Marktmacht Amazon: Der Kunde ist König, der Händler der Dumme
Ende November geht es wieder los. Der Verkaufswahnsinn startet. Er nennt sich Black Friday und Cyber Monday. Mit Rabattschlachten, Sonderaktionen und massiver Werbetrommel sollen Waren an den Mann und an die Frau gebracht werden. Doch das Eldorado für Schnäppchenjäger hat auch seine Schattenseiten – ethische, logistische und branchenspezifische. Dabei sind Black Friday und Cyber Monday gar nicht das eigentliche Thema, sie sind nur Symptome einer negativen Entwicklung im Handel generell, die maßgeblich von Amazon initiiert, getriggert und manifestiert wird.
Doch der Reihe nach. Es geht hier nicht um Amazon-Bashing. Amazon ist ein beeindruckendes Unternehmen. Seine Erfolgsgeschichte, seine disruptive und technologische Kraft und die konsequente Umsetzung des viel zitierten „Der Kunde ist König“-Satzes sind bewundernswert. Amazon ist die größte Produktsuchmaschine der Welt. Was auf Google die Information und auf Youtube die Unterhaltung, ist auf Amazon das Produkt. Wer die Seite besucht, hat sich meist schon entschieden, Geld ausgeben zu wollen. Und Amazon versteht es, das zu nutzen. Nicht selten weiß der Onlinegigant schon, was ich suche und potenziell kaufen werde, bevor ich es selbst weiß, Algorithmen, Big Data und KI sei Dank. Angeblich wird jeder zweite Online-Euro in Deutschland bei Amazon ausgegeben.
Einer verliert immer
Eine wahnsinnige Marktmacht, die nicht wenige kleinere und größere Händler dazu veranlasst, sich ihrerseits auf Amazon einzulassen. Sie verkaufen dort ihre Waren oder richten gleich einen eigenen Amazon-Marktplatz ein. Sie wollen von der immensen Reichweite profitieren und ebenso wie Amazon den Kunden zum König machen. Und genau da geht es los. Denn: Einer der Kette ist der Verlierer. Das ist eigentlich immer so, wo es auch und vor allem um den Preis geht. „Oh, das ist ein niedriger Preis“, wirbt das Unternehmen aktuell für sich und seine Plattform. „Oh, den Preis zahlen andere“, müsste es aber eigentlich heißen. Wo das Immer-billiger regiert, ist immer mindestens einer der Leidtragende, wahlweise der Produzent, die Mitarbeiter in der Wertschöpfungskette, der Händler oder der Kunde selbst. Die einen zahlen mit geringen Margen oder gar Verlusten, die anderen mit schlechten Arbeitsbedingungen oder mageren Löhnen, und der Kunde zahlt mit schlechter Qualität. Alles geht nicht. Noch niemandem ist die Quadratur des Kreises gelungen. Was billig für den einen ist, bedeutet Verzicht für andere. Das ist die ethische Komponente. Von all dem Verpackungs- und Plastikmüll, der Wegwerfkultur und dem Anfeuern eines wenig nachhaltigen Konsums möchte ich gar nicht reden.
Ich möchte das auch nicht moralisieren. Es geht mir vielmehr ums System. Doch auch hier zunächst etwas Positives: Amazon hat mit seinen Technologien nicht nur den Onlinehandel besser gemacht, sondern auch den stationären Handel. Dass Shopping heute nicht mehr in erster Linie als Bedürfnisbefriedigung, sondern als Erlebnis betrachtet wird, ist zweifelsohne ein Verdienst des Onlineprimus. Auch der stationäre, innerstädtische Handel setzt heute auf Algorithmen und künstliche Intelligenz.
Dass der Kunde auch mittels Displays und seinem eigenen Smartphone beraten wird, er im Store hochindividuelle Impulse bekommt, in smarten Umkleidekabinen viel mehr ausprobieren kann, als die Regale hergeben, und mittels sozialer Netzwerke sein Einkaufserlebnis auch mit den Freunden teilen kann, die gar nicht dabei sind, ist letztlich Amazon-getrieben. Der stationäre Handel muss sich messen lassen an den Vorteilen des Onlineshoppings und so besser werden. Gut für den Verbraucher, der im stationären Handel einen weiteren Vorteil hat: das haptische Erleben, das im wahrsten Sinne des Wortes „Begreifen“ des Produktes, das Aufnehmen mit allen Sinnen. Das kann Amazon so schnell nicht aufholen, zumindest so lange nicht, bis wir alle in virtuellen Räumen einkaufen.
Kann jeder die Veränderung mitgehen?
Der Handel digitalisiert sich. Das ist auch gut so. Die neue Zeit erfordert Veränderungen. Da kann und muss man mitgehen. Doch kann das jeder? Und hier sind Zweifel angebracht. Denn: Wo sollen all die Datenanalysten, Datenbankspezialisten, KI-, VR- und AR-Experten, Shop-Entwickler, SEO-Texter, Mediengestalter und Rechtsberater herkommen, die notwendig sind, um mit Amazon und der Entwicklung Schritt zu halten? Der Aufwand, um ein Produkt online sichtbar zu machen, es rechts- und damit abmahnsicher anzubieten und aus der schier unendlichen Masse herausstechen zu lassen, ist unermesslich. Um ein Produkt online zu verkaufen, braucht es suchmaschinenoptimierte Texte und Produktbeschreibungen, Wissen über Daten- und Persönlichkeitsschutz, Fotos, Filme, das interaktive Momentum und eine digitale Prozess- und Lieferkette. Fehlt auch nur ein Baustein, kann das schöne Onlinedasein auf Amazon und Co. schnell scheitern.
Das schaffen aber nur die wenigsten Händler. Ich jedenfalls, das gebe ich zu, bin daran gescheitert. Zum einen ist es schier unmöglich, Datenspezialisten auf dem Markt zu bekommen und deren Honorar zu bezahlen – Amazon und andere große Player fischen den Markt hier leer –, zum anderen sind die Vorgaben des Onlinegiganten für die Händler unerfüllbar. So sehr sich Amazon für seine Kunden einsetzt, so sehr werden Händler drangsaliert. Berichtspflichten, starre Vorgaben und null Sicherheit sind nur einige Probleme, die man als Händler mit der Plattform hat. Denn das, was für Amazon und deren eigene Verkaufsprodukte gilt, soll auch für den einzelnen Händler gelten. Amazon bestimmt die Regeln, der Händler kann sie annehmen oder fernbleiben. Friss oder stirb. Akzeptiere oder weiche. Keine Diskussion. Amazon und der Amazon-Kunde haben immer recht.
Die Kosten trägt der Händler
Ob mir ein Kunde einen schon benutzten und völlig verschmutzten Rasenmäher zurücksendet oder ein Paket mit Backsteinen statt der gekauften Ware, ich muss es zahlen. Der Kunde erwartet, weil er es ja durch Amazon so gewohnt ist, seine Lieferung spätestens am folgenden Tag, eine ständige Erreichbarkeit auf allen Kanälen und die Möglichkeit, auch nach Wochen des Ausprobierens seine benutzte Ware zurücksenden und reklamieren zu können. Die Kosten trägt der Händler.
Das rechnet sich nicht, auch und gerade weil es eben um den Preis geht. Amazon will günstig sein, nicht nur am Black Friday. „Oh, den Preis zahlen andere“, kann ich da nur wieder sagen. Bin ich teurer, wird es umso schwerer, sichtbar zu werden. Der Aufwand für den Verkauf steigt dann erneut. Noch mehr Medien, noch mehr Werbung, die ich extra bei Amazon bezahlen muss, und noch bessere Datenanalyse werden notwendig. Ein Teufelskreis.
Für wen also lohnt sich als Händler Amazon als Verkaufsplattform: für diejenigen, die mit einem Produkt extrem viel Marge machen, die Pionier sind, einen Verkaufsschlager haben und wenig Wettbewerb und die es sich deswegen leisten können, die horrenden Verkaufsgebühren, Provisionen und Folgekosten zu tragen. Und für diejenigen, die Millionen Stückzahlen absetzen können und im Hintergrund komplett digitale Prozesse haben. Sonst aber lohnt es sich für fast niemanden. Außer für Amazon. Es ist wie im Casino: Letztlich gewinnt immer die Bank.
Ich setze auf Vertrauen, Kompetenz und Nähe
Ich habe mich entschieden, Amazon fernzubleiben. Stattdessen setze ich auf hochwertige Produkte, persönliche Beratung und Betreuung, individuellen Vertrieb, meine eigene Anziehungskraft der mühsam aufgebauten Marke, die für Vertrauen und Kompetenz sowie für Nähe steht. Ich betreue vor allem Stammkunden und werde viel empfohlen. Ich setze auf die Kraft der Menschlichkeit und des Miteinanders statt auf den schnellen Profit. Das ist mein Erfolgsmodell. Amazon steht dem in weiten Teilen entgegen. Das könnte ein Rezept sein, sich der Marktmacht zu entziehen.
Aber Vorsicht: Auch dieser Weg macht es notwendig, in die Digitalisierung und in die technologische Zukunft zu investieren. Der Handel muss sich wandeln. E-Commerce ist wichtig und wird immer wichtiger. Schnittstellen und Datenkompetenz müssen von jedem geschaffen werden, der die kommenden Jahre überstehen möchte. Ich bin ein Freund neuer Technologien. Sich Amazon zu verweigern ist daher kein Freibrief für Stillstand. Aber es ist die Chance, den eigenen Prinzipien zu folgen, sein eigenes Business nach eigenen Wertvorstellungen zu betreiben, nicht einer von vielen zu sein, sondern der eine Nutzenstifter für den Kunden. Klasse statt Masse, Werte statt Black Friday, Cyber Monday und Flügen ins All.