Management-Experte erklärt: «Man darf Coachen nicht mit Führen verwechseln»
Die Führungsrolle birgt viel Verantwortung. Jürg Eggenberger, Geschäftsführer der Swiss Leaders, zeigt auf, welche Eigenschaften es in dieser Rolle braucht.
Tina Fischer: Ist Führung lernbar oder muss man ein Naturtalent sein?
Jürg Eggenberger: Es ist vieles lernbar, aber gewisse Persönlichkeitseigenschaften müssen gegeben sein. Ganz wichtig ist, dass man gerne führt. Man muss Menschen mögen, sonst fühlt man sich nicht wohl in dieser Position. Eine weitere Voraussetzung ist Kritik- und Lernfähigkeit. Eine Führungsperson sollte immer wieder Reflexionsschlaufen durchlaufen, um das eigene Handeln zu analysieren und daraus zu lernen. Das klingt in der Theorie einfach, ist aber in der Praxis schwieriger.
**Tina Fischer:**Können Sie das weiter ausführen?
Jürg Eggenberger: Meist besteht die Bereitschaft für Reflexion erst, wenn zuvor ein Problem, ein Konflikt oder ein komplexer Sachverhalt mit anspruchsvollen Entscheidungen aufgetreten ist. Gerade junge Führungspersonen besitzen in solchen Fällen wenig Erfahrungsschatz, auf den sie zurückgreifen können. Entsprechend sollten sie sich begleiten lassen, ihre Rolle besser verstehen und ihre Kompetenzen durch die kritische Betrachtung verbessern.
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Tina Fischer: Das grosse Ziel dieser kritischen Betrachtung ist schlussendlich eine gute Führung. Aber was ist gute Führung?
Jürg Eggenberger: Kühler Kopf, warmes Herz und arbeitende Hände – das ist die Formel für eine gute Führung. Den kühlen Kopf braucht man, um Orientierung zu geben, Zusammenhänge zu verstehen und aufzuzeigen sowie um übergeordnete Ziele den Mitarbeitenden nahezubringen. Ein warmes Herz konzentriert sich auf die Zusammenarbeit und die Entwicklung der Teams und der Mitarbeitenden. Die Führungsperson unterstützt ihre Mitarbeitenden und kümmert sich um sie. Schliesslich werden auch arbeitende Hände benötigt: Eine Führungskraft packt mit an; sie räumt Barrieren weg, bringt Dinge in Bewegung und stellt sicher, dass sie zu Ende geführt werden. Sie ist ein Rollenmodell dafür, wie Werte und Regeln umzusetzen sind.
Tina Fischer: Wo liegt der Unterschied zur nachhaltigen Führung?
Jürg Eggenberger: Da besteht kein Unterschied – gute Führung ist nachhaltige Führung. Ein Beispiel für nicht nachhaltige Führung ist, dass man alles dem Gewinnstreben unterordnet, auf Kosten der Umwelt und der Gesellschaft. Nachhaltige Führung hingegen ist sinnstiftend und werteorientiert, fördert ganzheitliches Denken und nachhaltige Geschäftsmodelle und schafft ein integratives Umfeld. Das Ziel ist eine positive Wirkung für die Gesellschaft und die Umwelt, sodass die gesamte Gemeinschaft, aber auch das Unternehmen als Ganzes weiterkommt. Die gute und die nachhaltige Führung gehen also miteinander einher.
**Tina Fischer:**Gerade in Zeiten der Digitalisierung stellen sich neue Herausforderungen. Sie sind nahe an den Kaderleuten dran: Wo drückt der Schuh am meisten?
Jürg Eggenberger: Es sind vor allem zwei Dinge: einerseits die Schnelligkeit, anderseits die Komplexität. Veränderungen kommen heute mit höherer Kadenz als früher. Deshalb müssen Führungskräfte agil sein und Entscheidungen in kürzerer Zeit herbeiführen. Berechenbarkeit, Planungsstabilität und Erwartungssicherheit nehmen ab. Hinzu kommt die Entgrenzung der Arbeit. Die Leute arbeiten zeitlich und räumlich flexibel, was die Zusammenarbeit erschwert. Diese gestiegene Komplexität in einer sich schnell drehenden Welt kreiert neue Spannungsfelder.
**Tina Fischer:**Was heisst das zusammenfassend?
Jürg Eggenberger: Damit Führung heute Wirkung erzielt, muss man sie teilen. Das bedingt offenere Entscheidungsprozesse unter Einbezug von kompetenten Mitarbeitenden. Es geht darum, diese produktiv zu vernetzen und ihre Lernbereitschaft zu fördern, damit sie selbst tragfähige und sinnvolle Entscheidungen fällen.
Tina Fischer: Sie haben es bereits erwähnt: Die virtuelle Herausforderung ist eine Herausforderung, der man noch mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen sollte. Was empfehlen Sie Führungskräften?
Jürg Eggenberger: Die Entgrenzung der Arbeit, dass man virtuell von überall arbeiten kann, erschwert den Zusammenhalt im Team. Deshalb braucht es mehr Orientierung, damit alle vom Gleichen reden. Auch muss man gemeinsame Regeln, Rollen und Erwartungen häufiger klären, ob virtuell oder physisch, damit sie schneller an Veränderungen angepasst werden können.
Mitarbeitende übernehmen auch immer mehr Steuerungsaufgaben. Sie müssen sich an Schnittstellen mit anderen abstimmen, Störungen selber beheben und Prioritäten setzen. Die neuen Arbeitsformen sind deshalb kein Freipass zum Tun und Lassen, sondern erfordern Selbstmanagement und gemeinsame Führungsarbeit. So sollte die Führungsperson gemeinsam mit dem Team klären, wie man mit den verschiedenen Kommunikationskanälen umgeht oder wie viel Homeoffice möglich ist. Alle diese Aspekte führen dazu, dass eine Führungsperson auch ein Coach ist. Ein Coach, der die Mitarbeitenden begleitet, sie unterstützt und mit ihnen Regeln für eine gute Zusammenarbeit gestaltet.
Tina Fischer: Heisst das, dass man als Führungsperson weniger die Chefrolle einnehmen, sondern vielmehr coachen sollte?
Jürg Eggenberger: Man darf Coachen nicht mit Führen verwechseln. Eine Führungsperson muss führen, im Sinn von gestalten, entscheiden und sicherstellen, dass der Zielfokus erhalten bleibt. Sie muss aber auch coachen, um Leute zu entwickeln. Die Schwierigkeit oder eher die Kunst der Führungsrolle ist es, zu verstehen, welche Rolle man wann ausüben soll. Der klassische Managerteil, bei dem man selber alles plant und organisiert, nimmt zugunsten der Partizipation ab. Als Führungsperson soll man die Leute mehr einbeziehen, ihre Selbstverantwortung stärken und ihnen den Freiraum geben, sich selber zu organisieren.
**Tina Fischer:**Welche Fähigkeiten müssen die Führungspersonen der Zukunft haben?
Jürg Eggenberger: Das ist eine gute Frage. Es hängt auch davon ab, wie sehr das Tempo der Digitalisierung noch zunimmt. Irgendwann reicht es nicht mehr, nur Wertschöpfungs- und Kommunikationsprozesse zu digitalisieren. Es werden ganze Geschäftsmodelle infrage gestellt. Neue Konkurrenten drängen in den Markt und verändern die Spielregeln. Das bedingt eine ständige Anpassungsbereitschaft der Führungspersonen. Es braucht ein Zusammenspiel aus Agilität und Resilienz: Agilität, um sich anzupassen. Resilienz, damit man stabile Strukturen schafft, die Veränderungen absorbieren können.
In Zukunft ist eine Führungskraft auch eine Gesundheitsmanagerin. Sie ist verantwortlich für die Arbeitsfähigkeit der Mitarbeitenden. Sie muss die Arbeitsbelastung, die Ressourcen zum Thema machen und Lernprozesse dazu anstossen, wie man eine belastende Situation verändern kann. Eine Führungsperson fordert ihre Leute auch mal auf, einen Boxenstopp einzulegen und eine Weiterbildung zu besuchen. Denn auch das ist nachhaltiges Führen: Als Führungskraft interessiert nicht nur die Leistung der Person im Job, sondern auch, dass diese im Arbeitsmarkt überlebt, wenn es ihren aktuellen Job aufgrund der Schnelligkeit des Wandels nicht mehr gibt.
Tina Fischer: Welchen Ratschlag geben Sie einer frisch gewählten Führungskraft?
Jürg Eggenberger: Mir gefällt die Metapher des Gärtners: Ein Gärtner hat immer den gesamten Garten im Blickfeld. Das Wachsen einzelner Pflanzen kann er nicht beschleunigen. Er kann aber dafür sorgen, dass die Pflanzen optimale Rahmenbedingungen vorfinden: Wasser, Dünger, Sonneneinstrahlung, richtige Zusammensetzung im Beet ... Er interveniert frühzeitig, wenn eine Pflanze krank ist. Und wenn Pflanzen nicht gedeihen, ist er bereit, die Konsequenzen zu ziehen und sie zu ersetzen.
An die Adresse junger Führungsleute heisst das: Seien Sie sich als Führungsperson im Klaren, was das Ziel, das Profil Ihres Gartens ist, und gestalten Sie ihn gesamtheitlich. Bleiben Sie sich treu und setzen Sie sich mit Ihren eigenen Werten auseinander. Schliesslich sind Sie ja nicht einfach so Führungskraft geworden, sondern haben gezeigt, dass Sie die Verantwortung für den ganzen Garten übernehmen können.
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