Navigation überspringen
article cover

Mein letztes Interview mit Prof. Dr. Kruse

Vorab einige wichtige Worte: Prof Dr. Peter Kruse starb am 01.06.2015 im Alter von 60 Jahren plötzlich und unerwartet an einem Herzversagen. Für die nächsten Jahre hatte er sich Großes vorgenommen. Denn die zunehmenden gesellschaftlichen Spaltungen, besonders durch das Internet, besorgten ihn sehr. Er sah schon früh die Auswirkungen von Fake-News, von den Verzerrungen der digitale Welt zur analogen Welt und von den gesellschaftlichen Auswirkungen durch zuviel Internetkonsum. Er wollte einen Lebenstraum verwirklichen und ein Institut aufbauen, das ein besseres Verständnis für das komplexe Miteinander in unserer Gesellschaft schafft und Diskursprozesse für eine lebenswertere Welt initiiert. Wir hätten es uns allen von Herzen gewünscht.

Mit großem Respekt vor seinem Lebenswerk und in starker Verbundenheit mit seiner Person wird er in unseren Gedanken bleiben. Ich persönlich vermisse ihn sehr. Er war wahrlich mein Freund. Anbei mein letztes Interview vom Februar 2015. Unser Gespräch hatte folgendes Thema: Macht es Sinn sich als Personenmarke (Markenbotschafter) im Netz zu platzieren?

PROF. DR. PETER KRUSE: 30. Januar 1955 † 1. Juni 2015

DIE TRIVIALISIERUNG DER NETZE UND DER FAKTOR DER UNKONTROLLIERBARKEIT

Gibt es Beständigkeit im Netz? Sind eine öffentliche Selbstdarstellung und ihre Entwicklung planbar? Welche Prozesse laufen bei der modernen Vernetzung ab? Diese Fragen zielen auf grundsätzliche Aspekte der heutigen Kommunikationssysteme ab und spielen deshalb für die Idee von Markenbotschatern eine wesentliche Rolle. Prof. Dr. Peter Kruse kannte die Vorgänge, die bei Online-Aktivitäten involviert sind und die Problematik von öffentlichen und immer größer werdenden Netzwerken. Prof. Kruse war Honorarprofessor für Allgemeine und Organisationspsychologie an der Universität Bremen und arbeitet zudem als Unternehmensberater. Seine große Erfahrung, die er durch Lehr- und Lernprozesse an verschiedenen Universitäten auf dem Gebiet der Komplexitätsverarbeitung in intelligenten Netzwerken gesammelt hat, erlaubte es ihm, Selbstorganisationskonzepte auf unternehmerische Belange zu übertragen. Damit war er einer der wichtigsten Berater zum Thema Changemanagement und agiert branchenübergreifend und international bei Handelskonzernen, Finanzdienstleistern sowie Medien- und Industrieunternehmen.

Verlagerung der Macht

Bei einer Auseinandersetzung mit sozialen Netzwerken und einer großen Anzahl an Menschen, die sie benutzen, stand für Prof. Kruse ein bestimmter Prozess an erster Stelle. Er sprach von der Trivialisierung der Netze und meint damit nichts anderes, als dass sich die Macht von Seiten des Anbieters zu Seiten des Nachfragers verschoben hat. „Der Konsument ist der mächtigere Partner in diesem Spiel geworden. Durch die Verlagerung der Macht vom Anbieter auf den Nachfrager, verlagert sich auch die Definition von Qualität vom Anbieter auf den Nachfrager. Und wenn die Qualitätsdefinition vom Anbieter auf den Nachfrager übertragen wird, dann werden die jeweiligen Konsumkulturen logischerweise trivialisiert und das gilt für alle Bereiche”, so Prof. Kruse. Die Qualität hängt damit von der Unterscheidungsfähigkeit des Konsumenten ab: Das Produkt ist immer nur so gut, wie es vom Konsumenten bewertet wird. Als konkretes Beispiel dafür dient die Bewertung einer Flasche Wein anhand des Preises: Wenn alle Menschen den Unterschied zwischen gutem und schlechtem Wein nur über den Preis ausmachten, dann würde schließlich die Qualität des Weines leiden, was nichts anderes als eine Trivialisierung des Weines bedeutete. Eine reichhaltige Weinkultur würde so zugrunde gehen. Diese Mechanismen gelten für sämtliche Netzwerke. „Qualitative Prozesse in Netzen kommen nur zustande, wenn die Netze klein bleiben, weil sie Qualität nur bieten können über das mittlere, verteilte Wissen. Wenn das mittlere, verteilte Wissen nicht mehr reicht, dann werden sie dumm“, so Prof. Kruse.

Im Gespräch mit Prof. Dr. Kruse
Im Gespräch mit Prof. Dr. Kruse

Die Frage nach der Qualität

Die Frage nach der Qualität ist ein sehr wesentlicher Punkt für das Konzept der Personenmarken. Denn da es um die Wissens- und Wertevermittlung geht, basiert es auf Kompetenz und Qualität. Die veröffentlichten Botschaften und Inhalte sollen eben nicht nur ein weiteres, beliebiges Online-Angebot darstellen, das schon nach kurzer Zeit droht, ins Triviale abzurutschen, sondern von Relevanz und Bedeutung sein. Doch wie schafft man es, Qualität und Social Web dauerhaft zusammenzubringen, wie Prof. Kruse es beschreib? Das Konzept der Markenbotschatern ist kein Massenprodukt, sondern richtet sich an bestimmte Persönlichkeiten, die sich selbst im Klaren darüber sind, wer sie sind, was sie sagen wollen und vor allem warum. Ein Markenbotschater vermittelt zwar ihre Inhalte über digitale Kanäle und erreicht damit eine Vielzahl an Menschen, doch als Experte ihres Fachs stellt sie eine besondere Person dar, die sich über ihren hohen Qualitätsstandard, nicht über die Anzahl ihrer Nutzer, definiert. Folglich spricht sie auch diejenigen Menschen an, die ein bestimmtes Fachwissen und die damit verbundene Qualität suchen und weiterverarbeiten.

Aber wie lässt sich unterscheiden, ob es sich um Orientierungshilfen durch kompetente Experten handelt oder doch nur um Menschen, die auf der Suche nach Anerkennung und einer Befriedigung ihrer Ego-Triebe sind? Die Antwort hatte Prof. Kruse selbst bereits gegeben, indem er erörterte, dass die Macht auf Seiten des Konsumenten liegt. Denn der Konsument entscheidet, ob die verbreiteten Inhalte einen Nutzen für ihn haben, der Konsument fragt nach, bewertet und prüft gewissermaßen die öffentliche Darstellung samt Inhalte der Markenbotschater. Der Konsument, der Nutzer des Netzwerks, steht im direkten und öffentlichen Austausch mit der Personenmarke und hat damit auch die Chance, Fehlinformationen oder sogar Unwahrheiten aufzudecken. Deshalb lautet die Konsequenz, dass nur derjenige als Markenbotschater Bestand haben wird, der authentisch ist und die Gesellschaft nachhaltig überzeugen kann. Denn wer sich nicht positiv, unterhaltsam und mit qualitativ hochwertigen Inhalten abheben kann, wird in der Informations-Masse untergehen.

Aus diesen Gründen wurde der starke Begriff der Marke gewählt, um den Experten, der sich auf/über/in Social-Media-Kanälen etabliert, zu beschreiben. Weil er für anspruchsvolle Inhalte steht, sich abheben kann, sich selbst präsentiert, ohne dies mittels banaler oder intimer Informationen zu tun, sondern weil er sich als Fachmann, als Spezialist mit breitem Wissen und als Mensch mit Persönlichkeit ganzheitlich zeigt und dabei anderen Menschen eine Orientierungshilfe, ein Vorbild sein kann.

Bei Prof. Kruse stößt das Konzept der Marke jedoch auf Gegenwehr: „Image ist eine Anbieter-Kategorie, Marke ist eine Nachfrager-Kategorie“. Marke ist also ein Begriff, der in erster Linie vom Konsumenten abhängig ist. In diesem Sinne kann eine Marke nicht einfach als Fertigprodukt kreiert werden, sondern ist davon abhängig, wie sie entsteht und von anderen empfunden wird. Eine Person kann sich jedoch auf eine gewisse Art und Weise in der Öffentlichkeit zeigen, sich über einen (längeren) Zeitraum hinweg dort etablieren und dann im Idealfall als Marke wahrgenommen werden. Und genau hierfür gibt es Konzepte und Strategien - das ist der Bereich des Personal Brandings - , die dazu beitragen, dass dieser Idealfall auch eintreten kann. Die Marke bleibt vom Konsumenten abhängig, doch als Folge des eigenen Handelns, als Endprodukt erfolgreicher Personal-Branding-Strategien, wird der Weg dorthin von der Person selbst aktiv gestaltet und gesteuert.

Doppeltes Resonanzphänomen

Doch Prof. Kruses Kritik ging weiter: Die „Marke ist ein doppeltes Resonanzphänomen, d.h. das, was du intern bist und das, was du extern bist, ist miteinander in Resonanz. Das ist im Internet nicht möglich. Ich kann nicht mit dem, was das Internet aus mir macht, noch in Resonanz stehen, dann müsste ich meine Persönlichkeit verbieten. Weil ich das, was ich im Internet bin, überhaupt nicht mehr im Griff habe. D.h. wenn ich mich da in ein doppeltes Resonanzphänomen hineinbegeben würde, würde das meine Entwicklung behindern.“ Mit seiner Aussage nannte Prof. Kruse zwei wesentliche Faktoren, die Schnelllebigkeit und die Unkontrollierbarkeit des Internets. Eine Marke ist ein „hochstabilisierter Kulturprozess“ und kann deshalb in dieser „fluiden“ und schnelllebigen Internetwelt nicht existieren. Er meinte damit, dass sich eine Marke über einen langen Zeitraum etablieren muss und dann erst den Status einer Marke erreicht, wenn sie gefestigt und resistent gegen Außeneinflüsse ist. Doch auch in dieser Hinsicht muss die Personenmarke keinen Widerspruch zu Prof. Kruses Einwänden darstellen. Selbstverständlich ist das Konzept der Markenbotschater auf einen langen Zeitraum ausgerichtet und kann nicht über Nacht zum Erfolg werden. Die einzelnen Personal-Branding-Strategien, die dahinterstehen, basieren auf ausreichender Zeit für die Umsetzung, einer vorausschauenden Planung und einem klaren und dauerhaften Kurs. Gleichfalls ist es doch gerade die Herausforderung und der große Anspruch der Markenbotschater, sich trotz der Schnelllebigkeit im Internet durch Werte und gute Inhalte durchzusetzen. Ein Kulturprozess ist immer ein Prozess, der von Menschen gemacht wird; man muss sich deshalb vor allem über Konzeption und Organisation vorab im Klaren sein.

Unkontrollierbarkeit im Netz

Der schwierigste Faktor in diesem Bereich ist und bleibt jedoch die Unkontrollierbarkeit im Netz. „Es können Prozesse losgetreten werden, die unberechenbar sind. Man kann medial verprügelt werden und du hast das Risiko, dass das Bild mächtiger wird als du selbst.“ Und Peter Kruse ging noch weiter und nennt sogar Gefahren für die Unternehmen, wenn sich Angestellte als Personenmarken öffentlich präsentieren und später diese Darstellung “aus den Fugen” gerät. Sind die Personen dann noch tragbar für die Unternehmen? Doch an dieser Stelle muss überlegt werden, in welcher Funktion eine Person überhaupt in der Öffentlichkeit auftritt. In erster Linie doch als eigenständige, gefestigte Persönlichkeit mit ihrer Kompetenz, ihren Vorstellungen und einem klar definierten, eigenen Ziel. Die Außendarstellung wird demnach geplant aufgebaut und konstant gelenkt. Sicherlich kann diese Person auf Grund ihrer beruflichen Stellung in enger Verbindung mit einem Unternehmen stehen, aber sie gilt nicht als Botschafter eines Unternehmens, sondern stellt sich als eigene Person, in eigener Sache, dar. Eine fehlgeschlagene oder schlechte eigene Außendarstellung muss sich also nicht zwangsläufig negativ auf die Reputation des Unternehmens auswirken; denn auch das Unternehmen kann sich von der Eigenvermarktung des Mitarbeiters distanzieren. Doch umgekehrt stellt sich gleichfalls die Frage, ob Unternehmen nicht auch die Chancen und Vorteile erkennen, wenn sich Angestellte erfolgreich als Personenmarke etablieren und einen großen Bekanntheitsgrad erreichen können?

Grundsätzlich gilt, dass sich jeder, der mit dem Internet zu tun hat, gewissen Gefahren aussetzt, wie z.B. für sein öffentliches Handeln auch öffentlich die Verantwortung zu tragen, angreifbar zu sein oder gar gehackt zu werden. Aber tut das in gewisser Weise nicht auch jeder, der das Internet überhaupt nicht oder nur wenig nutzt? Die Medien und digitalen Kanäle bestimmen den Alltag vieler Menschen. Dabei spielt es keine Rolle, ob tatsächlich alle daran teilhaben oder nur ein Teil der Gesellschaft die Nutzung begrüßt. Die Möglichkeiten sind da, um prinzipiell jeden Einzelnen, jeden Beliebigen, zur Zielscheibe werden zu lassen. Zu einer Zielscheibe des öffentlichen Spotts, Hohns und Negativ-Schlagzeilen. So gibt es auch Fälle, in denen Menschen im Internet kritisiert, angegriffen oder sogar strategisch bloßgestellt und damit zu Opfern der neuen Medien werden, ohne dass sie überhaupt vorher im Social Web aktiv gewesen wären.

Online-Reputation

Deshalb sollte jeder für sich die Frage beantworten, welche Alternative für ihn die bessere scheint: Birgt der vermeintlich sicherere Weg, Online-Dienste zu meiden, nicht erst recht die Gefahr, dass andere über eine Person schreiben und urteilen können, ohne dass die betroffene Person in diese Handlungen, in diesen Prozess eingreifen kann? Sollten dann Social-Media-Kanäle nicht besser aktiv genutzt werden, dass der Nutzer selbst bestimmen und entscheiden kann, welche Inhalte über ihn veröffentlicht werden? Sicherlich wird man an dieser Stelle nun einhaken und kritisieren können, dass die Selbstbestimmung im Internet nur bedingt möglich ist. Ja! Dennoch lässt sich das Risiko des Missbrauchs oder negativer Folgen wesentlich minimieren. Deshalb ist es wichtig, ein eigenes Image, eine eigene Online-Reputation aufzubauen. Dies ermöglicht eine positive Entwicklung, wachsende Bekanntheit, “einen Namen” aufbauen und damit eine Persönlichkeit im Netz darstellen zu können, die sich von der Masse abhebt und deshalb nicht ohne Weiteres zum Spielball anderer gemacht werden kann. Ein Markenbotschater, als glaubwürdiger Wissens- und Wertevermittler, möchte vor allem mit guten Inhalten überzeugen. Die Angriffsfläche für eine “mediale Verprügelung” ist demnach beschränkt und eventuelle Kritik sollte sich auf berufliche Aspekte beziehen, die dann in diesem Rahmen diskutiert werden kann. Tut sie das nicht und entspricht eher unprofessionellen, unseriösen Attacken ergibt sich auch die Frage, ob diese Kritik dann - ohne ihr weitere Aufmerksamkeit zu schenken - ohnehin und von ganz selbst wieder verpuffen wird. Zudem liegt hier auch der große Vorteil des Internets: Mögliche Image-Schäden lassen sich gerade durch die Schnelllebigkeit und die große Reichweite der digitalen Kanäle, schneller beheben als über die bisherigen klassischen Medien.

Wissens- und Wertevermittler

Ein gewisses Risiko, dass ungeplante und/oder negative Entwicklungen eintreten können, bleibt dennoch bestehen. Trotzdem wäre die Annahme falsch, dass im Internet nur mediale Abziehbilder von Menschen umhergeistern, die mit der Realität nichts mehr zu tun haben, und dass Menschen Sklaven ihrer eigenen Virtualität werden, indem sie sich dem fügen müssen, was das Internet aus ihnen macht, und sie selbst keinen Einfluss mehr ausüben könnten. Die Social-Media-Kanäle bieten bei einem professionellen Umgang einen großen Nutzen. Auch Prof. Kruse räumt ein, dass das Konzept von Personenmarken vielleicht für eine bestimmte Berufsgruppe wie Schauspieler oder Redner sinnvoll sein könnte, die sich auf diese Weise vermarkten können. Er mahnte dennoch an, dass dieser Schritt die eigene Entwicklung und Entfaltung aus bereits genannten Gründen stören könnte. Wesentlich für den modernen Wissens- und Wertevermittler ist jedoch nicht die Berufsgruppe, sondern die Kompetenz, die Fähigkeiten, der Typ Mensch und die jeweilige Einstellung zur Nutzungmoderner Medien und der verschiedenen Endgeräte. Im Vordergrund stehen die Möglichkeiten der Wissensverbreitung und des Austauschs, die Persönlichkeiten, die für Qualität und Authentizität stehen und die Chancen, ihre eigenen Bereiche zu erweitern und gleichzeitig andere Menschen zu bereichern.

Prof. Kruse hat mit seinen kritischen Einwänden sehr wesentliche Aspekte zur Nutzung von Social-Media-Kanälen in die Diskussion eingebracht. Die Faktoren der Schnelllebigkeit und Unkontrollierbarkeit des Internets stellen für ihn die großen Gefahren dar, nicht die gewünschte Online-Darstellung zu erreichen, sondern die eigene Entwicklung sogar zu stören. Deshalb ist es wichtig, diese Prozesse zu kennen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, sie professionell einzubetten und schließlich die möglichen Risiken mit einem individuellen und durchdachten Konzept zu minimieren.

Ibrahim Evsan schreibt über Human Design, New Leadership

Mein Name ist Ibrahim Evsan, aber die Abkürzung „Ibo“ ist seit jeher mein Begleiter. Als Keynote Speaker und Experte für Human Design und New Leadership brenne ich ganz besonders für die Themen New HR, Personal Branding und New Work.

Artikelsammlung ansehen