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„Man wirft verlorenem Geld noch mehr Geld hinterher“: Audi, BMW und Mercedes geben Here weitere Millionen

Mit den Karten von Here wollten die deutschen Autobauer Google Maps aus den Cockpits verdrängen. Das misslingt. Nun müssen die Eigner viel Geld zuschießen.

Wien. Hochauflösende Straßenkarten gelten als zentrale Komponente, damit Autos eines Tages völlig autonom den Stadtverkehr bewältigen können. Die deutschen Premium-Autobauer Audi, BMW und Mercedes-Benz haben daher vor einigen Jahren den Kartendienst Here Technologies mehrheitlich gekauft. Auch die Zulieferer Continental und Bosch sind inzwischen beteiligt.

Doch die millimetergenaue Vermessung der Welt ist ein teures Unterfangen – und angesichts anhaltender Verluste müssen die deutschen Autohersteller teilweise einspringen, um Here mit ausreichend Liquidität zu versorgen. Allein im ersten Halbjahr haben Audi, BMW und Mercedes nach Handelsblatt-Informationen in Summe 354 Millionen Euro an die kriselnde Kartentochter über ihre Beteiligungsgesellschaft There Holding überwiesen.

Davon dienen 91 Millionen Euro zur Stärkung des Eigenkapitals und der Rest, um ein fälliges Darlehen abzulösen, das Here nicht allein zurückzahlen konnte.

Das geht aus den Geschäftsberichten der Unternehmen und Einschätzungen mehrerer Insider hervor. So bilanziert beispielsweise Mercedes im jüngst veröffentlichten Bericht zum zweiten Quartal einen Aufwand von 118 Millionen Euro im Rahmen einer „strategischen Neuausrichtung und Refinanzierung“ von Here International. Auch Audi und BMW haben Branchenkreisen zufolge jeweils diesen Betrag zugeschossen – zum Teil über Kapitalerhöhungen.

Bosch und Continental haben sich dagegen nicht an den Transaktionen beteiligt. Auch die zwei japanischen Anteilseigner des Kartendiensts, der Mischkonzern Mitsubishi Corporation und das Telekommunikationsunternehmen NTT, stellten zuletzt kein Kapital zur Verfügung. Lediglich der US-Chiphersteller Intel sprang ein – allerdings mit einer relativ geringen Summe in Höhe von neun Millionen Euro.

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Audi, BMW und Mercedes haben Anteile an Here wieder aufgestockt

Ein Here-Sprecher bestätigte alle Zahlen. „Here hat in der ersten Jahreshälfte Maßnahmen ergriffen, um seine Bilanz zu verbessern, eine flexiblere Kapitalstruktur zu schaffen und seine Strategie auf sein Kerngeschäft zu konzentrieren.“ Im Rahmen dieses Prozesses hätten Audi, BMW und Mercedes ihr Vertrauen in die Produkte und Wachstumschancen von Here „unterstrichen“.

Richtig ist allerdings auch, dass die deutschen Autobauer ihre Anteile an Here tendenziell weiter reduzieren wollten. Diese Strategie ist vorerst gescheitert. Erstmals seit der 2,6 Milliarden Euro schweren Übernahme der früheren Nokia-Tochter haben Audi, BMW und Mercedes bei Here wieder spürbar aufgestockt.

„Das ist das Gegenteil einer Exit-Strategie. Man wirft verlorenem Geld noch mehr Geld hinterher“, kritisiert Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des Center Automotive Research (CAR). Aus Sicht des Autoexperten ist Here zu kompliziert organisiert. Der Firma mangle es im Vergleich zu Google Maps an Skaleneffekten, zudem seien die Lizenzen zu teuer: „Es fällt schwer, sich noch eine große Zukunft für Here vorzustellen.“

Während der Suchmaschinenriese die Kundendaten von Unternehmen monetarisiert, die verschiedene seiner Dienste nutzen, hat Here bewusst einen anderen Ansatz gewählt, der mehr Rücksicht auf Datenschutz legt und für alle Beteiligten einen Mehrwert generieren soll. Here schwört auf offene Systeme, je mehr Partner die Firma gewinnen kann, desto besser.

Der Umsatz des Unternehmens ist seit 2016 allerdings um rund ein Fünftel eingebrochen, zuletzt auf lediglich 928 Millionen Euro. Und Here hat seither durchgängig Verluste geschrieben. Kumuliert über sieben Jahre beträgt das Minus mittlerweile fast 1,7 Milliarden Euro.

Selbst BMW und Mercedes setzen nicht nur auf Here

Die deutschen Autobauer mussten für Here schon mehrfach liquide Mittel bereitstellen. Die jüngste Kapitalspritze in Höhe von 354 Millionen Euro war allerdings die umfassendste. Zuvor hatten die Konzerne 2021 ein Darlehen von 121 Millionen Euro gewährt, 2020 eines mit einem Volumen von 130 Millionen Euro. Beide Darlehen sind mit mehr als sechs Prozent verzinst.

Here befindet sich nach wie vor in einer schwierigen Lage. Der große Durchbruch beim autonomen Fahren lässt auf sich warten, die Technik ist längst noch nicht ausgereift. Die von Here erhofften Umsätze in dem Zukunftsmarkt bleiben bisher weitgehend aus, auch wenn die Firma immerhin die S-Klasse von Mercedes und die 7er-Reihe von BMW als Prestigeprojekte mit seiner Technik bestückt. Gleichzeitig schrumpft jedoch das Kerngeschäft mit Navigationskarten.

In der Firmenzentrale im niederländischen Eindhoven kämpfen die Manager gegen den branchenweiten Absatzrückgang. Seit Ausbruch der Coronapandemie werden weltweit deutlich weniger Pkw verkauft und damit auch weniger neue Karten benötigt. Zudem setzen mittlerweile selbst die eigenen Anteilseigner auf Navi-Karten anderer Anbieter.

BMW nutzt etwa bei der Routenplanung für Elektrofahrzeuge auch Produkte der US-Firma Mapbox. Und Mercedes kündigte Ende Februar an, künftig Google Maps unter eigenem Design in seine Fahrzeuge zu integrieren.

Der Deal markiert einen Tiefpunkt für Here. Zufall oder nicht: Einen Monat nach der Ankündigung von Mercedes und Google trat der langjährige Here-CEO Edzard Overbeek zurück, ein Nachfolger ist bis jetzt nicht benannt. Seit Mai führen Denise Doyle, Chief Data Officer bei Here, sowie Finanzchef Adeel Manzoor die Geschäfte interimsweise.

Und sie müssen eisern sparen. Nachdem sich Here seit 2019 bereits von Tausenden Beschäftigten getrennt hat, sollen dieses Jahr noch mal drei Prozent der Stellen wegfallen. Das wären etwa 200 weitere Jobs. Die Kürzungen sind dabei offenbar bereits umgesetzt.

Here zählt aktuell nur noch 6100 Mitarbeiter. Das Unternehmen will sich zudem auf seine Kernklientel aus der Auto-, Transport- und Logistikwirtschaft fokussieren. Vorstöße in die Telekommunikationsbranche scheiterten.

Automatisierung durch KI als Zukunftswert

Dennoch gibt es Anlass zur Hoffnung. Im vierten Quartal des vergangenen Geschäftsjahrs soll die Firma operativ erstmals wieder schwarze Zahlen geschrieben haben, sagt ein Automanager mit Zahlenkenntnis. Here konnte zudem 2022 neue Aufträge im Umfang von zwei Milliarden Euro gewinnen. Das entspricht einer Zunahme von 65 Prozent im Vergleich zu 2021 und ist ein neuer Buchungsrekord.

Ab dem kommenden Jahr will Here zudem seine neue Kartentechnik „Unimap“ allen Kundengruppen anbieten. Während es bei vorherigen Systemen mitunter Monate dauerte, bis Änderungen in der realen Welt in der digitalen Kartei sichtbar wurden, soll dies künftig binnen 24 Stunden möglich sein.

Bei Unimap nutzt Here eine neue Rechnerarchitektur und verarbeitet GPS-Daten und Sensordaten aus Millionen von Fahrzeugen mithilfe von Künstlicher Intelligenz automatisch. Das spart Geld und verbessert die Aktualität der Karten. Die deutsche Autoindustrie habe so oder so ein strategisches Interesse an Here, heißt es in Branchenkreisen: „Es braucht eine Alternative zu Google.“

Selbst Mercedes-Finanzchef Harald Wilhelm sagt im Gespräch mit dem Handelsblatt seine Unterstützung zu: „Auch über die nächsten Jahre hinaus werden wir natürlich weiter mit Here zusammenarbeiten neben Google, weil die Karte noch über viele Jahre verwandt werden wird.“

Die Haltbarkeit von derlei Aussagen darf allerdings bezweifelt werden, meint ein Investmentbanker: „Natürlich darf man die Firma nicht jetzt einfach gegen die Wand fahren.“ Die Autobauer müssten sich aber entscheiden: Entweder sie investieren große Summen und wetten auf ein wachsendes Geschäft, oder sie trimmen die Firma auf Effizienz – und steigen bei der nächsten Gelegenheit schleunigst aus.

Eine Fortdauer des bisherigen Kurses bei Here, mit minimalem Aufwand auf einen maximalen Ertrag zu hoffen, werde nicht funktionieren.

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