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Licht und Schatten: Die zwei Seiten der Sharing Economy

Sharing Economy und der Lifestyle des Loslassens (Lifestyle of Relief and Fun) haben mit Bescheidenheit wenig zu tun: Das Gute ist hier keine kategorische Verpflichtung - die Konsumfeindlichkeit und Askeseneigung der alten Ökobewegung ist vielmehr einem konsumorientierten Lebensstil gewichen, in dem weniger Besitz, Genuss und Verantwortung keine Gegensätze mehr sind. Es geht auch um ein neues Verhältnis zu Autos, Kleidung oder Büchern, indem sie diese Dinge mehr geachtet werden. In den Humanwissenschaften wird deshalb von einem „material turn“ gesprochen.

Zugang statt Besitz

Die Sharing Economy wächst kontinuierlich – und mit ihr die Hoffnungen darauf, dass diese Art des Wirtschaftens Arbeitsplätze schafft, Ressourcen spart und soziale Beziehungen stärkt. In den Großstädten boomt auch das Thema Coworking: Wer sich ein Büro mit anderen teilen möchte, kann darauf setzen. Dieses „Gefäß“, in dem die Sharing Economy gedeiht, bildet die Infrastruktur für jene Unternehmen, deren Prinzip der Soziologe Jeremy Rifkin folgendermaßen beschreibt: „Im kommenden Zeitalter treten Netzwerke an die Stelle der Märkte, und aus dem Streben nach Eigentum wird Streben nach Zugang, nach Zugriff auf das, was diese Netzwerke zu bieten haben.“

Die Idee des Teilens gewinnt im digitalen Zeitalter eine ungeahnte Kraft und ökonomische Bedeutung, denn der Warenumschlag erhöht sich deutlich durch Sharing Economy. Längst ist sie eine globale Bewegung, die sich online vernetzt, um eine erweiterte Art des Konsumierens zu etablieren und die Dinge mehr zu achten. Nun folgt Coliving als ähnlicher Trend: „Wer nach dem Coworken nicht nach Hause geht, sondern nur nach nebenan, der macht Coliving. Es handelt sich um eine Form von gemeinsamem Leben und Arbeiten am selben Ort.“ (Robert Nehring) Nicht zuletzt ist das Konzept auch ökologisch sinnvoll, weil es Raum, Geld, Zeit und Ressourcen spart.

Sharing Economy wird allerdings auch von unerwünschten Nebeneffekten wie Diskriminierung, gesteigertem Konsum oder der Verknappung von Wohnraum begleitet. Darauf verweisen Wissenschaftler des Forschungsprojektes PeerSharing in ihrer Studie „Kompromisse des Teilens“. Ökologisch sinnvoll ist es, sich über privates Carsharing ein Auto zu leihen statt eines zu kaufen. Gemeinsam mit Dr. Jan Peuckert untersuchte Jonas Pentzien, Sharing-Experte am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), in der Studie verschiedene Regulierungsansätze für Onlineplattformen und deren Wirkung anhand konkreter Fallbeispiele aus den Bereichen Mobilität, Wohnen und Gebrauchtwaren. Sie kamen unter anderem zu dem Ergebnis, dass alternative Ansätze wie die Selbstregulierung durch Bewertungssysteme oder eine Ko-Regulierung, bei der Staat und Organisationen zusammenarbeiten, staatliche Regulierungen in einigen Aspekten sinnvoll ergänzen können. So können sich Plattform-Betreiber zusammenschließen und in Abstimmung mit staatlichen Behörden ökologische und soziale Mindeststandards festlegen. Zudem haben sie die Möglichkeit, Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle zu schaffen, die die Einhaltung dieser Standards effizient sicherstellen.

Der Staat sollte dafür Sorge tragen, dass Sharing-Praktiken mit Nachhaltigkeitspotenzialen aktiv gefördert und jene, die umweltschädlich sind, unterbunden werden (z.B. Neuanschaffung von Dingen, die dann auf Plattformen gewinnbringend verliehen werden). Vorgestellt werden innovative Ansätze, um die großen Onlineplattformen wirkungsvoll zu regulieren (u.a. Gütesiegel für nachhaltiges Sharing, Nachhaltigkeitskommunikation der Sharing-Organisationen etc.). Vorgeschlagen wird auch, dass der Staat selbst als Anbieter in der Sharing Economy aktiv werden und nachhaltigere Sharing-Plattformen aufbauen kann.

Der Gedanke des Teilens und Tauschens gehört zu den ältesten sozialen und wirtschaftlichen Grundprinzipien des Menschen. 1910 stellte der Soziologe Georg Simmel fest, dass Essen und Trinken zu den elementarsten Grundbedürfnissen gehört, die Menschen gemeinsam haben. Das Teilen von Nahrung hat eine große soziale Bedeutung. Einige sehen darin sogar den Ursprung der Moral. Daraus leitet sich beispielsweise die These ab, anderen abzugeben und zu helfen. Zur Zeit der Jäger und Sammler war nicht jeder Jäger erfolgreich, deshalb wurde dem Nachbarn von der eigenen beute abgegeben, wenn dieser nicht erfolgreich war. Dies erhöhte die Chance, selbst Hilfe zu erhalten, wenn man selbst einmal kein Glück haben sollte. Das Teilen von Nahrung war deshalb mit dem Überleben verknüpft.

Die Idee des Teilens gewinnt im digitalen Zeitalter eine ungeahnte Kraft und ökonomische Bedeutung, denn der Warenumschlag erhöht sich deutlich durch Sharing Economy. Längst ist sie eine globale Bewegung, die sich online vernetzt, um eine erweiterte Art des Konsumierens zu etablieren und die Dinge mehr zu achten. In den Humanwissenschaften wird von einem „material turn“ gesprochen. Im Internet wächst die Beliebtheit von Begriffen wie „minimalist“. In der analogen Welt zeugt auch Car- oder Wohnungssharing vom schrumpfenden Interesse am Besitz. Die beiden Amerikaner Joshua Fields Millburn und Ryan Nicodemus haben sich von fast all ihrem Besitz getrennt, um ein einfacheres, minimalistisches Leben zu führen. Ihre Erfahrungen dokumentieren sie in ihrem Film "Minimalism", der 2016 als bester Indiefilm ausgezeichnet wurde.

Sharing Economy beschreibt das systematische Ausleihen beziehungsweise das gegenseitige Bereitstellen von Produkten und Flächen. Das gemeinsame Nutzen von Wohnräumen ist besondere in Städten beliebt. Durch die Digitalisierung erlebte diese Entwicklung einen enormen Aufschwung, entfaltete ungeahnte Kräfte und gewann an ökonomischer Bedeutung. Hinzu kommt, dass die Sharing-Generation auch materiell in weniger sicheren Verhältnissen lebt als die Generationen vor ihr. Wer tauscht, teilt, ausleiht oder Dinge verschenkt, schont nicht nur Umwelt und Ressourcen, sondern sorgt dafür, dass Produkte intensiver genutzt werden. Neben dem ökonomischen und ökologischen Vorteil ist auch der soziale nicht zu vernachlässigen, denn gemeinsamer Austausch und die Pflege von Netzwerken geben auch in Krisenzeiten auch Halt.

Auch wenn Sharing-Angebote in den vergangenen Jahren immer beliebter wurden, kam es auch zu Entwicklungen, die mit Nachhaltigkeit wenig zu tun haben, etwa wenn sich Sharing Economy mit der Start-up-, On-Demand- und der Gig-Economy verbindet und Teil des so genannten Plattformkapitalismus wird: Hier bringen innovative Web- und App-basierte Plattformen Käufer und Verkäufer von Waren, Aufträgen und Dienstleistungen zusammen. Die Betreiberunternehmen der Plattformen erheben eine Vermittlungsgebühr. Diese virtuellen On-Demand-Internetgeschäfte haben rund um die Uhr geöffnet. „Die Idee der Sharing Economy klingt total super – umweltpolitisch korrekt, überparteilich, anti-individualistisch, und das alles eingehüllt in das kuschlig warme Vokabular des ‚Teilens‘. Was kann man daran nicht mögen?“, fragt der US-amerikanischer Kolumnist, Autor und Politikexperte Steven Hill in seinem Buch „Die Start-up-Illusion“. Er zeigt darin an zahlreichen Beispielen, dass „die gar nicht so teilende ‚Sharing‘ Economy den Rückschritt in die ungesicherte Selbstständigkeit und die Akkordarbeit des 19. Jahrhunderts“ ist. Das hat seiner Meinung nach nicht nur Auswirkungen auf die Arbeitnehmer und die Erwerbsbevölkerung als Ganzes, sondern auch auf die Unternehmen selbst, die großen Umbrüchen unterliegen, die unter anderem ihre Geschäftsmodelle grundlegend infrage stellen.

Airbnb listete für Berlin im Jahr 2016 über 15 000 Wohneinheiten auf, 61 Prozent davon waren ganze Wohnungen oder Häuser - nicht einzelne Zimmer! Eine Vielzahl wird von Profis verwaltet und dem Wohnungsmarkt entzogen, was zu steigenden Mieten in Berlin führt. Airbnb kann auf diese Daten zugreifen und ist sich darüber im Klaren, „dass es gegen kommunales Recht verstößt, tut aber wenig, um dies zu ändern – beispielsweise durch den Ausschluss von Immobilienfirmen von der Vermittlungsplattform.“ Der Grund ist für Hill offensichtlich: Die 30-Milliarden-US-Dollar-Bewertung Airbnbs resultiert vor allem aus den Einnahmen durch diese Profis. Der Kern dieses Geschäftsmodells hat demnach nichts mit „Sharing“ zu tun. Trotz dieser Entwicklungen hat echte Sharing Economy mehr Vor- als Nachteile. Schon der Gedanke lohnt sich, häufiger über ein Tausch- oder Teilgeschäft nachzudenken, statt in etwas Neues zu investieren.

<u>Weiterführende Informationen:</u>

  • Claudia Silber und Alexandra Hildebrandt: Wohnen 21.0: Grundzüge des Seins von A bis Z: global – lokal –nachhaltig. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2018.

  • Claudia Silber und Alexandra Hildebrandt: Gut in Mode: Wissenswertes über nachhaltige Bekleidung und Textilien. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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