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Manfred Krug - Elke Petra Thonke

Manfred Krug als Momentensammler

Auf einem Flohmarkt werden nur Dinge verkauft, für die er die letzte Chance ist, sich noch eine Weile zu halten. Wer fähig ist, die Gegenstände und ihre Geschichten zu hören, zu dem sprechen sie. Der Schauspieler Manfred Krug liebte vor allem jene Dinge, die leise sprachen, an denen andere auf dem Flohmarkt achtlos vorbeigingen. Daheim schraubte er historische Maschinen und Apparate dann auseinander, „feilte, ölte, hämmerte, polierte, verschaffte dem erworbenen Schatz neuen Glanz, spürte den Geschichten hinter Kunstgegenständen nach“, schreibt Krista Maria Schädlich in ihrem Vorwort zum Buch »Mir fällt gerade ein…«, das ein Sammelsurium von Beobachtungen, Gedankenblitzen, literarischen Schnappschüssen, Kommentaren, Zitaten und Alltäglichem enthält. Schädlich übersiedelte 1977 mit ihrer Familie aus der DDR in die Bundesrepublik. Danach war sie als Lektorin in verschiedenen Verlagen tätig. Als enge Vertraute von Manfred Krug betreute sie alle Bücher von ihm und zeigt als Herausgeberin im aktuellen Buch seinen Blick auf „Weltall, Erde, Mensch“. Besonders interessierte ihn „der Gang der Zeit, in den Uhren wie im Universum.“

Das Cover zeigt Krug nachdenklich auf einem bunten Teppich, den er lange betrachtet im Bewusstsein, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt. Er liebte Flohmarktbesuche und die Hinwendung zu den fassbaren Dingen, die er dann zu einer neuen Welt zusammenstellte. Krug war aber auch ein Handwerker seines Berufs und seiner Berufung: Er nahm sein Leben selbst in die Hand und ging präzise „ans Werk". Sogar der Tisch in seiner Wohnung glich zuweilen einer Werkbank. Ernsthaft und detailgenau arbeitete er auch an seinen Rollen. Die Oberflächlichkeit in der Filmbranche, angefangen mit Drehbuchschreibern bis hin zu Regisseuren ärgerte ihn genauso wie.

Manfred Krug, geboren am 8. Februar 1937, war in der DDR und später in der Bundesrepublik ein gefeierter Schauspieler, Sänger und Autor. Im Juni 1977 reiste er mit seiner Familie aus der DDR aus. Einem großen Publikum ist er als Maurer-Polier im DEFA-Film „Spur der Steine“ oder als Fernfahrer in der ARD-Serie „Auf Achse“ (1978 - 1996) bekannt. Als Anwalt in „Liebling Kreuzberg“ feierte er ebenfalls große Erfolge. Krug schrieb mehrere Bücher, darunter den Bestseller „Abgehauen“. Er starb am 21. Oktober 2016 im Alter von 79 Jahren. Der Maler und Grafiker Moritz Götze illustrierte bereits Manfred Krugs »66 Gedichte, was soll das?«, eines der der meistverkauften Gedichtbücher der Nachkriegszeit. Für das aktuelle „Sammelsurium“ hat der Freund und Bewunderer von Manfred Krug extra Radierungen angefertigt. Mit dem Akt des Zusammenstellens soll ein Nachdenken herausgefordert und angeregt werden, das auf unsere Gegenwart zurückwirkt. Und das, obwohl es vor allem Auskunft über die persönlichen Befindlichkeiten und Gefühlslagen der 1990er Jahre gibt – zeitlos wird es erst durch die durchgängige Frage nach dem „Was bleibt“.

Mutig, kraftvoll, unangepasst, unerschrocken und wahrhaftig sind Attribute, die ihm zugeschrieben werden. Mit fast 60 Jahren wurde er noch einmal Vater einer unehelichen Tochter. Seine Frau Ottilie, die im Oktober 2020 in Berlin so leise und unauffällig starb, wie sie an seiner Seite gelebt hatte, ahnte, dass es eine Geliebte gab, wusste aber nichts von dem Kind. Sie erfuhr erst ein Jahr vor den Dreharbeiten zu „Abgehauen“ durch Zufall von seiner Tochter Marlene, die er mit einer Schauspielkollegin gezeugt hat. In einer Notiz lässt Krug durchschimmern, wie sehr sein Seitensprung seine getroffen hat: „Otti hat eine viel zu gare Gemüsesuppe gekocht. Seit sie sich nicht mehr geliebt fühlt, kocht sie nicht mehr so gut wie früher. Sie läßt die Suppe allein kochen. Nichts kocht allein.“ Während dieser Zeit verschlechterte sich auch der Gesundheit seines Freundes Jurek Becker, der im März 1997 starb. Drei Monate später hatte Krug einen schweren Schlaganfall, den er im ersten Teil seiner Aufzeichnungen aus den Jahren 1996–1997, „Ich sammle mein Leben zusammen“, beschreibt. Davon zeigt auch das kleine Büchlein, das ihn als einen sammelnder Denker und denkender Sammler zeigt. In seinen letzten Lebensjahren waren Zettel seine Gedächtnisstützen und Ordnungsanker. „Ohne sie würde ich nicht einen einzigen Tag überstehen… Ich habe keine Angst. Wenn meine Zettel nicht gut hängen, rücke ich so lange daran herum, wie es nötig ist.“

  • Manfred Krug: »Mir fällt gerade ein…« Ein Sammelsurium. Herausgegeben und mit einem Geleit von Krista Maria Schädlich. Illustriert von Moritz Götze. Kanon Verlag, Berlin 2024.

„Und eines Tages sind wir alle tot …“: Was bleibt von Manfred Krug?

Manfred Krug: Ich bin zu zart für diese Welt. Tagebücher 1998–1999. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Krista Maria Schädlich. Kanon Verlag, Berlin 2022.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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