Mit Mutsinn die Zukunft gestalten
Nur wer mutsinnig ist, kann den Wandel in die ungewisse Zukunft überstehen. Was es jetzt braucht für eine Welt im Übergang.
Wir leben in einer Zwischenzeit. Die alte Ordnung löst sich auf, doch eine neue ist noch nicht in Sicht. Was gestern noch als sicher galt, gerät ins Wanken. Was morgen sein wird, bleibt diffus. Wir befinden uns in einem Zustand der Liminalität – einer Zwischenwelt, an einer Schwelle, die wir überschreiten müssen, ohne zu wissen, was auf der anderen Seite liegt. Wir sind – so fühlt es sich an – fremd in einer unvertrauten Welt, in der wir bereits leben, aber noch nicht angekommen sind.
In solchen Zeiten herrscht Unsicherheit. Die Welt wirkt ausgehöhlt von Misstrauen, überfordert von Komplexität. Der vertraute Rahmen, an dem wir uns immer orientieren konnten, ist verzogen. Und so dominiert Angst vor Verlust – Verlust von Status, Bedeutung, Identität und Privilegien. Diese Angst nährt den Wunsch nach Bewahrung, nach Stabilität, nach dem Altvertrauten. Doch schlimmer wiegt der Verlust der Zukunft. Wenn es kein lohnendes Ziel gibt, zählt nur das Erreichte, das es zu bewahren gilt.
Die Nutznießer der Angst sind die Feinde der Zukunft. Die Populisten erfinden Sündenböcke. Die Demokratie aber lebt vom Zukunftsversprechen: Es kann für alle besser werden. In der Zukunft ist für Platz für alle, eine Gegenwart ohne Zukunft aber spaltet. „Future is a Choice“ – man kann sich für sie entscheiden.
Mit Ungewissheit konstruktiv umgehen können
Deshalb braucht es eine Haltung, die dieser Zwischenzeit gerecht wird – eine Haltung aus zwei Kräften: Mut und Sinn. Mut, um aufzubrechen, und Sinn, um zu wissen, wohin. Mut ohne Sinn bedeutet Waghalsigkeit, Sinn ohne Mut bleibt Utopie. Erst in ihrer Verbindung entfalten beide ihre Wirksamkeit. Es braucht eine neue Haltung – man könnte sie mutsinnig nennen.
„Mutwillig“ nennt der Duden ein Verhalten, das absichtlich, grundlos und oft boshaft ist. Dagegen steht „mutsinnig“ als ein konstruktives Gegenbild: absichtsvoll, sinnvoll, mit provozierendem Optimismus.
Sicherheit und Wachstum können Hand in Hand gehen
Mutsinn heißt, der Zukunft nicht nur mit technischer Kompetenz, sondern mit gestalterischem Willen zu begegnen. Mutsinn ist der Gegenentwurf zum allgegenwärtigen Wahnsinn. Er bedeutet, Möglichkeiten nicht nur zu erkennen, sondern auch zu ergreifen. Denn:
Eine Zukunft, die möglich ist, wird möglich durch die Fähigkeit, sie zu verändern.
Eine Zukunft, die wünschenswert ist, entsteht durch den Sinn, den wir ihr geben.
Und eine Zukunft, die vorstellbar wird, beginnt mit dem Mut, sie uns überhaupt vorzustellen.
Maslow hat in zwei Arten von Bedürfnissen unterschieden: Sicherheits- und Wachstumsbedürfnisse. Der Zerfall der Gegenwart weckt Sicherheitsbedürfnisse. Die Möglichkeiten einer neuen Zukunft aber auch Wachstumsbedürfnisse. Sie lassen sich erwecken mit Mutsinn.
Wer mutsinnig ist, erkennt in der Liminalität nicht nur den Verlust, sondern die Gelegenheit zum Fortschritt, nicht nur das Ende, sondern vor allem den Anfang. Mutsinn ist der Schlüssel, der Übergänge zu Aufbrüchen macht. Er ist die Voraussetzung, um aus dem Zustand der Liminalität herauszutreten. Nicht zurück in die Vergangenheit – sondern hinein in eine Zukunft, die wir mutig und sinnvoll gestalten.