Nachts die Waschmaschine starten? | © Getty Images
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Mit dynamischen Tarifen Stromkosten sparen – nur was für Nerds?

Stromrechnungen sind für die meisten Menschen ein notwendiges Übel. Man nimmt sie hin wie früher die Telefonrechnung. Doch das ändert sich gerade: Variable Tarife und Netzentgelte sind im Kommen – allerdings furchtbar kompliziert. Nur etwas für sparwütige Technik-Nerds, oder kann schon jeder profitieren?

80 Prozent Ersparnis! Diese Schlagzeile war öfter zu sehen, als vor einigen Wochen die Studie „Intelligentes Laden“ von der Unternehmensberatung Neon erschien. 80 Prozent bei den Stromkosten sparen – da wäre doch jeder gern dabei; zumal in Deutschland, das die höchsten Strompreise Europas hat (siehe Grafik).

Allerdings ist diese fabelhafte Sparchance an Voraussetzungen geknüpft. Zunächst geht es nur um das Laden von E-Autos. „Intelligentes Laden auf Basis eines einfachen dynamischen Stromtarifs senkt die Stromrechnung bereits um rund 50%“, heißt es in der Studie. „Kommen zeitvariable Netzentgelte und andere Strompreiskomponenten hinzu, sinken die Kosten um mehr als 80%.“

Regeln unterfüttern die Energiewende

Basis der erstaunlichen Berechnungen sind eine ältere und eine neue Regelung: Variable Stromtarife, die zeitabhängig nach Marktlage Preise aufrufen, gibt es schon länger, wenn sie auch noch nicht viel genutzt werden. Seit dem 1. April 2025 sind die Netzbetreiber verpflichtet, auch variable Netzentgelte anzubieten. Beides beruht auf Gesetzen, die die Energiewende unterfüttern. Sie schaffen Anreize, um schwankende Mengen durch Wind und Solar passend zu vermarkten, und sind parallel ein Steuerungsinstrument, um Spitzenbelastungen der Netze zu vermeiden – typischerweise morgens und abends. Diese Steuerung heißt im Fachjargon „netzdienlich“ oder „systemdienlich“.

Wer diese Zeiten meidet, kann Geld sparen. „Wir laufen in ein System mit stark schwankenden Strompreisen hinein“, erklärte Felix Matthes, Energieexperte des Freiburger Öko-Instituts, in einem RND-Interview. „Wir müssen auch Handwerkern sowie mittleren und kleinen Unternehmen die Möglichkeit geben, sich daran anzupassen. Da geht es dann um Nerd-Themen wie die Einführung von dynamischen Netzentgelten, mit denen sich Stromkosten intelligent drücken lassen.“

Steuerbare Wallboxen und Wärmepumpen

Der „nerdige“ Aspekt des Themas zeigt sich zunächst an den reichlich komplizierten Verfahren und Regeln. Die reduzierten Netzentgelte betreffen vorerst nur neue (ab 1.1.2024) und „steuerbare“ Geräte, dazu zählen Wärmepumpen und Ladesäulen. Es gibt diverse Optionen, die auf der Website der zuständigen Bundesnetzagentur erläutert werden. Der Netzbetreiber darf im Gegenzug die Leistung „dimmen“ (also drosseln), wenn die Belastung gerade sehr hoch ist. Eine Basisversorgung wird aber garantiert. Die Ersparnis kann erheblich sein. Im Bayernwerk-Netz werden nachts 0,74 Cent pro kWh fällig, tagsüber sind es 9,73. Ein Branchenportal liefert Informationen darüber.

Eine Farce? Ärger mit den Smart Metern

In jedem Fall braucht der Nutzer einen digitalen Stromzähler mit einer Datenverbindung („Gateway“), genannt „Smart Meter“. Solche sind in Ländern wie Frankreich, England oder Schweden schon weit verbreitet, während sie in Deutschland noch unter der 10-Prozent-Schwelle liegen. Bastian Gierull, CEO des Stromanbieters Octopus Energy, sagt, der Smart-Meter-Roll-out in Deutschland sei „eine Farce“ und ein „Paradebeispiel für technokratischen Overkill“. Zu den Gründen gehört der Datenschutz: Es gibt zwar strenge Regeln, aber gerade unter den technikaffinen „early adoptern“ auch viele Bedenken, was alles aus den 15-minütlich gesendeten Daten herausgelesen werden könnte.

Nachts die Waschmaschine starten

Smart Meter sind bis auf Weiteres nicht leicht und schnell zu bekommen, dabei sind sie auch Bedingung für dynamische Stromtarife. In diesem Feld gibt es etliche Modelle, im Extremfall ist der Preis direkt an den aktuellen Börsenkurs gekoppelt. Wer da am meisten herausholen möchte, muss im Verbrauch flexibel sein und die Kurse live im Blick halten – also etwa nachts die Haushaltsgeräte anwerfen, wenn die Nachfrage gering ist und gerade viel Wind die Preise gegen null drückt.

Vorerst müssen Durchschnittshaushalte ohne Wärmepumpe und E-Auto also erheblichen Aufwand treiben, um nicht so erhebliche Einsparungen zu erzielen. Hier verstärkt sich ein Effekt, der zum Beispiel schon bei der Solarförderung ausgiebig diskutiert wurde: Dieser Teil der Energiewende kann sozial ungerecht ausfallen.

Netzdienlich, aber auch finanziell dienlich?

Denn wenn man das „80-Prozent-Versprechen“ zuspitzt, wäre es ein einkommensstarker Eigenheimbesitzer, der dank PV auf dem Dach und dynamischer Tarife sein E-Auto nahezu gratis betreibt. Und das, nachdem er wahrscheinlich auch schon alle denkbaren Förderungen genossen hat, die eher von gut Situierten in Anspruch genommen werden. Das wurde 2023 deutlich, als ein kombinierter Fördertopf für Solar, Speicher und Ladepunkt in Rekordzeit leergesaugt war.

In Zukunft kann derselbe Hausbesitzer womöglich kostenlos Strom „tanken“ und sogar Geld verdienen: wenn bidirektionales Laden etabliert ist, also Laden in beide Richtungen, kann er Strom aus dem Auto-Akku zum richtigen Zeitpunkt ins Netz zurückspeisen und dafür kassieren. Dieses Szenario („Vehicle-to-Grid“) wird bald Realität werden, ist aber nicht ohne Tücken, etwa wegen einer womöglich verkürzten Lebensdauer der teuren Akkus.

Der Koalitionsvertrag von Union und SPD ist beim sozialen Aspekt vage: „Der Ausbau systemdienlicher Speicherkapazitäten und die systemdienliche Nutzung von E-Auto- und Heimspeichern werden wir verstärkt vorantreiben“, heißt es darin. Über die Frage, für wen „Systemdienlichkeit“ auch finanziell dienlich ist, stehen die Debatten noch bevor.

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Raimund Witkop schreibt über Politik & Gesellschaft

Lange Erfahrung als Journalist, gern im Sport unterwegs (WamS, FAZ), aber auch im Bereich Technik und Wissenschaft. Energie und Umwelt sind, vor dem Hintergrund des Klimawandels, die wichtigsten Themen unserer Zeit - deshalb sind sie seit Jahren mein Schwerpunkt.

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