Tischler

Macher der Gesellschaft: Darum sind Tischler gefragter denn je

„Kreativität kommt vom ganzen Menschen und nicht von isolierter Denkarbeit.“ Ralf Otterpohl

In unserem von Krisen erschütterten Komplexitätszeitalter ist vielerorts eine Rückkehr zu lokaler Produktion zu verzeichnen, die auch dem Erhalt des guten Lebens dient sowie „persönliche Handlungsoptionen und Freiheit“ schafft. Die globale Wirtschaft hat in den vergangenen Jahrzehnten auch die Möbelproduktion industrialisiert: Erhältlich ist in den gängigen Läden und Märkten vor allem ein Spanholz-Plastik-Mix, eine Vorstufe des Sondermüllsch. „Wir können nicht unser gesamtes Vertrauen in riesige industrielle Systeme legen, weil ihnen meiner Meinung nach die Balance fehlt und sie den Kern der Selbstzerstörung schon in sich tragen“, sagte Prinz Charles im Jahr 2014. Dieses Zitat ist auch prägend für das Denken und Tun von Ralf Otterpohl, der in seinem Buch „Das Neue Dorf. Vielfalt leben, lokal produzieren, mit Natur und Nachbarn kooperieren“ zeigt, wie die Zukunft sicherer und angenehmer gestalten werden kann: „Da die Politik den Fehlentwicklungen offenbar nicht schnell genug zu begegnen weiß, müssen wir selber aktiv werden.“

Für eine gute Zukunft für alle braucht es nicht nur ökologische Gärtner, Bauern und Forstwirte, die den Boden erhalten, regenerieren, Humus aufbauen, sondern auch Tischler, deren Handwerk für Individualität in Form und Material steht. Tischler, die berufliches Wissen und Können greifbar vereinen, produzieren keine Stangenware, sondern fertigen Unikate. Viele Betriebe werden heute wieder verstärkt von Privatkunden, aber auch von Architekten und Planern für die Anfertigung von Türen und Fenstern, Möbel und Küchen beauftragt. Langlebige und hochwertige Produkte mit einer besonderen Haptik stehen bei vielen Kunden hoch im Kurs, die der Wegwerfgesellschaft den Rücken kehren wollen.

Viele traditionelle Handwerksbetriebe wirtschaften schon immer fair und leisten Beiträge für ihre Region und die Gesellschaft. Dazu gehört beispielsweise die abitare Tischlerei GmbH in Freiburg. Sie gibt es seit etwa 20 Jahren und wird von zwei Geschäftsführern geführt. Angestellt sind ein Geselle und eine Aushilfe. Sie bietet maßgefertigte Küchen, Büroeinrichtungen und Einbaumöbel aus Holz an. Das Kleinstunternehmen gab 2015 einen Gemeinwohlbericht heraus und achtet bei den Holzprodukten darauf, dass Oberflächenbehandlungsöle und –lacke lösungsmittelfrei sind. Das verwendete Holz ist FSC-zertifiziert und die Küchengeräte energiesparend. Die angemieteten Räume befinden sich in einem Gebäude mit Fotovoltaikzellen und einem Blockheizkraftwerk. Bei den Lieferanten werden regionale Unternehmen mit geringen Transportwegen und Familienbetriebe mit sozialer und ökologisch hochwertiger Fertigung bevorzugt.

Im Digitalisierungszeitalter haben auch viele traditionelle Bezeichnungen wie „Werkstatt“ überlebt, die das Alte und Neue nachhaltig verbinden und im Küchenbereich aus einer „Gedankenwerkstatt“ hervorgingen: Hier wird heute nicht mehr nur geschraubt und gewerkelt – es stehen vor allem Ästhetik, Komfort und Kochen im Fokus. Frank Schwab ist Inhaber der Küchenwerkstatt im österreichischen Götzis. Hier lernte er das Tischlerhandwerk „von der Pieke“ auf und verbindet es mit der aktuellen Entwicklung, in der das traditionelle Handwerk nicht verschwindet. Wirtschaftlich spielt es in Deutschland eine bedeutende Rolle.

Auch Ulrich Meyer-Bröcker vom Unternehmen Meyer Holzbearbeitung, das seit 1978 mit Häcker Küchen in Rödinghausen zusammenarbeitet, hat mit einer Tischlerei begonnen, bevor er zu einem erfolgreichen Dienstleister der Möbel- und Küchenindustrie wurde. Sämtliche Arbeitsschritte, vom Zuschnitt über die Bekanntung bis hin zur eigenen Lackiererei werden hier mit einem modernen Maschinenpark abgebildet - dennoch stehen das Handwerk und die Bedeutung des Haptischen hier noch immer im Mittelpunkt. Beispielsweise bei der abschließenden Qualitätskontrolle, wenn das geschulte Auge Maserung und Oberfläche beurteilt und die fließenden Handbewegungen die Front perfekt lackieren. Händler und Endkunden wollen Qualität und Erscheinungsbild nicht nur mit den Augen, „sondern auch mit den Fingerspitzen wahrnehmen“, bestätigen Produktentwickler bei Häcker. Greifen und begreifen gehören noch immer zusammen, wenn es darum geht, die kleine und große Welt zu gestalten.

Zwischen Google und Facebook bewegt sich auch David Rafter, Geschäftsführer von arena kitchen architecture. Das Unternehmen wurde 1989 als reine Tischlerei gegründet, die selbst Küchen fertigte. Dann folgte die Erweiterung, denn: „Irgendwie ist die Küche ja auch eine Art Arena, wenn man sich das Haus wie ein Theater vorstellt, dann findet hier die Kommunikation statt, geht es mal um Freude, dann um Drama“, so Rafter. Die Küche rückt heute immer mehr in den Mittelpunkt der Wohnung und des Lebens. Das erlebt die Häcker Küchen GmbH & Co KG , der drittgrößte Küchenmöbelhersteller Deutschlands, auch bei seinen Händlern und Endkunden. Deshalb beschränkt man sich hier bei der Hausmesse nicht nur auf die Präsentation von Küchensituationen, „sondern bezieht auch die weitere Umgebung und ganze Wohnräume ein“, sagt Markus Sander, Geschäftsführer Häcker Küchen. Junge Menschen erlernen hier unter anderem den Beruf des Holzmechanikers: „Wir haben alle noch mit Lego gespielt, wussten, wie man konstruktive Verbindungen herstellt, wie man Dinge sicher und belastbar zusammenfügt“, wird im Kunden- und Mitarbeitermagazin WORK ein Ausbildungsleiter zitiert.

Damit verweist er zugleich auf die Bedeutung von Small Data heute: Auch der der internationale Marketingexperte Martin Lindstrom hatte als Kind mit den Lego-Bausteinen gespielt, später engagierte ihn das Unternehmen als Modellbauer. 2004 wurde er dann Berater von LEGO. Nachdem sich das Unternehmen 2003 in einer Krise befand, weil Experten seit Jahren prophezeiten, dass lieber mit PCs spielen würden, folgte eine wichtige Erkenntnis: Nachdem 2004 ein Junge aus Deutschland, auf ein ausgetretenes Paar Turnschuhe zeigte, die sichtbar machten, dass er der beste Skateboarder seiner Stadt war, erkannte das LEGO-Team, dass sich Kinder unter Gleichaltrigen ein soziales Prestige aufbauen, indem sie spielend in einer von ihnen gewählten Fertigkeit ein entsprechendes „Können" (!) erlangen. Ist die Fertigkeit lohnend, bleiben sie so lange dran, bis sie sie richtig beherrschen. Es ging den Kindern darum, eine Aufgabe zu bewältigen und etwas Greifbares zu erhalten.

Können und Meisterschaft haben auch für den Küchenhersteller eine enorme Bedeutung. Hier hat es noch niemals einen Auszubildenden gegeben, der untauglich war: „Jedem, der hier einen ordentlichen Abschluss macht, steht die Möglichkeit offen, ein paar Meter weiter in der Produktion in einem festen Arbeitsverhältnis übernommen zu werden“, heißt in der Unternehmenspublikation „Aus Tradition verantwortungsvoll2 (2018). In der hochtechnisierten Produktion geht es zwar um das Bedienen der Maschinen – dennoch soll den Auszubildenden eine möglichst breite Basis mitgegeben und der Werkstoff Holz nahegebracht werden, um auf diese Weise auch im Zeitalter der Digitalisierung ein Grundverständnis und handwerkliche Fähigkeiten mitgeben zu können.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

Artikelsammlung ansehen