Literatur als Beruf: Schreibdruck, Existenznot, Verlagsstrategien – Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Heinrich Böll
Der erstmals veröffentlichte, von Renate Langer edierte Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Heinrich Böll, der lange gesperrt war, zeigt die beiden Autoren von einer unbekannten Seite.
Im Mittelpunkt ihres Austauschs, der die der ersten Nachkriegsjahrzehnte umfasst, stehen Themen, die auch heute noch das Leben von freien Schriftstellern prägen: Schreibdruck, Existenznöte, Verlagsstrategien – und immer wieder die Frage: Wie kommt man als freier Autor über die Runden? Die junge Österreicherin Ingeborg Bachmann, die vor allem mit ihren Gedichten berühmt wurde, lernte den neun Jahre älteren katholischen Rheinländer Heinrich Böll 1952 auf ihrer ersten Tagung der Gruppe 47 in Niendorf kennen. Zu dieser Zeit ist er bereits ein bekannter Autor. Bachmann steht noch am Beginn ihrer Karriere. Schon bald vertraut sie Böll an, dass sie sich vor der „Literatur als Beruf fürchte“. Ihre dunklen Ahnungen findet sie bald in seinen Briefen bestätigt: Er „schuftet wie ein Irrer“. Oft arbeitet er an Kurzgeschichten und Hörspielen gleichzeitig, um „irgendwie Geld zusammen zu raffen“. Preisgelder helfen ihm, einige Wochen oder Monate zu überbrücken, aber sie reichen nicht aus. Böll möchte „wenigstens soviel Geld fest verdienen, dass man das Existenzminimum hat“ (5.8.1957). Als er sich 1954 in Dublin aufhält, schreibt er ihr: „Am liebsten waere mir, wenn ich hier in der Lotterie gewaenne und ein Haus kaufen koennte, als letzte Zuflucht für Dichterinnen und Dichter, die der deutschen Emsigkeit entfliehen möchten.“
Zuweilen ist er sehr verzweifelt und ekelt sich sogar vor dem von ihm Geschriebenem.
Deshalb muss er immer wieder Neues hervorbringen, sehnt sich aber auch nach einer handwerklichen Brotarbeit für das Existenzminimum, denn Böll hatte Frau und drei kleine Söhne zu ernähren. Finanziell übernimmt er sich mit seinem großen und teuren Haus. „Das dumme Haus. Ich glaube, wir haben alle kein Glück mit unbeweglichem Gut“, antwortet ihm Bachmann, die es mit einer freien Schriftstellerexistenz trotzdem „probieren“ möchte. Böll litt häufig unter dem Zwang, Hörspiele schreiben zu müssen, denn diese Aufträge brachten gutes Geld. Produktionsdruck und Geldnöte waren auch für Ingeborg Bachmann, die zeitweise auch als Fernsehdramaturgin arbeitete, die Hölle. Die Lebenslinien im Buch umfassen ihren Weggang aus Wien als junge Rundfunkredakteurin, ihren Aufbruch nach Italien sowie ihre Besuche in Klagenfurt bei der Familie, die das „Verlässliche“ in ihrem Leben war. Ihr Wunschort war Rom. Böll wohnte in Köln, zog sich aber immer wieder nach Irland zurück. Ihre Aufenthalte und Reisen durch Deutschland und Europa berührten sich fast nie: Entweder passten die Zugfahrpläne nicht oder das Geld war wieder knapp.
Auch tat sie sich mit der Entscheidung schwer, zwischen zwei Verlagen wählen zu müssen: „Ich habe es mir einfacher gedacht, ein Autor zu sein. Man hat doch mit dem Schreiben genug zu tun.“ Immer wieder haderte sie damit, für ihren Lebensunterhalt Geld verdienen zu müssen („… man muss Geld haben, um die Schuhe reparieren lassen zu können“, die „Jagd ums liebe Geld“, 21.4.1953). Der Schreib- und Arbeitsdruck nahm auch bei ihr massiv zu: So beklagte sie sich, dass sie mit einem Libretto gehetzt wird, während sie sofort nach Neapel muss. „Was machen wir aus unserem Leben?“, fragt sie Böll. Dies ist auch der Titel des Briefwechselbandes, der wiederholt, „dass es so nicht geht“. Nach ihrem Bruch mit Max Frisch versiegt die Korrespondenz: „Schade, wir sehen und hören nichts mehr voneinander“, schreibt Böll 1963. 1972 verlischt der vertraute (aber dennoch diskrete) Austausch zwischen beiden ganz. Lange haben sie sich gesiezt - am Ende ihrer Korrespondenz kehren beide zum Sie zurück. Zeitweise standen ihre Bücher gemeinsam auf den Bestsellerlisten. Bachmann ist noch vor Böll auf dem Titel des „Spiegel“ zu sehen. Neid oder Rivalität waren beiden allerdings fremd. Bölls bewegender Nachruf nach ihrem Tod bildet den Abschluss des Buches, das zwar keinen literarischen Austausch enthält (obwohl sie einander auch Gedichte und Erzählungen schickten), aber ein Bild ihres echten Lebens vermitteln. So berichtet Böll als „leidenschaftlicher Vater“, dass er am liebsten „mit Kaffeekanne, Cigaretten, Wein neben mir – im Bett liege … und meinen Kindern, die um mich herumliegen, Geschichten erzähle“.
Der Nobelpreisträger des Jahres 1972 war gern der Der Muße zugewandt und sehnte sich oft danach, einfach nichts zu tun.
Seine Geschichte vom armen Fischer und dem erfolgreichen Unternehmer, die Heinrich Böll 1963 als „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ erzählte, erinnert ebenfalls daran: In einer Hafenstadt liegt ein Fischer in seinem Boot und schläft. Ein geschäftiger Unternehmer steht plötzlich vor ihm und fotografiert die idyllische Szene. Er weckt den Fischer auf und spricht über unbegrenzte, wirtschaftliche Wachstumsmöglichkeiten, die der Fischer hätte, wenn er heute noch ein weiteres Mal ausfahren würde. Auch könne er mit weiteren Booten viel mehr fangen, ein Kühlhaus bauen, eine Räucherei, später eine Marinadenfabrik, mit einem eigenen Hubschrauber fliegen, die Fischschwärme ausmachen „und ihren Kuttern per Funk Anweisungen geben“. Dann könne er beruhigt hier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen und auf das Meer blicken. - „Aber genau das tue er doch längst“, antwortet der Fischer und fügt hinzu: „Nur Ihr Klicken hat mich dabei gestört.“ Er ist die Ruhe selbst. Nach getaner Arbeit legt er sich zufrieden in sein kleines Boot und schlummert in der Sonne.
Heinrich Böll gönnte sich keine Schlummerzeiten, sondern sehnte sich nur danach – als Autor sah er sich als geborenen Einmischer, weil er darin die einzige Möglichkeit sah, „realistisch zu bleiben.“ Das zeigt sich auch im Briefwechsel mit Ingeborg Bachmann. Vor allem bei Verlagsstrategien war Böll ein „väterlicher“ Ratgeber. Seine Empfehlung an die junge Autorin: „Lassen Sie sich nie auf Termine ein … verstanden, mein liebes, liebes Kind? Verstanden? So wird der Speck geräuchert“. Bachmann antwortete ihm selbstbewusst: „Ein paar Tage nach einem diplomatischen Brief schickte Piper einen zweiten, in dem er auf 900 DM hinaufging; … Denn es geht ja … auch um die Position … ich komm mir jetzt nicht so ‚abgespeist‘ vor“.
Der Austausch über die Verleger ist besonders lesenswert, denn viele Autoren sind auch heute noch zurückhaltend mit ihren geschäftlichen Erfahrungen.
In unserer weitgehend anonymen Verlagslandschaft erscheinen die alten Verleger wie Wesen aus einer anderen Welt. So schreibt Ingeborg Bachmann am 29. November1 954 über den Verleger Klaus Piper, der bereits in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg in den väterlichen Verlag eintrat, und von 1953 bis 1983 als persönlich haftender Gesellschafter den Verlag leitete. Er war eine charismatische Verlegerpersönlichkeit, die es im deutschen Buchmarkt der Gegenwart nicht mehr gibt: „Das plushafte an ihm ist, dass er sehr nett und liebevoll zu seinen Autoren ist, so im alten Stil, nicht protzig und besserwisserisch und mit grossem Mercedesgebraus, während man selbst zu Fuss nach Haus geht.“ – Solchen „Burschen“, schrieb Böll, muss man „das Geld aus der Tasche ziehen“. Aktuelle Tendenzen beobachtete Böll sehr genau und wusste auch hier eine Lösung: „Kommt einer im dicken Auto, muss er dafür bezahlen“ (20. 12.1954).
Das Buch:
Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll: „Was machen wir aus unserem Leben?“ Kiepenheuer & Witsch, Piper, Suhrkamp , Köln, München, Berlin 2025.
Weiterführende Informationen:
„Einmischung erwünscht“: Wo sind die Intellektuellen geblieben?
Heinrich Böll/Émilie Bravo: Der kluge Fischer. Bilderbuch. Carl Hanser Verlag. München 2014.