Liebe im Zeitalter der Digitalisierung
Sie ist kein Gefühl, sondern ein Tun. Immer mehr Menschen glauben, dass sie durch das Handeln in der digitalen Welt und die Nutzung digitaler Technologien möglich ist. Plattformen wie tinder, parship oder Facebook bestärken sie darin. „Mittlerweile vermessen und berechnen wir jeden Zentimeter unseres Lebens, die Zukunft unserer Kinder, unsere Gesundheit und sportlichen Leistungen, geben Prognosen über Liebesleben und Karriereverlauf ab, als ob es sich dabei um reine Rechenexempel handelt“, sagt die Philosophin Dr. Ina Schmidt. Für ein scheinbar perfekt auf uns abgestimmtes Lebensmodell verkaufen wir unsere individuelle Freiheit „an die Vorgaben technischer Autoritäten.“ Der Aufschwung von Flirtportalen und Partnervermittlungsagenturen lässt vermuten, dass wir eine Generation von Dauersingles und selbstverliebten Menschen sind. Die Liebe kommt dabei nicht gut weg – deshalb hat sie einen Gegenentwurf geschrieben, der die unterschiedlichen Gesichter der Liebe zeigt. Ihre philosophischen Betrachtungen beschäftigen sich mit den Fragen, wie wir einen liebevollen Umgang mit anderen finden, ohne uns selbst aufzugeben, was Leidenschaft für die Liebe bedeutet oder, was von der Liebe bleibt, wenn die Leidenschaft gegangen ist. Sie geht der Liebe auf den Grund: Die Entscheidung für sie beginnt bei den kleinen Zeichen, die sie setzt. „Am Ende ist es eine (manchmal sehr pragmatische) Einsicht in den Wert, den die Liebe für jedes gelingende Leben hat oder haben soll.“
Verliebtheit – die nach 18 Monaten vorbei ist, wie Biologen behaupten - wird häufig mit Liebe verwechselt. Doch man ist nur für kurze Zeit mit dem anderen eins. Das hat aber mit Liebe nichts zu tun. Echte Liebe hat mit „Nachhaltigkeit“ zu tun. Der Begriff gehört seit der Sylvicultura Oeconomica (1713) des Hans Carl von Carlowitz (1645-1714) zum kulturellen Erbe der Deutschen und inzwischen auch zum ideellen Weltkulturerbe. Nachhaltigkeit ist heute ein allgemeiner Grundsatz unseres Handelns geworden. Wir nutzen das Carlowitz‘sche Leitbild für Nachhaltigkeit in der Einheit von Ökonomie, Ökologie und Ethik als Kompass und Navigationsgerät. Es sollte auch für die Liebe gelten, die uns überdauern wird. Diese Prophezeiung erfüllen beispielsweise Briefe, die mehr sind als nur ein freundlicher Schubs wie E-Mails oder SMS. Sie sind eine „Liebkosung“, die immer auf eine Neuentdeckung wartet – auch und gerade im digitalen Zeitalter.
Ina Schmidt: Eine Liebeserklärung. GU Verlag, München 2018.
CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. 2. Auflage. SpringerGabler Verlag. Berlin Heidelberg 2021.