Markt der Innenwelten: Warum die Sehnsucht nach Heim und Wohnen wächst
„Individualität ist kostbar. Wir geben ihr Raum“ verspricht ein Einrichtungshaus seinen Kunden in einer Broschüre zum Thema „Profi-Planungstage“. Die Zeiten sind „günstig“ für die Entstehung von Individualität – auch und gerade, weil alles mit allen vernetzt und ständig in Bewegung ist. Das nährt die Sehnsucht, dem Konformismus zu entkommen und wieder ein Einzelner sein zu wollen, Orte der Ruhe und Besinnung zu finden, an denen der Mensch bei sich sein und für sich Sorge tragen kann. Auch für die Digital Natives, die mit dem Internet aufgewachsen sind, ist es wichtig, ein unverwechselbares Zuhause zu haben und sich am Vergangenen zu orientieren, das sie auf ihre Weise neu zitieren. Internet und Wohnroutine schließen sich nicht aus. Im Gegenteil: Lebensbehagen und nachhaltiger Weltbezug haben heute mit der verlässlichen und im besten Wortsinn gewohnten „Wiederkehr des Gleichen“ zu tun. Wenn Kleidung die zweite Haut ist, dann sind die eigenen vier Wände, in denen es um gestaltetes Dasein geht, die dritte Haut. „Die Innenausstattung spiegelt die eigene Persönlichkeit und den individuellen Lifestyle wieder.“ (memolife)
Individualisierung, das Bedürfnis nach Rückzug und Cocooning spiegeln sich auch im „Erlebnis Bad“ und in der Kosmetikbranche wider.
„Nach innen geht der geheimnisvolle Weg“, schrieb einst der Romantiker Novalis. Ihn ist auch der österreichische Germanist, Philosoph, Aromatherapeut, Parfumeur und Kosmetikhersteller Wolfgang Lederhaas gegangen, der Geistes- und Naturwissenschaften vereint: Er widmete sich in Graz, Wien und Berlin dem Studium der Philosophie, Psychologie, Germanistik sowie einer klassischen Gesangsausbildung. Inspiriert durch das Bild eines Renaissance-Menschen wendete er sich weiteren Studien der Pharmazie, Kosmetologie und Aromatherapie zu, um schließlich die Wiener Manufaktur und Eco-Luxury Marke LEDERHAAS Organic Skincare zu gründen, wo er hauseigene wie externe Produkte konzipiert und kreiert. Was seine Seifen mit Literatur zu tun haben, erklärt er in seinem Blog-Beitrag: „Warum ich, Mag. Lederhaas, ungern Werbung mache für Dr. Bronner‘s Seife, aber gerne Gedichte von Novalis, Schlegel, Tieck und Konsorten verseife“.
Inspiriert wurde er von der Romantik, von der Impulse ausgehen, die damals wie heute von großer Tragweite und Aktualität sind. In dem, was er tut, findet sich der noch immer unpopuläre Grundsatz von Ludwig Tieck: „Die neue Zeit muss uns die alte und umgekehrt die alte die neue erklären.“ Seine Seifen stehen auch symbolisch dafür, dass es nicht darum geht, Vergangenes vertrocknet an das eigene Herz zu schließen, sondern es zu beleben und sich daran zu erfrischen. Das stärkt das körperliche Immunsystem, das allerdings auch ein kulturelles Immunsystem braucht.
Der Begriff „Reinheit“ erhält in diesem Zusammenhang noch eine zusätzliche Bedeutungsdimension: Mit sich im Reinen sein heißt ja auch, mit dem eigenen Leben einverstanden zu sein, innen und außen nicht zu trennen: „Entspannen Sie sich. Das ist wahrscheinlich das Beste, was Sie zur Rettung der Welt beitragen können“, sagt der Ökonom und Nachhaltigkeitsexperte Fred Luks. Der bewusste und informierte Kunde erwartet heute wahrhaftige Produkte mit einer Geschichte und einer transparenten Wertschöpfungskette. Er entscheidet nicht nur nach dem Geld. Nachhaltiger Erfolg im Handel bedeutet deshalb, ein stimmiges Konzept zu haben, die Denkmuster der Konsumenten genau zu kennen und ihre Bedürfnisse zu befriedigen, vor allem aber Verantwortung in den Produktions- und Lieferländern zu übernehmen.
Weiterführende Informationen:
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Wohnen 21.0: Grundzüge des Seins von A bis Z: global – lokal –nachhaltig. Amazon Media EU S.à r.l. 2019.