SC Finance Four vergab Darlehen an Immobiliengesellschaften, die wegen Geldmangels nicht weiterbauen können. - Foto: imago images
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Milliarden-Pleite: Der dramatische Wertverlust im Soravia-Konzern

Im März 2024 ist eine Finanzierungstochter des Baukonzerns Soravia in die Insolvenz gerutscht. Neue Dokumente zeigen das Ausmaß des Anleger-Dramas.

Vor knapp einem Jahr begann für Tausende Anleger eine Gedulds- und Nervenprobe. Sie hatten in die Fonds ProReal Europa 9 und 10 unter dem Dach der Hamburger One Group insgesamt über 275 Millionen Euro investiert. Mit dem Geld sollten über eine komplexe Struktur Bauvorhaben der österreichischen Muttergesellschaft Soravia mitfinanziert werden. Dass Anlegergeld floss dabei nicht direkt in die Immobilienprojekte, sondern wurde in einer Cash-Poolinggesellschaft gesammelt, die dann Projektkredite vergab. Das Problem: Diese Poolinggesellschaft – die SC Finance Four (SCFF) – meldete im März 2024 Insolvenz an.

Neue Gerichtsunterlagen und Gläubigerinformationen zeigen nun das ganze Ausmaß des SCFF-Dramas und lassen erahnen, dass die Aufräumarbeiten wohl noch lange nicht abgeschlossen sind. Dass die Anleger am Ende viel von ihrem Einsatz zurückbekommen werden, ist indes unwahrscheinlich. Zu hoch sind die Wertverluste, die nun realisiert werden sollen.

Verkauf von Darlehensforderungen

So sollen die SCFF-Gläubiger am 18. März im Rahmen einer Gläubigerversammlung über den Verkauf von Ansprüchen „aus für Projektfinanzierungen gewährten Darlehen“ abstimmen, wie aus einem Beschluss des zuständigen Amtsgerichts Offenbach hervorgeht. Das Erstaunliche: Die zum Verkauf stehenden Darlehen sind offenbar nur noch einen Bruchteil des einst ausgereichten Betrags wert.

Konkret ist in dem Gerichtsbeschluss von einem Verkaufspreis von 11 Millionen Euro die Rede. Das ist ein massiver Abschlag gegenüber dem Nominalwert von rund 174 Millionen Euro, den Soravia auf Anfrage der WirtschaftsWoche mitteilt. „Hintergrund ist, dass erhebliche Mittel in die jeweiligen Projektgesellschaften der noch aktiven Projekte investiert werden müssten, um die Verwertung einer Vielzahl von Projekten überhaupt zu ermöglichen“, heißt es dazu von Soravia.

Ein Käufer für die Darlehensforderungen steht offenbar bereits fest. Es handelt sich um eine Investmentgesellschaft aus Baar in der Schweiz, die sich nach eigenen Angaben seit 2016 „als Anbieter von maßgeschneiderten Finanzierungslösungen für kleine und mittelständische Unternehmen und Unternehmer etabliert“ hat. In einer ersten Fassung des Gerichtsbeschlusses wurde auch der Name der Gesellschaft genannt, später wurde dieser aber anonymisiert.

Auch der Jurist Andreas Kleinschmidt von der Kanzlei White & Case, der als gerichtlich bestellter Sachwalter die SCFF-Geschäftsführung kontrolliert und überwacht, hat sich den geplanten Darlehensdeal genauer angeschaut. Schließlich sei ihm „bewusst, dass der Kaufpreis von € 11,0 Mio. in Anbetracht der nominalen Höhe der umfassten Darlehensrückzahlungsansprüche (€ 173.598.286,76 Valuta der Darlehen ohne Zinsen) äußerst gering erscheint“, wie er in einem Schreiben an die Gläubiger notiert.

Kleinschmidt kommt jedoch auf Basis eines Gutachtens zu dem Schluss, dass die von der SCFF finanzierten Projektgesellschaften ohnehin nicht in der Lage sind, „aus freien Mitteln Rückzahlungen auf die Darlehensrückzahlungsansprüche“ zu leisten. In zwei Fällen seien demnach Darlehen an Projektgesellschaften ausgereicht worden, „deren Projekte endgültig gescheitert sind“. In weiteren 13 Fällen seien Darlehen an Projektgesellschaften ausgereicht worden, deren Arbeit „mangels ausreichender liquider Mittel zwischenzeitlich vollständig zum Erliegen gekommen ist“. Damit es dort weitergeht sei eine zusätzliche „Finanzierung von dritter Seite in signifikanter Höhe erforderlich“. In fünf weiteren Fällen ist die Bautätigkeit zumindest teilweise noch im Gange. Allerdings gebe es auch dort weiteren „Finanzierungsbedarf“, der von dritter Seite gedeckt werden muss, um die Projekte fertigzustellen.

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Kurzum: Wenn nicht weitergebaut wird, gibt es kaum Chancen auf eine Rückzahlung der Darlehen. Um die Projekte fortzuführen, wären aber weitere Investitionen notwendig. Diese wiederum dürften kaum fließen, solange hohe Schulden auf den Projekten lasten. Vor diesem Hintergrund sei ein Verkauf der Forderungen noch die beste Lösung, geht aus dem Brief des Sachwalters hervor. Selbst mit hohem Abschlag. Gutachter hätten die Werthaltigkeit des jeweiligen Darlehensrückzahlungsanspruchs geprüft und seien zu ähnlichen Ergebnissen gekommen, die Ansprüche würden also nicht unter „ihrem objektiven Wert, sondern ggf. sogar über ihrem aktuellen realisierbaren Wert veräußert.“

Anfechtungsansprüche über 11 Millionen Euro

Sachwalter Kleinschmidt weist in seinem Schreiben aber auch darauf hin, dass die SCFF-Geschäftsführung „ursprünglich vorgesehen hatte, Darlehensrückzahlungsansprüche gegenüber weiteren sechs Projektgesellschaften“ ebenfalls zu veräußern. „Diese wurden nunmehr aber bewusst von dem beabsichtigten Verkauf ausgenommen.“

Zudem habe er großen Wert daraufgelegt, dass „etwaige Haftungsansprüche gegenüber ehemaligen Verantwortlichen der Schuldnerin, die im Zusammenhang mit den Darlehensgewährungen stehen könnten, weder mitverkauft noch mit abgetreten werden“. Mit der Aufarbeitung von möglichen Ansprüchen gegen Verantwortliche sei bereits begonnen worden. Klingt so, als drohte früheren und aktuellen Managern des Unternehmens in Zukunft noch reichlich Ungemach. Darauf deutet auch ein weiterer Tagesordnungspunkt der Gläubigerversammlung hin.

De facto sollen die Gläubiger einem Vergleich zustimmen, der so genannte Anfechtungsansprüche regelt. Im Grunde können all jene Vermögensverschiebungen vor dem Start der Insolvenz angefochten und zurückgefordert werden, die zu einer Benachteiligung der Gläubiger geführt haben. Und davon gab es im Fall der SCFF offenbar einige.

Zumindest sollen die SC Finance One GmbH und die SC Finance Three GmbH – zwei weitere Cashpooling-Gesellschaften im Soravia-Geflecht – nun insgesamt 11 Millionen Euro zahlen, um entsprechende Anfechtungsansprüche abzugelten. „Der Vergleich über Anfechtungsansprüche wurde primär angestrebt, um kostenintensive und langwierige Gerichtsverfahren zu vermeiden, die möglicherweise zu einer zusätzlichen Belastung der Insolvenzmasse führen könnten“, heißt es dazu von Soravia. Das bestätigt auch Sachwalter Kleinschmidt in seinem Schreiben an die Gläubiger.

Interessant sind dabei auch die Details der Konditionen. „Unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit der Anspruchsgegner würde ein Teilbetrag von € 5,0 Mio. unmittelbar gezahlt. Ein Teilbetrag von insgesamt € 6,0 wäre in halbjährlich fällig werdenden Raten zu erbringen“, schreibt Kleinschmidt. Die Anfechtungsgegner hätten „glaubhaft dargelegt, dass ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aktuell keine höheren unmittelbaren Zahlungen ermöglicht.“

Zur Absicherung der zukünftigen Raten sei vorgesehen, die Ansprüche durch Schuldanerkenntnisse „bindend anerkennen zu lassen“. Gleiches soll zusätzlich durch die zentrale Obergesellschaft der Soravia-Gruppe, die Soravia Investment Holding GmbH erfolgen. Im Klartext: Fallen die beiden anderen Cashpooling-Gesellschaften aus, wird Soravia direkt zur Kasse gebeten – und damit einer der größten österreichischen Immobilien- und Baukonzerne. Soravia beschäftigt Tausende Mitarbeiter und entwickelt – auch mit dem Geld aus Deutschland – derzeit Projekte im Volumen von mehreren Milliarden Euro. Die Folgen der SCFF-Insolvenz in Deutschland dürften den Konzern noch geraume Zeit auf Trab halten.

Stimmen die Gläubiger zu, dürfte die SC Finance Four im ersten Schritt 11 Millionen Euro aus dem Verkauf der Darlehensforderungen und weitere 11 Millionen Euro als Vergleichszahlung für die Anfechtungsthemen einnehmen. „Weitere Massezuflüsse können sich neben dem Verkauf weiterer, bislang ausgenommener Darlehensrückzahlungsansprüche vor allem noch aus der Geltendmachung und Durchsetzung etwaiger Haftungsansprüche gegenüber Verantwortlichen der Schuldnerin ergeben“, berichtet Kleinschmidt den Gläubigern. Er will die Mittelzuflüsse demnach auch dazu nutzen, um Schadenersatzklagen gegen frühere oder aktive Manager vorzubereiten, deutet er in seinem Schreiben an.

Damit zeichnen sich womöglich schon die nächsten Konflikte zwischen Sachwalter und SCFF-Vertretern ab. So ist bereits in Kleinschmidts Schreiben von teilweise sehr kontroversen „Diskussionen und Auseinandersetzungen mit der Schuldnerin“ die Rede.

Von Hamburg nach Neu-Isenburg

Der Ablauf der Insolvenz hatte in der Sanierungsszene von Anfang für Aufsehen gesorgt. Denn kurz vor dem Insolvenzantrag war der Sitz der SCFF von Hamburg nach Neu-Isenburg verlegt worden, „um auf die vor Ort vorhandene Infrastruktur wie Büro- und Besprechungsräume“ zuzugreifen, wie der Soravia-Konzern damals erklärte. Zuständiges Insolvenzgericht: Offenbach am Main. Kritiker spekulierten indes über andere Gründe für die Verlegung – nämlich über das mögliche Kalkül, am Main ein vermeintlich insolvenzmilderes und schuldnerfreundliches Klima vorzufinden als an der Elbe.

Tatsächlich beantragte das Unternehmen in Offenbach kein Regelverfahren, sondern ein Eigenverwaltungsverfahren. Ob eine Eigenverwaltung für Firmen sinnvoll ist, bei denen die korrekte Verwendung von Geldern im Detail geprüft werden muss, ist umstritten. Denn dabei übernimmt kein externer Insolvenzverwalter das Kommando, sondern das bestehende Management und dessen Berater steuern primär das Verfahren. Der Sachwalter erhält ähnlich einem Aufsichtsrat Kontrollmöglichkeiten und soll so dafür Sorge tragen, dass in dem Verfahren die Interessen der Gläubiger geschützt werden. Im Fall der SCFF nimmt der Sachwalter seinen Job offenbar ernst.

Das scheint auch angebracht, da die betroffenen Anleger durch die komplexe Finanzierungskonstruktion keine direkten Gläubiger der SCFF sind und damit wenig Möglichkeiten haben, Einfluss zu nehmen oder an Informationen zu kommen. Ursprünglich war für die betroffenen Anleger der beiden Proreal-Fonds zwar ein vorläufiger Beirat eingerichtet worden. Den hatten die Vertreter der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre (SdK) aber unter Protest wieder verlassen.

Die Begründung: Nach stundenlangen Sitzungen, einem intensiven Austausch mit den Geschäftsführern der zwei Fondsgesellschaften sowie der insolventen Finanzierungsgesellschaft SC Finance Four und vor dem Hintergrund der Prüfung umfangreicher Unterlagen sei die Schutzgemeinschaft zu der Überzeugung gelangt, dass die von den Fondsgesellschaften initiierten freiwilligen Beiräte lediglich eine Alibi-Funktion haben. Soravia wies diese Darstellung zurück.

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