„Man kann nicht nicht gendern“ – Warum es Zeit ist, das Thema Sprache in der HR ernst zu nehmen
Sprache prägt unser Denken – und unsere Unternehmenskultur. Wer im Recruiting oder in der internen Kommunikation arbeitet, kennt die Diskussion um gendergerechte Sprache längst. Aber ist das wirklich so wichtig? Muss man da mitmachen? Oder ist Gendern einfach nur ein Trend?
Man würde denken, manche Themen nutzten sich irgendwann ab. Nicht so der Streit über das Gendern. Falls ein Trend, dann ist es ein extrem hartnäckiger und emotional aufgeladener. Denn die feministische Sprachkritik begann schon in den Siebzigern mit Luise Pusch, die die deutsche Sprache als „Männersprache" kritisierte. Seitdem hat sich viel getan, aber das Thema polarisierte in den vergangenen fünf Jahren wie eh und je und taucht alle paar Monate wieder im gesellschaftlichen Diskurs auf.
Hier ist die gute oder schlechte Nachricht, je nachdem, wie man’s nimmt: Man kann nicht nicht gendern. Weder als Individuum noch als Unternehmen. Egal welche Entscheidung man trifft, diese Entscheidung wird Konsequenzen haben. Und das ist die zweite Nachricht: Egal welche Entscheidung man trifft, die wird nicht allen gefallen.
1. Warum Sprache in Unternehmen relevant ist
Gendergerechte Sprache ist kein Symbolstreit. Sie ist Ausdruck einer Haltung – und ein Werkzeug, um Menschen sichtbar zu machen, die bisher oft mitgemeint, aber nicht mitgedacht wurden. Und genau deshalb ist die Diskussion darum auch so aufgeladen.
Sprache beeinflusst, wie willkommen sich Menschen fühlen, ob sie sich bewerben, ob sie bleiben. Studien zeigen: Schon Kinder trauen sich Jobs weniger zu, die nur in der männlichen Form geschrieben sind. Inklusive Sprache ist also nicht nur Formsache, sondern ein Potenzial. Wer sie bewusst gestaltet, gestaltet auch Zugehörigkeit. Und das ist für Arbeitgeber*innen heute kein Nice-to-have mehr – sondern ein zentraler Hebel für Fairness, Vielfalt und Fachkräftesicherung.
2. „Ich gender doch gar nicht“ – doch, tust du.
Viele glauben, sie würden neutral sprechen – und gendern nicht. Doch Fakt ist: Sprache ist nie neutral.
Ein Beispiel: Der Berliner Bürgermeister sagte kürzlich, die Berliner*innen bräuchten kein Gendern. Seine Aussage: „Die Berliner und Berlinerinnen brauchen kein Gendern.“ Damit nutzt er eine Doppelform – also eine Form des Genderns. Unbewusst vielleicht, aber: Es gibt keine geschlechtsneutrale Sprache – nur bewusste oder unbewusste Entscheidungen.
Wer das generische Maskulinum („der Mitarbeiter“) nutzt, entscheidet sich ebenfalls – nur eben für eine Form, die seit Jahrzehnten nachweislich weniger Menschen anspricht.
3. Welche Genderform ist die richtige für unser Unternehmen?
Es gibt viele Arten zu gendern: Genderstern (*), Doppelpunkt (:), Unterstrich (_), Doppelform („Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“), neutrale Begriffe („Team“, „Personen“) oder kreative Umschreibungen.
Die eine perfekte Lösung gibt es nicht. Aber eine gute Regel lautet: Was passt zu unserem Unternehmen – und wen wollen wir erreichen?
Ich selbst arbeite mit dem Genderstern, weil ich damit trans, inter und nicht-binäre Menschen explizit mit ansprechen will. Und weil der Stern aus der feministischen Bewegung kommt – als Symbol für das Sichtbarmachen von Vielfalt jenseits binärer Geschlechterlogik. Doppelpunkte werden dagegen häufig eingesetzt, weil sie teilweise weniger störend empfunden werden, allerdings sind sie für Screenreader herausfordernd, denn es gibt sie ja bereits als Satzzeichen.
Mehr dazu: Wie geht eigentlich dieses Gendern? (Teil 2)
Wichtig ist: Trefft eine Entscheidung – und kommuniziert diese transparent.
4. Gendern in der Praxis: Was HR jetzt tun kann
Gendergerechte Sprache ist mehr als ein Sternchen. Sie betrifft nicht nur das Sichtbarmachen aller Geschlechter, sondern auch die Wortwahl insgesamt. Viele Begriffe sind unbewusst männlich oder weiblich codiert – etwa „durchsetzungsstark“ oder „fürsorglich“. Studien zeigen, dass diese Codierungen beeinflussen, wer sich angesprochen fühlt – und wie.
Inklusive Sprache bedeutet also:
Wie sprechen wir über Menschen? Wen machen wir sichtbar? Und welche Assoziationen rufen wir hervor?
Drei konkrete Ansätze für HR
Stellenanzeigen aktiv gestalten
Nutzen Sie genderinklusive Schreibweisen („Projektmanager*in (m/w/d)“) – und achten Sie auf eine ausgewogene Wortwahl. Beispiel: Statt „zielstrebiger Macher gesucht“ lieber „Verantwortung übernehmen und Teams mitgestalten“.Unternehmenskommunikation anpassen
Gendergerechte Sprache sollte sich durch interne und externe Kommunikation ziehen – von der Karriereseite über E-Mails bis hin zu Leitfäden. Ein Styleguide schafft Sicherheit. Und: Gendern bedeutet nicht automatisch Mehrwortsätze und Sprachchaos. Es braucht ein bisschen Übung – aber es lohnt sich.Haltung zeigen – auch ohne Perfektion
Gendern ist ein Prozess. Wer klarmacht, warum er oder sie sich für eine Form entscheidet, wirkt glaubwürdig – auch wenn noch nicht alles ideal läuft. Führungskräfte sollten mit gutem Beispiel vorangehen.
5. Kommunikation braucht Strategie
Egal wofür Ihr euch entscheidet – die Entscheidung braucht Kontext und Kommunikation.
Das bedeutet:
Alle Mitarbeitenden sollten wissen, warum Sprache ein Thema ist.
Es braucht Inputs, Workshops oder kurze Wissensimpulse, die das Warum erklären. → z. B. IN-VISIBLE Diversity Inputs
Es braucht Übungsmöglichkeiten: Praxismeetings, offene Sprechstunden, Feedbackräume.
Und es braucht Unterstützung durch Führungskräfte, damit die Entscheidung auch im Alltag gelebt wird.
Gendergerechte Sprache ist ein Baustein für eine inklusive Unternehmenskultur – und sie beginnt mit einer einfachen Frage:
Wen wollen wir ansprechen – und wen schließen wir (unabsichtlich) aus?
Sprache verändert sich. Und Unternehmen verändern sich mit ihr. Wer neue Talente gewinnen, bestehende Mitarbeitende halten und ein faires Miteinander gestalten will, sollte Sprache nicht dem Zufall überlassen. Man kann nicht nicht gendern. Aber man kann es besser oder schlechter machen.
Wie wird das Thema bei Euch im Unternehmen umgesetzt? Welche Herausforderungen ergeben sich in der Praxis?