Makeover für den Beziehungsraum
Warum es sich lohnt, auch in die zwischenmenschliche Ebene im Unternehmen zu investieren.
Liebe alle,
ich begrüße euch ganz herzlich zu meiner Idee von „Schöner Wohnen im Unternehmen“. Ich bin sozusagen die Tine Wittler der Organisationsentwicklung und helfe euch beim Umbau eurer Firma – natürlich mit Deko!
Ich hab mir mal angeschaut, wie das so aussieht bei euch. So weit, so solide: Es gibt vier Wände und ein Dach. Na, das ist doch schon mal was. Und mal unter uns: Ich hab schon Unternehmen gesehen, die sahen so aus:
Aber bei euch, da gefällt mir das schon ganz gut. Ihr seid alle auf einer Ebene, richtig gut, das macht den Umbau natürlich gleich viel unkomplizierter.
Ihr verteilt euch auf drei große Räume. Das ist schon mal ganz gut, aber noch besser wäre das hier:
Genau, Nikolaus, der olle Häuslebauer, hat es vorgemacht: eine Organisation braucht vier Räume.
Wir haben den Steuerungsraum, den operativen Raum, den individuellen Raum und den Beziehungsraum. Be-zieh-ungs-raum. Hier wird ausgehandelt, was zwischen Menschen innerhalb eures Unternehmens passiert.
Und mir ist leider aufgefallen: Euer Beziehungsraum, der ist wirklich nicht sehr einladend.
Also ich würde da nicht freiwillig reingehen – da sollten wir dringend ran. In diesen Raum müsst ihr investieren!
Ja, na klar, der Beziehungsraum ist total wichtig. Die anderen Räume, hey, die habt ihr voll im Griff, da ist alles tippitoppi. Scrum, Kanban, Remote-Work – das habt ihr echt drauf. Agile Mindset, Work-Life-Blending, Servant Leadership, Liquid Workforce, Growth Hacking, Lean Management – Hammer! Ihr seid wie so ’ne richtige Familie, nä?
Aber irgendwann passiert es halt doch: Es gibt Knatsch. Ärger. Stress. Beef. Denn wenn Menschen auf Menschen treffen, dann ist das nun mal so. Meistens läuft es gut, manchmal aber eben nicht — es gibt Konflikte. Und das ist gut so!
Konflikte sind nämlich eine Chance. In jedem Konflikt steckt Potenzial für Wachstum, Innovation und tiefere Verbindungen – sowohl persönlich als auch beruflich. Dazu müsst ihr wissen:
Konflikte treten nicht auf, weil jemand versagt hat. Sie entstehen, weil Menschen unterschiedliche Strategien wählen, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen.
Ein Beispiel: Nach der Arbeit möchte ich mich entspannen, und dabei hilft mir laute Musik. Mein Mann, der möchte ebenfalls ein bisschen runterkommen – er hat also das gleiche Bedürfnis wie ich – und möchte deshalb meditieren.
Merkt ihr was?
Gut, werdet ihr jetzt denken, wo ist das Problem? Nimm halt Kopfhörer! Hier der Konflikt, dort die Lösung – das wär’s, nicht wahr? Leider ist aber eine Lösung keine Lösung, zumindest nicht auf Dauer. Weil wir den ersten Schritt überspringen: Klärung. Bedürfnisse, Gedanken und Prägungen sichtbar machen. Für Klarheit sorgen.
Wenn unterschiedliche Positionen sichtbar gemacht und verstanden werden, kann etwas Neues entstehen. Und genau dafür brauchen wir den Beziehungsraum! Hier wird ausgehandelt, wie die Leute, die bei euch arbeiten, miteinander umgehen. Hier können sie ihre Perspektiven teilen, Wünsche äußern und Missverständnisse ausräumen.
Zwischenmenschliche Spannungen sind nämlich nur dann ein Problem, wenn sie nicht offen angesprochen werden. Sie verschwinden ja nicht einfach, wenn man sie nur lange genug ignoriert. So läuft es aber nun mal: Problematische Themen werden weggeschwiegen, ausgesessen oder auf der funktionalen Ebene gelöst – und das bitte schnell. Das führt dazu, dass die Spannungen ungeklärt im Raum hängen, das Arbeitsklima vergiften und eine wirksame Zusammenarbeit unmöglich machen.
Aber hey, es gibt doch „New Work“ und Agilität! Damit soll doch zwischenmenschlich alles laufen. Flexibilität, dezentralisierte Entscheidungsfindung oder kontinuierliches Lernen – klingt doch mega! Nix mehr mit „top-down“! Heute sollen die oben und die unten möglichst auf Augenhöhe miteinander umgehen. Gleichberechtigte Beziehungen, das klingt nach weniger Bürokratie, mehr Selbstbestimmung und – mal ehrlich – am Ende mehr Profit. Das ist aber leider zu kurz gedacht.
Mit New Work sind die Konflikte ja nicht plötzlich verschwunden. Die Ursachen, die Formen, die Lösungsversuche – alles ist noch da, und das sowohl in multinationalen Großkonzernen als auch in dynamischen Start-ups, in Familienunternehmen oder Handwerksbetrieben.
Die Scrum-Master unter euch haben jetzt vermutlich schon richtig Puls, oder? Ihr macht ja alle zwei Wochen eure Retros, stimmt’s? Super! Dann müsst ihr nur noch dafür sorgen, dass sich nicht alle hinter Post-its mit oberflächlichen Lösungen verstecken.
Wenn ihr nämlich nicht gleichzeitig eine wirksame Konfliktkultur entwickelt und den Fokus auf zwischenmenschliche Beziehungen richtet, bleiben Scrum und Co unvollständig.
Und diese Lücke kostet! Nicht geklärte Konflikte sind Leistungsbremsen! Innovationen kommen nicht zustande, wenn Ideen aus Argwohn nicht geteilt und weiterentwickelt werden. Prozesse laufen nicht rund, wenn die Verantwortlichen nicht Hand in Hand arbeiten. Unsicherheit und Frust machen sich breit.
Und – Überraschung: Wer sein Arbeitsumfeld dauerhaft als unangenehm empfindet, der sucht sich einen neuen Job. Für das Unternehmen bedeuten häufige Personalwechsel hohe Kosten für die Rekrutierung und Einarbeitung von neuen Fachkräften. Und bis diese gut integriert sind, bleiben wichtige Impulse in der Schublade.
Jetzt guckt doch nicht so bedröppelt! Bei euch läuft das doch ab jetzt anders – weil wir zusammen den Beziehungsraum ausmisten und so richtig schön muckelig machen.
Aber, ich sag’s, wie es ist: Das kann ein bisschen dauern. Jetzt alles rauszureißen, gewaltfreie Kommunikation lernen, Tischkicker rein – das wird euch langfristig nicht helfen.
Wenn ihr den Umgang mit Konflikten dauerhaft und positiv verändern wollt, dann geht das nicht von heute auf morgen. Reden hilft? Na sichi, aber wo und wann? Wo soll ich denn mit meinen Spannungen hin, wenn es dafür keine Räume und Routinen gibt?
Deshalb müssen alle mit anpacken: Unternehmensleitung, Personalteams und Führungskräfte. Gemeinsam müssen sie ein Umfeld schaffen, in dem Mitarbeitende ermutigt werden, den informellen Dialog zu suchen. Es gilt, proaktive Routinen zu etablieren, die gesunde Beziehungen und eine produktive Zusammenarbeit fördern. Gleichzeitig müssen auch reaktive Mechanismen entwickelt werden, mit denen akute Konflikte bewältigt werden können.
Der Weg zum Erfolg führt über die gesamte Strecke. Wir brauchen Strukturen, die den konstruktiven Dialog fördern und pflegen. Sich auf eine Dialogebene zu beschränken, das bringt Ungleichgewicht!
Das ist auch kein gerader Weg, den man in eine Richtung abläuft. Das ist ein Markt der Möglichkeiten, ein Volksfest, das IKEA der Organisationsentwicklung – nennt es, wie ihr wollt.
Dort könnt ihr Schlendern, in eurem Tempo, Ansätze kennenlernen und Methoden ausprobieren. Und was passt, kommt mit in den Beziehungsraum. Und nach und nach wird sich eure Perspektive auf Konfliktklärung verändern – von einem notwendigen Übel zu einer Chance für Wachstum und Innovation.