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Mit fremden Federn: Hochstapelei im Spiegel der Gesellschaft

Im Glanz der Blender

Hochstapler, die mehr scheinen wollen, als sie sind, wissen sich medienwirksam zu verkaufen, indem sie einen höheren gesellschaftlichen Rang oder eine bessere berufliche Position vortäuschen – zu ihrem Vorteil. Sie glänzen mit Statussymbolen und Titeln. Eigentlich können sie nichts richtig. Doch wird ihnen geglaubt - zumindest eine Zeit lang. „Ohne schauspielerische und sprachliche Gewandtheit, kaltes Blut und gute Nerven geht es nicht. Der gesellschaftliche Nutzen des Hochstaplers besteht darin, daß er die Habgier, die Dummheit und die Eitelkeit der Eliten verhöhnt“, schreibt Hans Magnus Enzensberger in seinem aktuellen Buch „Eine Experten-Revue in 89 Nummern“.

Auch Anett Kollmann, die Literatur- und Medienwissenschaften studiert hat, erzählt in ihrem Buch „Mit fremden Federn“ dramatische Geschichten und menschliche Komödien mit durchaus tragischen Momenten. Neben bekannten Hochstaplerpersönlichkeiten wie der Päpstin Johanna, dem Hauptmann von Köpenick oder dem Winnetou-Autor Karl May beschreibt das Buch auch Rebellen gegen äußere Zwänge, die der Gesellschaft den Spiegel vorhalten. Gezeigt wird aber auch, dass der Hochstapler als Romanfigur eine lange Ahnenreihe hat - beispielsweise Don Quijote, Felix Krull oder Tom Ripley. Für Schriftsteller ist der Hochstapler deshalb so reizvoll, weil er sich als Grenzgänger an der Schwelle von Sein, Schein und Schwein bewegt. Phantasie und Wirklichkeit verschwimmen.

Auch Enzensberger deckt in seinem Buch Gemeinsamkeiten zwischen Hochstaplern und Schriftstellern auf, die sich mit Vorliebe Stoffen widmen, bei denen der Beruf des Hochstaplers im Mittelpunkt der Handlung steht: Ein erster Klassiker des Genres war Stendhal mit seinem Helden Julien Sorel in „Le rouge et le noir“, es folgte Gottfried Keller mit „Kleider machen Leute“, Frank Wedekind mit dem „Marquis von Keith“, Carl Zuckmayer mit dem „Hauptmann von Köpenick“ und Thomas Mann mit den „Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull“. Das letzte Wort zu diesem Thema gebührt im Buch allerdings Walter Serner (eigentlich Eduard Seligmann), der „Ein Handbrevier für Hochstapler und solche, die es werden wollen“ schrieb und sich eines Tages von der Literatur verabschiedete: „Dichtung“, sagte er, „ist und bleibt ein, wenn auch höherer Schwindel. Menschen gestalten heißt: sie fälschen.“

Die Dissertation von Anett Kollmann trug den Titel „Gepanzerte Empfindsamkeit. Helden in Frauengestalt um 1800“ – im Gegensatz zu vielen Beispielen, die sie beschreibt, ist ihr Doktortitel garantiert echt. Ihr Buch ist wie eine Schablone, die den Lesern hilft, auch eigene Erfahrungen besser zu verorten und zu reflektieren, denn dem Glanz der Blender können sich nur wenige entziehen. Das gilt zu allen Zeiten.

Hochstapler sind oft „prominent“, sitzen in Talkshows, nehmen an Podiumsdiskussionen teil, halten Vorträge und schreiben zuweilen auch Bücher: am liebsten über Macht und jene Menschen, die wiederum mit Hochstapeleien Karriere gemacht haben und manchmal auch „gefallen“ sind – allerdings nicht finanziell, denn auch ihr „Scheitern“ wissen sie perfekt zu Markte getragen. Auf Wikipedia ist bei einigen von ihnen nicht einmal vermerkt, dass sie ihr Studium abgebrochen haben – die Universaldilettanten gelten als „Alleskönner“. Dabei sind sie nur das, was sie anderen vormachen.

Am Anfang steht bei ihnen das ungestillte Bedürfnis nach Macht und Ruhm, nach Aufmerksamkeit und Einzigartigkeit. Anett Kollmann zeichnet ihr komplexes Psychogramm nach, zu dem Größenwahn genauso gehört wie Minderwertigkeitsgefühle und Geltungssucht. „Psychiater attestieren den einschlägig auffällig Gewordenen narzisstische Persönlichkeitsstörungen und Pseudologie, einen pathologischen Hang zu Übertreibung und Lüge, unterscheiden sie aber von Patienten mit Wahnvorstellungen, Schizophrenie oder multiplen Persönlichkeiten.“

Besonders interessant ist Kollmanns Beobachtung, dass Hochstapler und Politiker zuweilen denselben Werkzeugkasten bei ihren Auftritten benutzen: „Für den politischen Hochstapler gilt: Je näher er an die Macht will, umso ähnlicher muss er dem Herrscher werden.“ Hochstapler sind allerdings zu ungeduldig, um etwas richtig zu Ende zu bringen. Sie wollen das Ziel, aber nicht den Weg. Und weil sie nicht nachhaltig handeln, sind ihre Geschichten meistens auch kurzlebig: Sie halten als Autoren nicht durch, weil sie irgendwann wirklich „liefern“ müssen, sie verlieren das Interesse an Themen und Aufgaben. Sie wollen keine ganze Arbeit leisten. Wenn sie das Gefühl haben, durchschaut zu werden, ziehen sie weiter. Dennoch: „Selbst wenn der Schwindel aufgeflogen, der Glanz erloschen und die Täuschung offenbar geworden sind, bleibt eine beunruhigende Faszination.“ (Anett Kollmann)

Weiterführende Literatur:

Hans Magnus Enzensberger: Eine Experten-Revue in 89 Nummern. Suhrkamp Verlag Berlin 2019.

Anett Kollmann: Mit fremden Federn. Eine kleine Geschichte der Hochstapelei. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2018.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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