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Mitgefühl ist Chefsache

Empathie zeichnet eine gute Führungskraft aus. Was aber, wenn der Rest des Unternehmens keinen Wert darauf legt? Sechs Maßnahmen helfen, eine kalte Unternehmenskultur positiv zu verändern.

Von Liz Kislik

Studien zeigen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die für mitfühlende Führungskräfte arbeiten, 25 Prozent engagierter sind und sich 20 Prozent mehr für ihr Unternehmen ­einsetzen; die Wahrscheinlichkeit eines Burn-outs ist um 11 Prozent geringer. Diese Botschaft ist bei zu vielen Organisationen und Unternehmen aber noch nicht angekommen. Immer noch herrschen starre Hierarchien vor und Mitarbeiter werden eher wie Ressourcen statt wie Menschen behandelt. Die Unter­nehmen verlangen übermäßig lange Arbeitszeiten, setzen ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit unrealistischen ­Erwartungen unter Druck und nehmen meist keine Rücksicht auf die Individualität ihrer Angestellten.

Was können Sie tun, wenn Sie Ihr Team mit Mitgefühl leiten wollen, die Unternehmensleitung diese Philosophie aber nicht unterstützt? Überspitzt gefragt: Wie können Sie eine empathische Führungskraft sein, wenn die Unternehmensspitze herzlos ist? Sechs Maßnahmen helfen ­Ihnen dabei, eine mitfühlende Führungskraft zu werden und vielleicht sogar den ein oder anderen Ihrer Kollegen zu überzeugen, ebenfalls ein wenig mehr Empathie an den Tag zu legen.

Definieren Sie Mitgefühl

Empathie fällt oft in die Kategorie der Soft Skills. Treffender wäre allerdings die Beschreibung „aktivistische Fähigkeit“, weil mit Mitgefühl das Aktivwerden und Handeln einhergeht, damit das Leid anderer gelindert wird. Es ist das Bedürfnis, zu handeln und etwas zu verändern, das Mitgefühl von Einfühlungsvermögen unterscheidet. Sie könnten beispielsweise ­einfühlsam sein, wenn Sie ein schlechtes Gewissen haben, weil die derzeitige Anforderung, statt im Homeoffice wieder am Arbeitsplatz zu sein, für eines Ihrer Teammitglieder ein ernsthaftes Problem darstellt. Mitfühlend hingegen sind Sie, wenn Sie Ihrem Teammitglied ermöglichen, teilweise trotzdem im Homeoffice zu arbeiten, oder andere Möglichkeiten finden, wie die jeweilige Person sich wohler fühlt. Es sind am Ende die Handlungen, die den Unterschied ausmachen.

Ihr Verhalten dient als Vorbild für Ihre Mitarbeiter. Sie merken, wie Sie Ihre Haltung verändern, wenn Sie neue Informationen erhalten, wie Sie mit Druck umgehen und ob Sie sich bei Ihren Vorgesetzten für andere einsetzen. Ihr Team achtet darauf, ob Sie in der Lage sind, Prioritäten zu setzen und schwierige Entscheidungen zu treffen, Verantwortung zu übernehmen, eigene Fehler einzugestehen und gegebenenfalls um Unterstützung oder Entschuldigung zu bitten. Sie leben vor, wie Ihr Team agieren soll. Selbst wenn die Dinge außerhalb Ihrer Abteilung ganz anders laufen, setzen Sie trotzdem den Maßstab für Ihr Team und haben somit eine Vorbildfunktion.

Eine meiner Kundinnen fand sich mal mitten in einem Konflikt zwischen zwei Teammitgliedern. Obwohl sie eigentlich nur schlichten wollte, stellte sich heraus, dass sie einen von beiden in der Hitze der Diskussion beleidigt hatte. Noch in der gleichen Unterhaltung drückte sie ihr Bedauern aus, bat um Verzeihung und ­erklärte, wie sie in Zukunft einen großen Bogen um unsachliche Ausdrücke machen wollte. Noch Monate danach war der Kollege, der beleidigt worden war, so ­beeindruckt von dieser Entschuldigung, dass er all seinen Kollegen davon erzählte und einräumte, er habe noch nie mit einer Führungskraft zusammengearbeitet, die ihren Fehler so ehrlich einge­standen hatte. Sein eigenes zwischenmenschliches Verhalten verbesserte sich dadurch ebenfalls, weil er lernte, für Fehler geradezustehen.

Auch wenn Sie versuchen, immer für ­jeden da zu sein und genug Zeit für alle zu haben, müssen Sie sich auch eingestehen, dass Ihre Zeit und Energie Grenzen haben. Deshalb sollten Sie priorisieren, wofür Sie Ihre Zeit und Energie verwenden. Andernfalls landen Sie schnell mit einem Burn-out in der Klinik. Setzen Sie Ihre Prioritäten also sorgfältig, und versprechen Sie nicht zu viel. Es nützt niemandem, wenn Sie große Ankündigungen und Versprechen machen, die Sie am Ende nicht einhalten können. Ich habe mit zu vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesprochen, die solche Ankündigungen als leere Versprechen abtun, weil sie bereits zu oft enttäuscht wurden.

Setzen Sie Ihre Prioritäten sorgfältig, und versprechen Sie nicht zu viel. Es nützt niemandem, wenn Sie zu große Ankündigungen machen, die Sie am Ende nicht einhalten können.

Finden Sie stattdessen heraus, was für Ihre Mitarbeiter wirklich wichtig ist, damit sie sich wohlfühlen. Leiten Sie konkrete Schritte ein, um die Arbeitsbedingungen für sie zu verbessern und dadurch die Moral des Teams zu steigern. Sobald Ihre Maßnahmen Wirkung zeigen, können Sie aus den Erfolgen lernen, welche Schritte sinnvoll waren, und dann den nächsten Bereich in Angriff nehmen.

Sie werden nicht auf alle Fragen Antworten parat haben und für Ihr Team nicht alles sofort ins Positive wenden können. Wecken Sie deshalb keine falschen Hoffnungen. Erklären Sie, welche Dinge im Bereich des Änderbaren sind. Und ­erwarten Sie für Ihren Einsatz und Ihre Mühe keine überschwängliche Dank­barkeit aller Kollegen. Es ist nicht die Aufgabe Ihrer Mitarbeiter, Sie für Ihre Arbeit zu würdigen. Aber es ist Ihre Aufgabe, die Widerstandsfähigkeit, die Langlebigkeit und den Zusammenhalt des Teams zu fördern. Und sobald sich etwas zum Positiven verändert, werden Ihre Kolleginnen und Kollegen dies wahrnehmen.

Eine Managerin wurde etwa kreativ, um ihr Team zu fördern, ohne eine offizielle Genehmigung oder zusätzliche Ressourcen zu benötigen. Als sich ihre Mitarbeiter durch zu viele Herausforderungen und ihre gestresste Organisation ausgebrannt fühlten, half sie jedem Einzelnen, ein ­„leidenschaftliches Projekt“ zu finden, das die Ziele des Teams unterstützte. Sie nahm sich auch Zeit für die Umsetzung der Projekte, damit sie nicht zusammen mit der Motivation ihrer Angestellten im Sand verliefen. Die Mitarbeiter bekamen so Zeit für intensive Arbeit an Projekten, die sie interessierten und durch die sie Neues lernen konnten, sie konnten sich persönlich engagieren und hatten ein individuelles Ziel vor Augen.

Wenn die Unternehmensführung den Eindruck bekommt, dass Sie keine souveräne und erfolgreiche Führungskraft sind, sind Sie Ihr Team vielleicht bald los – und können dann auch nichts mehr bewirken. Deshalb sollten Sie die Erwartungen Ihrer Vorgesetzten immer im Hinterkopf und die angestrebten Unternehmensziele immer im Auge haben. Je erfolgreicher Ihr Team ist und je bessere Ergebnisse Sie ­gemeinsam abliefern, desto mehr können Sie sich und Ihren Führungsstil etablieren. Und langfristig mehr Unterstützung für Ihre Mitarbeiter einsammeln.

Um Ihr Team zu fördern und es mit Herz zu leiten, benötigen Sie womöglich Ressourcen, die Ihnen vom Unternehmen nicht zur Verfügung gestellt werden. In dem Fall müssen Sie kreativ werden und auf Alternativen ausweichen. Wenn Sie zum Beispiel nicht ausreichend Budget für Schulungen genehmigt bekommen, können Sie sich nach Podcasts oder kostenlosen Onlinetutorials in den benötigten Bereichen umsehen. Macht Ihnen eine Deadline zu schaffen, sollten Sie aktiv mit Ihrem Team zusammenarbeiten, um realistisch entscheiden zu können, wer mehr Zeit investieren kann, um die Deadline einzuhalten. Im Zweifelsfall hilft es auch, Aufgaben zwischen den Kollegen noch einmal umzuverteilen.

Mitgefühl zu haben bedeutet nicht, „nett“ zu sein und bei Problemen wegzusehen. Mitgefühl bedeutet, eine Situation so tiefgründig zu verstehen, dass Sie die beste Entscheidung für alle Beteiligten treffen können. Manchmal heißt das auch, Mitarbeiter für unzufriedenstellende Arbeit oder falsches Verhalten zur Verantwortung zu ziehen.

Natürlich sollten Sie dabei die Würde der betroffenen Personen wahren, ihnen Erklärungsmöglichkeiten bieten und dabei helfen, Werte neu zu justieren und sich zu sammeln. Aber machen Sie auch klar, welche Erwartungen Sie haben und welche Folgen es haben wird, wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden. Achten Sie dabei immer darauf, alle Teammitglieder gleich zu behandeln. Es kommt nie gut an, persönliche Favoriten zu haben und diesen Mitarbeitern deshalb Sonderrechte einzuräumen.

Wenn es Prioritäten zu setzen und Herausforderungen zu bewältigen gibt, sollten Sie Ihr Team mit ins Boot holen und es aktiv in das Gespräch einbeziehen: „Wie können wir uns gegenseitig unterstützen, um dieses Ziel zu erreichen? Wie, denkt ihr, sollten wir jetzt vorgehen? Welche Hindernisse gibt es noch, und wie bewältigen wir diese?“ Danach können Sie handeln und aus den Ergebnissen Schlüsse ziehen, welche Vorschläge Ihrer Mitarbeiter das Vorhaben vorangebracht haben. Wenn Ihr Team sieht, dass Ihre Versprechen nicht nur leere Worte sind, sondern dass Sie wirklich Zeit und Energie investieren, um sich für Ihr Team einzusetzen und die Arbeitsbedingungen zu verändern, wird es Sie ernst nehmen, andere Bemühungen von Ihnen unterstützen und sich mehr engagieren.

Ich habe beispielsweise mal einen Manager gecoacht, dessen Teammitglieder Probleme mit einem Vizepräsidenten des Unternehmens hatten, weil dieser gegen die Regelungen verstieß und Angestellte schlecht behandelte. Der Manager wandte sich für Unterstützung an die Personalabteilung, die die Vorwürfe überprüfte und schließlich ein Disziplinar­verfahren gegen den Vizepräsidenten ­einleitete. Der Manager riskierte seinen Kopf für sein Team. Sein Verhalten veranlasste einige Mitarbeiter, die geplant hatten zu kündigen, weiterhin im Unternehmen zu bleiben. Sie schauten zu ihm auf, weil er ihre Bedürfnisse und Proble­me wahrgenommen und daraufhin gehandelt hatte.

Eine mitfühlende Führungskraft zu sein bedeutet, eine gute Führungskraft zu sein. Es ist umso schwerer, ein mitfühlender Manager zu sein, wenn der Rest des Unternehmens darauf keinen Wert legt und die Unternehmenskultur eher auf ­Bevorzugung und Vernachlässigung zu beruhen scheint.

Aber wenn Sie diese sechs Maßnahmen verinnerlichen und die für Sie relevanten Strategien anwenden, können Sie für Ihr Team und schlussendlich auch für das Unternehmen positive Veränderungen bewirken. Ihre Erfolge werden auch andere Abteilungen neugierig machen, wie Sie Ihr Team leiten, und sie werden sich schließlich an Ihrem Führungsstil orientieren. © HBP 2022

Autorin

Liz Kislikhilft sowohl „Fortune“-500- Unternehmen als auch Non-Profit- Organisationen und Familien­unternehmen, ihre schwierigsten Probleme zu lösen. Sie hat an der New York University und der ­Hofstra University gelehrt. Ihre kostenfreie Anleitung „Wie man zwischenmenschliche Konflikte am Arbeitsplatz löst“ finden Sie auf ihrer Website (lizkislik.com).

Dieser Beitrag erschien erstmals in der November-Ausgabe 2022 des Harvard Business managers.

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