Meinung vs. Fakten: Bauer Willi will’s wissen und wettert gegen das „Agrarpaket“
Seit einiger Zeit ruft Agrarblogger „Bauer Willi“, der eigentlich Dr. Willi Kremer-Schillings heißt, Landwirte auf, mit grünen Holzkreuzen auf ihren Feldern gegen das „Agrarpaket“ der Bundesregierung zu protestieren. Das Kabinett will den unter Krebsverdacht stehenden Unkrautvernichter Glyphosat ab 2024 ganz und besonders schädliche Pestizide in den meisten Naturschutzgebieten bereits vorher verbieten.
So verweist das UmweltinstitutM e.V. auf aktuelle Studien, die erneut belegen, wie gefährlich Glyphosat ist: Es schädigt Insekten bei oraler Aufnahme massiv und erzeugt Krebs, wie es die IARC bereits 2015 festgestellt hat. Wissenschaftler:innen haben Studien mit Glyphosat seit 2016 ausgewertet, die ebenfalls nachweisen, dass Glyphosat krebserregend ist. Verwiesen wird auch auf eine aktuelle Studie mit Florfliegen: Wenn Insekten Glyphosathaltige Mittel oral aufnehmen, werden sie massiv in ihrer Entwicklung beeinträchtigt, und die Todesrate steigt stark an: „Somit trägt Glyphosat direkt zum Insektensterben bei. Und das, obwohl das Pestizid als Herbizid eigentlich keine Insekten schädigen dürfte“, heißt es auf Twitter.
Meinung vs. Fakten?
Anders sieht es Bauer Willi. Auch in seinem neuen Buch „Satt und unzufrieden. Bauer Willi und das Dilemma der Essensmacher“ schreibt er: „Glyphosat: Es gibt kaum ein Pflanzenschutzmittel, das eine so geringe Giftigkeit (Toxizität) aufweist wie dieser Wirkstoff. Es gibt bis heute, also nach vierzig Jahren der Anwendung, weltweit keinen einzig belegten Fall, in dem er Krebs ausgelöst hätte.“ Zudem betont er – wie auch in zahlreichen Interviews, dass er „Kunstdünger“ düngt und Glyphosat spritzt („nicht oft, aber immerhin“, S. 52). Viele der hier angesprochenen Themen sind dringlich – und darauf muss auch verstärkt aufmerksam gemacht werden. Dazu gehört beispielsweise, dass die Bauern als Lieferanten enorme Probleme mit dem LEH haben, der Milch und Fleisch zu Niedrigpreisen einkauft, sich die Lebensmittelkonsumenten immer weiter von den -produzenten entfernt haben, und viele Menschen nicht mehr wissen, wie das Essen entsteht, das sie täglich verzehren, wie es angebaut und hergestellt wird, ist zuzustimmen. Auch dass Bürokratie, das Höfesterben von mittleren und kleinen Betrieben aufgehalten werden muss, und dass sich „Essensmacher und Gesellschaft“ einig werden müssen, wenn es um mehr Tierwohl, Klimaschutz und bezahlbare Lebensmittel geht. Mit seinem Buch möchte er zeigen: „Wir Bauern können alles. Wir können Lebensmittel produzieren, Naturschutz machen, mehr Tierwohl, Klimaschutz. Ich kann auch auf meinem gesamten Betrieb zu 100% Naturschutz machen. Ich muss aber auch davon leben können.“ Obwohl das alles richtig ist, habe ich mich zuweilen schwer getan mit der Lektüre.
Auch wäre es beim Glyphosat-Thema sicher gut gewesen, Pro und Contra sowie aktuelle Studien zur Gefährlichkeit zu erwähnen (s.o.). Willi Kremer-Schillings bezeichnet sich als „traditionellen Bauern“, der morgens Handvoll Medikamente fürs Herz nimmt, deren geringe Nebenwirkungen er mit denen von Glyphosat vergleicht. Um sie entsprechend einzuordnen, sollte das Buch bis zur letzten Seite gelesen werden, wo sich der Vermerk „In eigener Sache“ findet. Das ist wichtig für einen transparenten Umgang mit dem Thema, denn die Lektüre führt unweigerlich dazu, mehr über Dr. Willi Kremer-Schillings - der mit vier Generationen auf seinem Bauernhof am Niederrhein lebt, den er 1983 von seinen Eltern übernommen hat und bald an die nächste Generation weitergeben will - erfahren zu wollen. So war auf Twitter zu lesen: „Herr Kremer-Schillings tritt als Person ‚Bauer Willi‘ in der Öffentlichkeit auf. Da muss er sich dann auch kritisches Hinterfragen seines beruflichen Hintergrundes gefallen lassen." Der Autor des Tweets schrieb auch den taz-Artikel „'Chemie-Willi'“ statt ‚Bauer Willi‘“. Verständlich, dass solche Beiträge irritieren und auch die Vergangenheit des Agrarbloggers, der 2015 durch seinen offenen Brief „Lieber Verbraucher“ einer breiten Leserschaft bekannt wurde, in den Fokus nehmen. Sein aktuelles Buch, dem das „Zeug zum Aufreger“ zugeschrieben wird, erzeugt unterschiedliche Reaktionen – wenn dies dazu führt, dass sich das Dilemma unserer Essensmacher zum Besseren ändert, dann wäre schon viel erreicht.
Im Buch wird häufig wird von „den“ Bauern gesprochen, die seiner Meinung nach nichts von Öffentlichkeitsarbeit und Werbung verstehen – deshalb werden Profis gebraucht. Viele Menschen kennen vielleicht Bilder von Bauernhöfen, wissen aber oft nichts über den Kontext. Das bemerkte 2015 allerdings schon die Journalistin Tanja Busse in ihrem Buch „Die Wegwerfkuh“, in dem sie dafür plädierte, die kollektive Sehnsucht nach einem intakten Landleben, die sich in einem Bauernhof manifestiert, mit zu „verkaufen“: „Nicht als aufgesetztes und durchschaubares Marketing, sondern – vorgelebt.“ Statt eines inszenierten Werbefilms sollte eine wahrhaftige Geschichte glaubhaft erzählt werden. Fakten allein können unser Herz nicht erreichen – und das ist besonders wichtig, wenn es darum geht, uns und andere zu bewegen: „Wir brauchen starke Bilder im Kopf, wie wir uns Ernährung und Landwirtschaft in der Zukunft vorstellen und welche Rolle wir alle dabei spielen möchten.“
Diese Bilder liefert der Bildband „ECHTE BAUERN retten die Welt!“ Das Buch bewertet und rechtfertigt nicht, sondern erzählt Geschichten über die nachhaltige tausendjährige Bauernkultur und lässt ihre emotionale Wirkung durch die großformatigen Bilder von Wolf-Dietmar Unterweger nachhallen. Seit 1982 ist der promovierter Diplom-Chemiker Buchautor und Fotokünstler. Seine Werke handeln von der Nachhaltigkeit, Ökologie und Regionalisierung der bäuerlichen Welt. Sein Lebenswerk „Die Bauern“ betrachtet er als Weltkulturerbe. Er hat eine verlorengegangene Landwirtschaft gesucht und darin die Zukunft gefunden.
Philipp Unterweger interessierte sich schon während seiner Schulzeit für die Zusammenhänge von Ökologie und Landwirtschaft. Nach seinem Abitur absolvierte er den Zivildienst auf einem Biolandbauernhof. Dort verstärkte sich seine Überzeugung in der Arbeit mit guten und nachhaltigen Lebensmitteln und wertigen Qualitätsprodukten und bekräftigte seinen Wunsch nach einer „Welt in 100 % Bio“, die er täglich stetig und leise gestaltet.
Die Wegwerfkuh: Darf man mit Tieren wie mit Waschmaschinen umgehen?
Saat des guten Lebens: Was ein nachhaltiges und faires Ernährungssystem ausmacht
Artikel zur ökologischen Landwirtschaft und dem „Pestizidprozess“ rund um das Buch „Das Wunder von Mals“ von Alexander Schiebel
Anja Banzhaf: Saatgut. Wer die Saat hat, hat das Sagen. Oekom Verlag, München 2016.
Tanja Busse: Die Wegwerfkuh. Wie unsere Landwirtschaft Tiere verheizt, Bauern ruiniert, Ressourcen verschwendet und was wir dagegen tun können. Karl Blessing Verlag, München 2015.
Willi Kremer-Schillings: Satt und unzufrieden. Bauer Willi und das Dilemma der Essensmacher. Westend Verlag, Frankfurt M. 2023.
André Leu: Die Pestizidlüge. Wie die Industrie die Gesundheit unserer Kinder aufs Spiel setzt. Oekom Verlag, München 2018.
Wolf-Dietmar und Philipp Unterweger: ECHTE BAUERN retten die Welt! Leopold Stocker Verlag, Graz 2018.