicklung in Deutschland gelingen sollen, müssen wir uns auf den Weg machen, wieder noch regionaler zu denken und zu vermarkten. Dann bleibt die Wertschöpfung da, wo auch die Lebensmittel hergestellt werden. Die Qualität steigt, die Preise können sicherer und stabiler kalkuliert werden und Absatz besser geplant. Auch in ökologischer Hinsicht ist es wichtig, dass wir die landwirtschaftlichen Flächen nicht isoliert betrachten, sondern als Teil des großen Ganzen, also der Welt und ihres Klimas. Das System Boden und Wetter hängt eng zusammen. Wenn wir also den Klimawandel positiv gestalten wollen, müssen Lösungen her, die umweltschonend sind, die den Boden nachhaltig aufbauen sowie qualitativ hochwertige landwirtschaftliche Erzeugnisse produzieren, die auch unserer Gesundheit guttun.

Wir planen momentan, die Digitalisierung und Papierlosigkeit im eigenen Unternehmen so gut wie möglich voranzutreiben und Systeme zu integrieren, die dabei unterstützen. Zudem setzen wir auf starke Partnerschaften mit anderen Familienbetrieben und Organisationen, die eine partnerschaftliche Zusammenarbeit fördern. Für den Wandel in der Landwirtschaft wird es wichtig sein, Experten an der Hand zu haben, die uns als Firma, aber gleichzeitig auch Landwirte mit Fachwissen und Kompetenz begleiten können. Es ist viel zu tun, aber wird nur gelingen, wenn wir einen Schritt nach dem nächsten tun!

Gute Frage. Ich denke, wenn wir regionaler Denken und Handeln, dann hilft das extrem. Wir sollten uns wieder dafür interessieren, wo unsere Lebensmittel herkommen. Ich glaube, durch den persönlichen Kontakt und enge Zusammenarbeit in der Region können wieder Werte geschaffen werden. Wenn dann noch ein bisschen Kreativität dazu kommt, zum Beispiel Eigenvermarktung, Sonderkulturen, spezielle Tierhaltung oder Angebote, die auch für die Allgemeinheit interessant sind und Bezug zur Landwirtschaft und Natur herstellen, dann kann man im Kleinen schon sehr viel positive Entwicklung unterstützen.

In unserem Familienunternehmen legen wir großen Wert auf persönlichen Kontakt und Beratung unserer Kunden. Und wir merken, dass das sehr geschätzt wird. Aktuell sind wir einer der wenigen Betriebe im Agrarhandel, der privat geführt und in privater Hand, damit können wir Punkten, weil in vielen großen Konzernen die Zuständigkeiten unklar sind oder Ansprechpartner nicht mehr erreicht werden. In unserer eigenen Landwirtschaft ist ein Schwerpunkt der Anbau von Senf als Kulturpflanze. Hier haben wir inzwischen unser Unternehmen weiterentwickelt: wir veredeln unsere eigenen Produkte und meine Mutter ist hier sehr kreativ in der Produktentwicklung. Es bereitet uns große Freude, eigene Produkte herzustellen und zu vertreiben. Gepaart mit Vorträgen über Landwirtschaft, Kursen zum Brotbacken oder über kreative Gestaltung mit Naturmaterialien, das alles sind Angebote mit denen wer Menschen begeistern wollen und einen Raum für Impulse, Kreativität, Gesundheit und Natur schaffen wollen. Zusätzlich hat meine Mutter kürzlich die Ausbildung zur Sozialen Landwirtschaft abgeschlossen und möchte Koch-/Backkurse sowie Kreativkurse auch für die Menschen anbieten, die durch Behinderung oder andere Einschränkungen große Herausforderungen im Leben zu meistern haben.

Das ist ei7ne sehr schwere Frage, die ich nicht beantworten kann. Ich glaube aber, dass wir es nur gemeinsam schaffen können. Systeme und Märkte werden immer komplexer, eine Krise jagt die nächste. Ich denke, Besonnenheit, Mut zur Zusammenarbeit und Vertrauen sollten dazu führen, dass wir gemeinsam Lösungen und Entwicklungswege finden.

Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, die ein nachhaltiges Wirtschaften möglich machen. Bürokratieabbau, Digitalisierung, Unterstützung bei der Einführung von Prozessen, sind mit Sicherheit die großen Themen unserer Zeit. Wir erleben es leider immer wieder, dass im Falle von Kontrollen und Zertifizierungs-Audits nachgewiesen sein muss, dass viele Dokumente in Papierform vorliegen. Das ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Zudem ist es gerade bei Nachhaltigkeits-Zertifizierungen so, dass wir uns inzwischen ganzjährig zu Tode verwalten und die eigentlichen politischen Ziele, nämlich dass CO2 gespart wird und diese Lebensmittel dann auch höhere Preise erzielen können, komplett verfehlt wurde. Außerdem sollten die politischen Instrumente mit Bedacht eingesetzt und gut geprüft werden, welche Auswirkungen zu erwarten sind. Vor allem, ob sie einen nachhaltig positiven Impact auf Entwicklung haben.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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