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„Licht am Ende des Tunnels“ – Deutsche Wirtschaft wächst wieder

Führende Institute erhöhen ihre Konjunkturprognose – ein kräftiger Aufschwung der Wirtschaft ist trotzdem nicht in Sicht. Aber acht Maßnahmen könnten das ändern.

Berlin. Nach mehr als zwei Jahren mit schwachem Wachstum sendet die deutsche Wirtschaft wieder positive Signale. Mehrere führende Institute haben ihre Konjunkturprognosen nach oben korrigiert.

  • Das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) rechnet für das laufende Jahr mit einem leichten Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,3 Prozent. Im Frühjahr hatten die Institute ihre traditionelle gemeinsame Prognose vorgelegt, da lag die Aussicht für 2025 noch bei 0,1 Prozent.

  • Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) prognostiziert das Wachstum ebenfalls auf 0,3 Prozent.

  • Auch das Münchener Ifo-Institut korrigiert seine Konjunkturprognose nach oben – auf 0,3 Prozent.

  • Die Konjunkturforscher des IWH sind noch etwas optimistischer. Sie gehen von einem Wachstum von 0,4 Prozent aus.

„Trotz der kurzfristigen Belastungen durch handelspolitische Unsicherheiten zeichnet sich eine allmähliche Erholung ab“, sagt RWI-Konjunkturchef Torsten Schmidt. „Die deutsche Wirtschaft sieht etwas Licht am Ende des Tunnels“, schreiben die Kieler Ökonomen und bezeichnen das als „verhaltene Erholung“. Das Wachstum sei im Wesentlichen binnenwirtschaftlich geprägt.

Dazu trägt nach langer Zeit auch der private Konsum bei, der 2025 unter anderem dank niedrigerer Energiepreise um 0,8 Prozent und 2026 um 1,1 Prozent höher ausfallen soll. Ein Grund dafür sei die deutlich gestiegene Nachfrage aus den USA. Diese sei laut IWH vor allem darauf zurückzuführen, dass Importeure angesichts angekündigter Zollerhöhungen ihre Bestellungen vorgezogen hätten.

Auf einen Boom beim Konsum kann die deutsche Wirtschaft aber nicht hoffen: „Insgesamt bleibt die privatwirtschaftliche Dynamik für eine Erholungsphase sehr verhalten.“ Das RWI fügt hinzu, dass der private Konsum schon im zweiten Quartal vorerst wieder an Schwung verlieren würde, wie der Einbruch der Einzelhandelsumsätze zeige.

Das BIP war zwischen Januar und März dieses Jahres überraschend um 0,4 Prozent gegenüber dem Vorquartal gestiegen. Allerdings lag das auch daran, dass Unternehmen Geschäfte aus Sorge vor steigenden Zöllen durch die US-Regierung vorgezogen hatten.

„Die Krise der deutschen Wirtschaft hat im Winterhalbjahr ihren Tiefpunkt erreicht“, sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. „Ein Grund für den Wachstumsschub sind die angekündigten Fiskalmaßnahmen der neuen Bundesregierung.“

Im nächsten Jahr soll dann das Finanzpaket der Bundesregierung für Wachstumseffekte sorgen. Union und SPD hatten mit zusätzlichen Stimmen der Grünen eine Aufweichung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben sowie ein 500 Milliarden Euro umfassendes Sondervermögen für Infrastruktur auf den Weg gebracht.

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Hälfte des Wachstums durch neue Schulden

  • Die IfW-Prognose für das BIP-Wachstum im kommenden Jahr liegt bei 1,6 Prozent. Bei der gemeinsamen Prognose der Institute im Frühjahr waren es noch 1,3 Prozent.

  • Das RWI rechnet mit einem Wachstum von 1,5 Prozent.

  • Auch das Ifo rechnet mit 1,5 Prozent Wachstum im kommenden Jahr.

  • Das IWH ist für 2026 etwas pessimistischer und schätzt das Wachstum auf 1,1 Prozent Wachstum.

Die Kieler schätzen, dass die Hälfte des Wachstums, also 0,8 Prozentpunkte, allein durch das Finanzpaket ausgelöst wird. Im kommenden Jahr würden sich die „ungleich größeren finanzpolitischen Spielräume der neuen Bundesregierung zunehmend bemerkbar machen“, heißt es vom IfW. Der Staatskonsum soll doppelt so stark steigen wie der private Konsum.

Noch stärker tragen die Investitionen laut Prognose zum Wachstum bei. Die Ausrüstungsinvestitionen – also in Maschinen und Fahrzeuge – steigen demnach 2026 um 4,7 Prozent, die Bauinvestitionen um drei Prozent. „Niedrigere Zinsen und eine steigende öffentliche Nachfrage dürften die privaten Investitionen im Prognosezeitraum merklich ausweiten“, heißt es vom RWI.

Konjunkturrisiken durch US-Politik

Außer der schwachen Erholung des privaten Konsums bleibt die Handelspolitik ein weiterer Risikofaktor. „Die handelspolitischen Risiken bleiben vorerst beträchtlich“, sagte IfW-Präsident Moritz Schularick. „Die erratische Zollpolitik der Vereinigten Staaten erhöht weiterhin die Unsicherheit für die deutsche Außenwirtschaft.“

Das IfW schätzt, dass die Zölle das deutsche Wirtschaftswachstum in diesem und im kommenden Jahr in Summe um 0,3 Prozentpunkte dämpfen werden.

Grundlage dafür ist allerdings nur ein vergleichsweise geringer Zoll gegen die EU sowie das Ausbleiben von Vergeltungszöllen. Die Europäische Kommission verhandelt allerdings derzeit mit der US-Regierung von Präsident Donald Trump, der 50-prozentige Zölle auf Einfuhren aus der EU angedroht hat. Das Ergebnis ist derzeit vollkommen offen und damit auch der Schaden für die deutsche Wirtschaft.

Das RWI sieht vor allem die seit Anfang Juni geltenden Zölle auf Stahl und Aluminium in Höhe von 50 Prozent als Problem: „Sie belasten die Ausfuhren dieser Güter nachhaltig.“

Konjunkturrisiken sieht auch das Ifo vor allem von der US-Handelspolitik ausgehen. Die bereits verhängten Importzölle werden demnach – sollten sie auf dem jetzigen Niveau bleiben – das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr um 0,1 und 2026 um 0,3 Prozentpunkte beeinträchtigen. „Bei einer Einigung im Handelskonflikt könnte das Wachstum in Deutschland höher ausfallen, bei einer Eskalation könnte eine erneute Rezession drohen“, hieß es.

Das IfW sieht zudem die Probleme am Standort selbst längst nicht für überwunden: „Neben der US-Handelspolitik macht den deutschen Exporteuren weiterhin vor allem die deutlich gesunkene Wettbewerbsfähigkeit zu schaffen.“

Blieben die strukturellen Probleme der deutschen Wirtschaft bestehen, seien die Erholungspotentiale weiter begrenzt, so RWI-Ökonom Schmidt: „Wichtig ist jetzt, dass den Ankündigungen der Bundesregierung auch Taten folgen.“

OECD schlägt acht Maßnahmen für nachhaltiges Wachstum

Diese Diagnose teilt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Sie traut der deutschen Wirtschaft inzwischen zwar ein Wachstum von 0,4 Prozent im laufenden Jahr zu. Im kommenden Jahr ist die Organisation pessimistischer als die meisten Institute und prognostiziert ein Plus von 1,2 Prozent.

„Die sinkende politische Unsicherheit nach dem Amtsantritt der neuen Regierung und die höheren Reallöhne werden den privaten Konsum beleben“, heißt es von der OECD. Die Zölle der US-Regierung würden zwar die Exporte bremsen und neue Unsicherheit schüren, aber die Ersparnisse der Unternehmen und sinkende Zinssätze würden positive Reaktionen dagegen ermöglichen.

Aber: Die OECD sorgt sich darum, dass die erhoffte Erholung der deutschen Wirtschaft fix wieder beendet ist. Ökonomen sind sich einig, dass das Schuldenpaket allein keine nachhaltige Stärkung des Standorts bedeutet, sondern nur in Kombination mit anderen Maßnahmen.

Im am Donnerstag veröffentlichten Wirtschaftsbericht für Deutschland machen die OECD-Experten die Notwendigkeit für umfassende Anpassung an der Wirtschaftsstruktur deutlich: „Eine weitere Beschleunigung der Strukturreformen ist entscheidend, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.“

Die Pariser Organisation macht dafür eine Reihe von Vorschlägen. In Summe würde das laut Berechnungen der OECD einen deutlichen Effekt auf das jährliche Wirtschaftswachstum haben: Die Reformen würden ein 0,8 Prozentpunkte zusätzliches BIP-Wachstum ermöglichen

Bei den Vorschlägen handelt es sich größtenteils um bekannte Vorschläge in bekannten Felder:

  • Bürokratieabbau und wettbewerbsfreundliche Regulierung: plus 0,2 Prozentpunkte jährliches BIP-Wachstum

  • Senkung der Steuern und Abgaben auf Arbeit: plus 0,1 Punkte

  • Steigerung der öffentlichen Investitionen: plus 0,1 Punkte

  • Verbesserung der Aus- und Weiterbildung: plus 0,1 Punkte

  • Verbesserung Kinderbetreuung und frühkindliche Bildung: plus 0,1 Punkte

  • Steigerung Bildungsqualität: plus 0,1 Punkte

  • Kopplung Renteneintrittsalter an Lebenserwartung: plus 0,1 Punkte

In den Details finden sich auch Vorschläge, die in der Öffentlichkeit bislang weniger diskutiert werden. Dazu gehören Entlastungen bei der Einkommensteuer anstatt für Unternehmen, wie die Bundesregierung es plant. Außerdem schlägt die OECD, dass Arbeitnehmer verpflichten Mitglied einer kapitalgedeckten betrieblichen Altersvorsorge werden sollten.

Die Befreiung von der Sozialversicherungs- und Steuerpflicht soll noch für Schüler und Studierende, nicht mehr generell für Minijobber. Die daraus folgenden höheren Abgaben in geringeren Einkommensbereichen sollen für diese Personen den Anreiz erhöhen, ihre Arbeit auszuweiten. Das Bundeskartellamt soll größere Befugnisse erhalten, um gegen Regulierungsbehörden anzugehen. Für bessere Bildung soll ein obligatorisches Vorschuljahr eingeführt werden.

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