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Liegt in der Generation Weltuntergang noch das Potenzial der Wende?

Viele Medienberichte und Studien verweisen darauf, dass die Generation X (1965 bis 1979) weniger umweltbewusst und gesellschaftlich engagiert ist als Jüngere und Ältere - und dass sie weniger von der „Fridays for Future-Bewegung“ berührt ist. Aber stimmt das wirklich?

Sie habe vor lauter Party die wichtigen Dinge übersehen, habe früh im Leben schon viel gewusst, aber nichts getan. Solche Formulierungen benötigen eine Einordnung in entsprechende Kontexte – werden sie ausgeblendet, kann nie ein klares Bild entstehen, und es werden Generationen gegeneinander ausgespielt, die nur gemeinsam die dringlichsten Aufgaben der Gegenwart meistern können. Die Autorin Anne Weiss, die selbst dieser Generation angehört, hat dies schon 2018 in einem Gastbeitrag thematisiert: „Wir können also nicht sagen, wir hätten nichts gewusst, wenn unsere Kinder uns eines Tages fragen, warum wir nichts unternommen haben.“ Auch mit Stefan Bonner erzählt sie in ihrem Buch „Planet Planlos“, seit wann wir Bescheid wissen und was uns erwartet. Als Kind der Achtziger wuchs sie einer Zeit auf, in der all dies schon offensichtlich war: „Ozonloch. Vergiftete Flüsse. Sterbende Wälder. Borkenkäferbefall. Dünnsäureverklappung in der Nordsee. Geplante Atommüllendlager und Wiederaufbereitungsanlagen. Alles Dinge, die man eigentlich nur doof finden konnte. Der einzige Vorteil im Vergleich zu heute war: Die Probleme schienen mehr oder weniger klar umrissen – und man konnte mit einem Schild bewaffnet gegen sie protestieren.“ In dieser Zeit bestiegen allerdings auch viele Menschen erstmals einen (nunmehr bezahlbaren) Flieger. Es war das Plastikzeitalter, in dem der Klimawandel nur eine Randerscheinung war - zum Beispiel, „als der Spiegel 1986 „Die Klima-Katastrophe“ titelte, mit einem Kölner Dom auf dem Cover, dem das Wasser bis zum Hals steht.“ Die Erderwärmung spielte sich vor allem im Hintergrund ab, „während unsere Gedanken eher um akute Probleme wie Pershing II, Tschernobyl und die Startbahn West kreisten.“

Die Generation Mauerfall musste zunächst einmal lernen, sich im neuen gesellschaftlichen System zurechtfinden. Die Generation X hatte noch einige Jahre Zeit, um in das neue System hineinzugleiten. „Für die Älteren war der Schnitt viel härter. Da wurden oft ganze Biografien zerstört“, schreibt der Autor Michael Nast in seinem Buch „Vom Sinn unseres Lebens“. Die wirkliche Vereinigung besteht für ihn darin, dass wir immer mehr aufeinander angewiesen sind. In den Zeiten von Konsum- und Selfie-Wahn, Selbstoptimierung und Ichbezogenheit stellt er die Sinn-Frage: Worum geht es im Leben eigentlich? Gibt es möglicherweise sogar Werte aus dem damaligen Osten, die unserer Gesellschaft heute wieder guttun würden? Durch den Wechsel der Gesellschaftssysteme verschob sich innerhalb kürzester Zeit alles. So wurden zwischenmenschliche Werte wie Hilfsbereitschaft plötzlich als Schwächen gesehen. Es sind Werte der Menschlichkeit, die in der DDR mehr kultiviert wurden als heute – nicht durch das System, sondern bedingt durch das System und die ständige Krise, in einer Diktatur und Mangelwirtschaft zu leben. Es wurde versucht, sich der Allgegenwart des Staates zu entziehen, indem sich die meisten ins Private zurückzogen und Werte kultivierten, die dort wichtig waren. „Es ging darum, im kleinen Kreis seiner Nische füreinander da zu sein, es ging um ein Miteinander, nicht um ein Gegeneinander. Wenn man menschliche Werte lebte, verstand man sich als erfolgreich im Leben. Sie zu kultivieren war ein Statussymbol, denn Reichtum und Besitz hatte das System ja nicht wirklich zu bieten.“

Die ostdeutsche Wirtschaft fiel in sich zusammen, die Treibhausgasemissionen sanken „ein klein wenig, umweltfreundlichere Technik ermöglichte weitere Reduktionen“, sagt Anne Weiss. „Doch als die machtpolitischen Verhältnisse und die Wirtschaft ein wenig gesettelt waren, stieg der CO2–Ausstoß wieder an. Nie wurde in der Geschichte der Menschheit so viel CO2 verballert wie im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends, als wir in den Genuss von Billigfliegern kamen, jeder einen Computer zu Hause hatte und Shopping erstmals ohne verschämtes Grinsen als Hobby genannt wurde.“ Der Berliner Jugendforscher Klaus Hurrelmann bezeichnet die Vertreter:innen dieser Generation als kämpferisch und konsumorientiert, repräsentabel und busy. Seit sich Anne Weiss für ihr Buch "Generation Weltuntergang" mit der Klimakrise beschäftigt hat, wurde ihr immer deutlicher, dass es nur einen Weg geben kann: „Teil der Veränderung zu sein, die wir uns auf der Erde wünschen.“ Denn noch könnten wir etwas tun. In der Generation X liegt durchaus das Potenzial für eine nachhaltige Wende.

Bonner und Weiss gehören zur Generation der „Kassettenkinder“, die praktisch aufs Ende der Welt fixiert ist – doch sie bleiben nicht dabei, sondern plädieren für die Vision einer besseren Welt: „Wir müssen wieder träumen lernen.“ Aber dabei darf es nicht bleiben: Wir müssen handeln, um etwas zu ändern. Gelingt es uns nicht, den Klimawandel zu stoppen, wird unsere eigene Lebenswelt unwiderruflich ausgelöscht, und die Geschichten unserer Kinder haben kein Happy End: „Wir müssen lernen, wieder so naiv an die Weltrettung heranzugehen, wie wir das als Kinder getan haben. Als wir noch an ein gutes Ende glaubten.“ Vor dem Hintergrund dieser Beispiele stimmt es nicht, dass die Engagementbereitschaft der Generation X weitaus weniger ausgeprägt als bei der Generation Y, die mit dem Gefühl beständigen Wandels und Unsicherheit groß geworden ist. Vor dem Hintergrund der Instabilität krisenhafter Entwicklungen haben Status und Besitz nur einen geringen Stellenwert. Der Werbespot der neunziger Jahre „Mein Haus, mein Auto, mein Garten“ war gestern. „Was brauche ich wirklich?“ heißt die Frage, die heute immer öfter gestellt wird. Auch Bindungsklassiker wie Dienstwagen, Titel und hierarchische Verankerung sind für diese Generation wenig reizvoll. Die neue Führungselite ist nicht mehr am Status wie der Größe ihres Dienstwagens erkennbar, sondern an dem, was sie ist und tut.

Dass das gleichermaßen für die Generation X gilt, zeigt das Beispiel von Claudia Silber, die seit 2009 als Pressesprecherin bei der memo AG in Greußenheim tätig ist. Seit 2013 leitet beim Öko-Pionier den Bereich Unternehmenskommunikation. Nach dem Studium der Germanistik und Journalistik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg war sie einige Jahre in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Textilunternehmen tätig. Ein internes CSR-Projekt weckte ihr Interesse am Thema Nachhaltigkeit, dem sie sich seither beruflich widmet. Manchmal sagt sie scherzhaft, dass sie ihre Arbeit im Laufe der Zeit zu einem „Öko-Fundi“ gemacht hat. Worüber sie sich früher kaum Gedanken gemacht hat, hinterfragt sie heute sehr oft. „Das fängt an beim Kauf von bestimmten Produkten für den Alltag wie Lebensmittel oder Bekleidung: Wo sind die Produkte hergestellt? Welches Unternehmen steht dahinter? Wie wirken sich die Produkte auf Umwelt, Klima und Gesundheit aus? Wie sieht es mit dem Ressourcenverbrauch aus? Durch meine Erfahrungen und das Wissen, das ich in den letzten Jahren gesammelt habe, kaufe ich mittlerweile sehr viel bewusster ein, verzichte auch einmal an der ein oder anderen Stelle und versuche einfach, mich nachhaltiger zu verhalten und z.B. öfter zu Fuß zu gehen oder das Fahrrad zu nehmen.“

„Ein bisschen Information und Hintergrundwissen gehört allerdings schon dazu. Wer sich regelmäßig über entsprechende Plattformen informiert, findet automatisch Anregungen zu einem bewussteren Leben und seinen ganz eigenen Weg.“ Nachhaltigkeit sollte allerdings einfach erklärt werden und verständlich sein. „Wenn es um unabhängige und zuverlässige Umweltzeichen und Labels geht, ist es gerade wichtig, deutlich zu machen, warum sie sich von ‚hausgemachten‘, unternehmenseigenen Labels, die meist nur Greenwashing sind, unterscheiden. Und letztlich muss auch die Nachhaltigkeitskommunikation wieder zu einem unabhängigen, zuverlässigen und vertrauenswürdigen Journalismus zurückkehren. Diese Beispiele belegen zugleich das enorme Potenzial der Generation X. Ihr Erfahrungswissen und ihr Pragmatismus sind unverzichtbar, wenn es darum geht, gemeinsam als Menschen - und nicht als Zugehörige einer Kohorte - Zukunft zu gestalten.

Weiterführende Informationen:

  • Gestatten, Generation Weltuntergang

  • Klimaschutz und Empathie: Treibstoff einer anständigen Gesellschaft

  • Nur wer die Welt begreift, kann sie auch verändern

  • Vision für eine bessere Welt: Interview mit Claudia Silber

  • Nicolas Richter: Die Sorglosen. In: DIE ZEIT (11./12.12.2021), S. 51.

  • Thomas Winkler: Radikal unentschieden. In: Cicero 6 (2013), S. 110.

  • Stefan Bonner und Anne Weiss: Nachhaltigkeit ist die Jutetasche des 21. Jahrhunderts. In: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. SpringerGabler Verlag, Berlin, Heidelberg 2020.

  • Stefan Bonner und Anne Weiss: Planet Planlos. Sind wir zu doof, die Welt zu retten? Knaur Verlag, München 2017.

  • Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Gut zu wissen... wie es grüner geht: Die wichtigsten Tipps für ein bewusstes Leben. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

  • Michael Nast: Vom Sinn unseres Lebens. Und andere Missverständnisse zwischen Ost und West. Edel Books, Hamburg 2019.

  • Michael Nast: Generation Beziehungsunfähig. Verlag Edel Germany GmbH, Hamburg 2016.

  • Peter Seewald, Jakob John Seewald: Welt auf der Kippe. Zu viel, zu laut, zu hohl - macht Schluss mit dem Wahnsinn. Mit Illustrationen von Katharina Bitzl. Ludwig Verlag, München 2015.

  • Claudia Silber: Wo Klimaschutz beginnt. Zum bewussten Umgang mit Energie und Wasser. In: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. SpringerGabler Verlag, Berlin, Heidelberg 2020.

  • Harald Welzer: Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand. Frankfurt am Main 2013, S. 173.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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