Leonardoi Da Vinci: Mensch - Pixabay

Mensch, Leonardo! Warum wir uns mit universellen Charakteren beschäftigen sollten

Leonardos Welt

Ein Mann, der sich bereits Mitte des 15. Jahrhunderts mit vernetztem Denken und technischen Innovationen beschäftigte, sorgt auch heute noch für Faszination bei allen Technikbegeisterten: Leonardo da Vinci (15.4.1452 bis 2.5.1519). Der Maler, Bildhauer, Architekt, Wissenschaftler, Stadtplaner, Querdenker und Erfinder gilt als Inbegriff des Universalgenies. Basierend auf der XXL-Ausgabe des Kunsthistorikers und ausgewiesenen Leonardo-Experten Frank Zöllner, einer der umfassendsten je publizierten Leonardo-Studien, nimmt der Band „Leonardo da Vinci. Sämtliche Gemälde“ das malerische Œuvre Leonardos in den Blick. Obwohl es im Vergleich zu dem seiner Mitbewerber am Renaissancemarkt sehr schmal ist und weniger als zwanzig Bilder die Jahrhunderte überlebt haben, ist es in seiner Bedeutung unübertroffen. So nah wie in diesem Band kommt man seiner Kunst nicht einmal im Museum. Enthalten sind Reproduktionen von exzellenter Qualität sowie zahlreiche Essays, die Leonardos Ansatz in ihren soziokulturellen Kontext und die bildlichen Darstellungskonventionen seiner Epoche einordnen und den neuesten Forschungsstand wiedergeben, sowie ein aktualisiertes Vorwort, das auch die Auktionsposse um das Bild Salvator Mundi aufgreift.

Die Handzeichnungen des genialen Erfinders finden sich gesammelt im Buch „Leonardos Maschinen. In der Werkstatt des genialen Erfinders“. Mario Taddei und Edoardo Zanon, Direktoren am Leonardo3-Museum in Mailand, haben die Ergebnisse von Leonardos technischen Zeichnungen in die anschauliche und visuelle Sprache der Computertechnik übersetzt und bieten auf historische und gleichzeitig moderne Art und Weise einen einzigartigen Einblick Leonardos Erfindungen. Leonardo war der Erste, der erkannte, dass zeichnerische Entwürfe von Maschinen das perfekte Werkzeug und Hilfsmittel für Forschung und Analyse sind. Diese mechanischen Entwürfe waren für ihn Teil eines geistigen Prozesses, den er durch die zeichnerische Darstellung vollenden konnte. Er wollte immer wissen, was sich hinter den gezeichneten Formen eigentlich verbirgt: einerseits die theoretischen Überlegungen, mit denen ein mechanischer Entwurf überhaupt erst beginnt und andererseits die grafischen Mittel, die benötigt werden, um den Theorien eine Gestalt zu geben. Seine Theorien fasste er nicht in Worten, sondern in Bildern zusammen, was dazu führte, dass seine Maschinen nicht unbedingt in einem realen Raum stehen, sondern vielmehr im gezeichneten, virtuellen Raum des Bildes.

Mario Taddei und Edoardo Zanon hauchten Leonardos Maschinen neues Leben ein. Mithilfe der modernen Multimedia-Möglichkeiten gestalteten sie zu mehr als 50 Zeichnungen dreidimensionale Grafiken und verbanden sie mit der modernen Welt. Anhand des bebilderten Verzeichnisses von Leonardos Entwürfen, sortiert nach Flugmaschinen, Kriegsgeräten, Hydraulischen Vorrichtungen, Arbeitsmaschinen, Bühnentechnik, Musikinstrumenten und sonstigen Erfindungen, zeigt sich die Vielfalt von Leonardos Ideen. Jeder Erfindung wird im Buch ein Kapitel gewidmet, das die Originalzeichnung sowie die computergrafische Darstellung zeigt. Zusätzlich finden sich jeweils ausführliche Beschreibungen der Maschinen und ihrer Funktionen.

Die Zeichnung hatte im Quattocento einen enormen Stellenwert. Ein berühmter Abschnitt in den „Lebensbeschreibungen“ des italienischen Architekten, Hofmalers der Medici und Biographen italienischer Künstler, Giorgio Vasari (1511-1574), zitiert eine altgriechische Weisheit: „Ein fähiger Zeichner, der nur ein einziges Teil eines Ganzen beobachtet, kann sehr wohl Form und Dimension des Ganzen rekonstruieren…“ Nach Vasari ist dies Ausdruck und Nachweis für die geistige Fähigkeit jener, die dem Zeichnen nachgehen. Das hat viel mit uns Heutigen zu tun, denn was wir unbedingt benötigen, ist ein neues digitales Denken, das in der Lage ist, viele Facetten und Perspektiven zu sehen und das große Ganze zu erfassen, aber auch ins Detail zu gehen. Wenn wir nicht in der Lage sind, wie dieser Meister auch im Kleinen ans Werk zu gehen, können wir auch die großen Aufgaben nicht verstehen und bewältigen.

Leonardo betonte, dass das Zeichnen zwar eine handwerkliche Tätigkeit, aber dennoch eine intellektuelle Handlung ist: „Aus dieser Kenntnis heraus erschafft der Verstand eine bestimmte Anschauung und ein Urteil (!) über einen Gegenstand und das, was danach mithilfe der Hände ausgedrückt wird, nennen wir Zeichnung.“ Leonardo verstand die technische Zeichnung als einen Wissenskomplex, der imstande ist, folgende Aspekte visuell umzusetzen:

• die äußere Optik von Maschinen und Vorrichtungen

• die mechanischen Prinzipien

• die analytische Bauweise ihrer Einzelteile.

Verstehen statt fürchten

Ohne Erkenntnisdrang und Forschung gibt es keine Technik, ohne Versuch und Irrtum keine Wissenschaft, und ohne Interesse am anderen gibt es keine persönliche Anteilnahme. Neugier schon in jungen Jahren zu wecken, gelingt heute nicht nur durch Codieren und Programmieren, sondern auch durch die Beschäftigung mit universellen Charakteren. Wer sie zu lesen versteht, begreift auch die Welt und unser Komplexitätszeitalter besser, das mit Leonardo da Vinci eng verflochten ist. Denn auch er wollte die Realität verstehen, indem er ihre Gesetzmäßigkeiten zu entschlüsseln versuchte. Am 22. März 1508 schreibt er in sein Notizbuch: „Die Wissbegier ist den Guten angeboren.“ In seiner Begeisterung erfand er Maschinen, die in unterschiedlichste Anwendungsbereiche fallen und das Interesse der Zeit für Technik belegen.

Die Zeichnung war sein Instrument zur Erforschung und Analyse der Wirklichkeit. Mehr als 300 Abbildungen von Kunstwerken und Reproduktionen seiner Skizzen- und Notizbücher werden in „Das große Leonardo da Vinci-Buch“ präsentiert. Ausgewählte Zeichnungen und Dokumente können in diesem haptischen Meisterwerk in beigefügten Papiertäschchen auseinandergefaltet und buchstäblich be-griffen werden. Der „uomo universale“ schuf nicht nur Gemälde wie die „Mona Lisa“ oder das „Abendmahl“, sondern hinterließ auch 6000 Blätter mit Naturstudien, Architektur, Anatomie, Flug- und Waffentechnik. Der Künstler und Erfinder schrieb in Spiegelschrift, vermischte das Italienische mit dem Lateinischen und örtlichen Dialekten, warf Zeichnungen und Abhandlungen durcheinander, so dass nicht erkennbar ist, wofür sie gedacht waren. Er füllte die Ränder mit Anmerkungen, die manchmal keinen Bezug zum Text haben und ließ Entwürfe und Beschreibungen ineinanderlaufen.

Alles, was ihm in seinem Leben begegnete, wurde einer genauen Prüfung unterzogen und verwertet. Damit steht er in der Tradition der Griechen: „Alles kommt von allem, aus allem wird alles, alles endet in allem, weil alles, was in Teilen existiert, aus diesen Teilen zusammengesetzt ist.“ Leonardo führte physische Tatsachen, analytische Berechnungen und ästhetische Mutmaßungen zusammen. Probleme löste Leonardo mit einer praktischen und empirischen Herangehensweise. In seinen Forschungen waren Natur und Geschichte, Geist und Körper keine Gegensätze, und die Grenze zwischen Wissenschaft und Kunst war stets durchlässig. Auch wenn er das sichtbare Universum erforschte, so war ihm auch bewusst, dass das, was er sieht, nicht der ganzen Realität entspricht. Außerdem ließ er Zweifel in Bezug auf Wahrnehmung, Vernunft und Intuition zu. Dennoch war er davon überzeugt, dass der Wille nicht nachlassen darf, das akzeptierte Wissen ständig zu hinterfragen.

Sein Wissen wurde ihm in jungen Jahren durch den örtlichen Pfarrer, seinen Onkel und seinen Großvater vermittelt. Der Junge konnte kein Latein und schrieb mit der linken Hand Spiegelschrift. Wegen seiner mangelnden Bildung konnte Leonardo nicht Jurist werden. Mit ca. 18 Jahren trat er deshalb in die Werkstatt des Bildhauers Andra Verrocchio ein, erhielt dort seine künstlerische Ausbildung und freundete sich mit anderen Lehrlingen an, die später ebenfalls berühmt wurden: Botticelli, Perugino, Ghirlandaio. Allerdings war er sich bewusst, dass ihm seine Kritiker mangelhafte akademische Bildung vorhalten und ihn wegen der Vielzahl seiner Interessensgebiete verspotten.

Erfahrung war für Leonardo die Quelle der Wahrheit: Das was er zu sagen hatte, kam nicht von den Worten anderer, sondern allein von seiner Lehrmeisterin „Erfahrung“. Der französische Philosoph Montesquieu sagte später einen Satz, der auch auf Leonardo zutrifft: „Um Großes zu vollbringen, ist kein allzu großes Genie nötig; man darf nicht über den Menschen stehen, man muss unter ihnen sein.“ Leonardo schenkte seinen Zeitgenossen ein Leben lang Aufmerksamkeit. Auf der Straße, die zu seiner letzten Ruhestätte in der Kirche Saint-Florentin im Hof von Schloss Amboise führte, folgten auf seinen Wunsch sechzig Bettler seinen sterblichen Überesten.

Der französische Lyriker, Philosoph und Essayist Paul Valéry, der heute wiederentdeckt wird und zu den komplexen Geistesgrößen der Weltgeschichte gehört, verwies darauf, dass Leonardos Karriere zwar außergewöhnlich war, aber sein Ruhm und sein posthumanes Leben „vielleicht noch viel erstaunlicher“ sei.

Weiterführende Informationen:

"Arrogante Intellektualität ist Visionären fremd"

Keine Angst vor Technik

Alexandra Hildebrandt: TUN! Warum wir Könner brauchen, um die Zukunft meisterlich zu gestalten. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

Gérard Denizeau. Das große Leonardo da Vinci-Buch. Aus dem Franz. von Heike Rosbach. Theiss Verlag, Darmstadt 2017.

Mario Taddei, Domenico Laurenza und Edoardo Zanon: Leonardos Maschinen. In der Werkstatt des genialen Erfinders. Theiss Verlag – WBG, Darmstadt 2017.

Frank Zöllner: Leonardo da Vinci. Sämtliche Gemälde. TASCHEN Verlag, Köln 2018.

CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. SpringerGabler Verlag. Berlin Heidelberg 2017.

Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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