OGE-Verdichterstation in Werne, Nordrhein-Westfalen: zentrale Drehscheibe im deutschen Gasnetz. Foto: IMAGO/imagebroker
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Ministerium fürchtet Zugriff Chinas auf deutsches Gasnetz

Ein italienischer Konzern will sich bei der deutschen Open Grid Europe einkaufen. Die Bundesregierung könnte den Deal stoppen – wegen einer Verbindung nach Chin

Berlin. Europa beobachtet seit Jahren mit Sorge, wie China seinen wirtschaftlichen Einfluss weltweit ausbaut. Besonders sensibel wird es, wenn dabei kritische Infrastruktur ins Visier gerät. Genau das könnte nun in Deutschland der Fall sein: Das Bundeswirtschaftsministerium prüft derzeit, ob China über einen italienischen Energiekonzern Zugang zum deutschen Gasnetz erhalten könnte. Im Zentrum der Überlegungen steht ein geplanter Einstieg bei Deutschlands größtem Gasnetzbetreiber Open Grid Europe (OGE).

Im April hatte der italienische Gasnetzbetreiber Snam S.p.A. eine Übernahme von 24,99 Prozent der Anteile von OGE angekündigt. Der Verkäufer bei dem 920 Millionen Euro schweren Deal ist die Infinity Investments, eine Beteiligungsgesellschaft aus Abu Dhabi.

Im Wirtschaftsministerium ist die Unruhe seither groß. Nach Handelsblatt-Informationen aus Regierungskreisen haben die Beamten von Ministerin Katherina Reiche (CDU) ein vertieftes Investitionsprüfverfahren eingeleitet. Dabei prüft das Ministerium im Detail, ob der Deal eine „Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit“ darstellen kann.

Grund für die Aufregung: Minderheitseigner bei Snam ist eine Holding, an der die State Grid Corporation of China (SGCC) erhebliche Anteile hält – der größte Energieversorger der Welt und auch insgesamt eines der größten Unternehmen weltweit. 2014 stieg SGCC über eine Holding indirekt bei Snam ein.

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State Grid of China hat eine besondere Rolle im staatskapitalistischen System Chinas. Es ist Teil der SASAC, der „Kommission für die Überwachung und Verwaltung staatseigener Vermögenswerte des Staatsrats“. Das riesige Konglomerat von rund 95 Staatsunternehmen untersteht direkt dem mächtigen chinesischen Staatsrat.

Die Verbindungen zum chinesischen Staat und zur Kommunistischen Partei (KP) könnten kaum enger sein: Der Vorstandsvorsitzende von State Grid of China und die Führungskräfte werden vom Zentralkomitee der KP und dem Staatsrat ernannt. Investitionen des Unternehmens unterliegen einer hohen staatlichen Kontrolle. Schon seit Jahren weitet SGCC, teils über Tochtergesellschaften, seine internationalen Beteiligungen an Energienetzen immer weiter aus, etwa in Griechenland und Portugal, Australien und Brasilien.

Die Verbindung zwischen Snam und dem chinesischen Staat ist nicht auf den ersten Blick sichtbar. SGCC ist kein direkter Anteilseigner von Snam. Eine Verbindung besteht aber durch den Hauptanteilseigner von Snam: CDP Reti. Die Holding ist mit rund 31 Prozent größter einzelner Anteilseigner von Snam – und das chinesische SGCC ist wiederum seit 2014 35-prozentiger Anteilseigner von CDP Reti. Laut einer Analyse des französischen Thinktanks Groupe d’études géopolitiques erwarb SGCC durch die Übernahme im Jahr 2014 eine Sperrminorität und ein Stimmrecht in den Verwaltungsräten von Snam.

Im Bundeswirtschaftsministerium wird der Versuch, dass sich China offenbar mittelbar bei OGE einkaufen könnte, als „sehr heikel“ betrachtet, wie es dort heißt. Denn das deutsche Unternehmen spielt für die Versorgung der deutschen Wirtschaft genauso wie für die Heizungen der Bürgerinnen und Bürger eine entscheidende Rolle.

OGE essenziell für Industrie und Haushalte

Das OGE-Netz umfasst einen Großteil der Leitungen in Deutschland, es erstreckt sich über 12.000 Kilometer. Insgesamt umfasst das deutsche Gasfernleitungsnetz 40.000 Kilometer.

Die Fernleitungen sind die „Autobahnen“ des Gasnetzes, sie sind essenziell für die Gasversorgung von Industrie und Haushalten. Die Gasfernleitungen dienen dem Import sowie dem Transport des Erdgases in großen Mengen über weite Entfernungen durchs ganze Land.

Gleichzeitig spielt OGE eine Schlüsselrolle für die klimaneutrale Transformation. Erdgas wird aus Klimaschutzgründen in den kommenden Jahren an Bedeutung verlieren, die Netzbetreiber werden sich daher auf den Transport von Wasserstoff fokussieren. Dazu werden große Teile des bestehenden Erdgasnetzes umgerüstet.

Das Netz von OGE hat seinen Schwerpunkt im Großraum Rhein-Ruhr. Viele künftige Wasserstoff-Verbraucher aus der Industrie haben ihren Sitz in dieser Region. Dazu zählen etwas Thyssen-Krupp Stahl oder große Chemieunternehmen.

Ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums erklärte auf Anfrage, aufgrund von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen keine Informationen zum Investitionsprüfverfahren geben zu können. Auch bei OGE hieß es, man kommentiere den Vorgang nicht. Die Bundesnetzagentur wollte sich zu dem Vorgang ebenfalls nicht äußern.

China hatte auch das deutsche Stromnetz ins Visier genommen

In der Energiebranche gibt es bereits Warnungen vor einem möglichen Zugriff Chinas auf das deutsche Gasnetz durch SGCC. Unklar ist allerdings, welchen Einfluss der chinesische Konzern tatsächlich auf die operative Führung von Snam ausüben könnte – und in der Folge auf OGE. Denn in beiden Fällen handelt es sich bislang nur um Minderheitsbeteiligungen.

Branchenkenner, die nicht namentlich genannt werden wollen, halten ein Einschreiten durch das Ministerium dennoch für geboten. Sie argumentieren mit Blick auf ein erst kürzlich von der Bundesnetzagentur gestartetes Verfahren: Danach will die Regulierungsbehörde die Anforderungen an verbaute Komponenten in der Elektrizitäts- und Gasversorgung neu regeln.

Das Ziel ist, neue, verbindliche Vorgaben für die Betreiber von Strom- und Gasnetzen zu schaffen. Die bisherigen Regelungen gelten angesichts der veränderten geopolitischen Bedrohungslage als nicht mehr ausreichend. Das Verfahren ähnelt der Vorgehensweise bei Komponenten für das Mobilfunknetz nach dem 5G-Standard. Mit Blick auf das Mobilfunknetz geht es vor allen Dingen darum, die Einflussmöglichkeiten durch den Einsatz von Bauteilen von chinesischen Herstellern wie Huawei zu minimieren.

Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU): Welche Entscheidung trifft ihr Haus bei OGE?Foto: Sebastian Gollnow/dpa

In der Branche heißt es, wenn die Bundesnetzagentur so deutliche Gefahren bei den Komponenten sehe, könne sie Fragen der Eigentümerstruktur nicht ignorieren – schon gar nicht mit Blick auf die Gasinfrastruktur. Deutschland trete wie China als Nachfrager auf dem Weltgasmarkt auf. Es müsse ausgeschlossen werden, dass ein chinesischer Miteigentümer direkt oder indirekt Einfluss auf die Nutzung der Gasimportinfrastruktur nehmen könne.

Der geplante Einstieg von SGCC weckt Erinnerungen an 2018. Damals hatte SGCC gleich zweimal nach einem 20-prozentigen Anteil am deutschen Stromnetzbetreiber 50Hertz gegriffen. Beim ersten Versuch gelang es der Bundesregierung, den belgischen 50Hertz-Mehrheitseigner Elia zu bewegen, von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen.

Beim Verkauf des zweiten 20-Prozent-Pakets konnte der Kauf durch SGCC nur verhindert werden, indem die bundeseigene KfW als Käuferin einsprang. Den Anteil hält die staatliche Förderbank bis heute.

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