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Motivieren aus der Ferne

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Wenn Ihre Mitarbeiter verstreut im Homeoffice sitzen, leidet oft die Motivation. Steuern Sie gegen – und geben Sie jedem Teammitglied das Gefühl: Jetzt kommt es auf dich an.

Von Lindsay McGregor, Neel Doshi

Unzählige Führungskräfte haben in den vergangenen Monaten ihre Teams in den Remote-Modus versetzt: Sie haben dafür gesorgt, dass ihre Mitarbeiter die entsprechende Technik zu Hause haben. Sie haben neue Prozesse festgelegt und waren im Dauereinsatz in Videokonferenzen. Doch dies ist nur der erste Schritt, um eine sinnvolle Arbeitsumgebung für Mitarbeiter im Homeoffice zu schaffen. Die nächste wichtige Frage, die wir uns stellen müssen, lautet: Wie motivieren wir die Menschen, die von zu Hause aus arbeiten?

Diese Frage ist jetzt so wichtig, weil Menschen in Krisen wie der jetzigen dazu neigen, sich eher auf taktische Fragen zu konzentrieren, beispielsweise wie viele Tickets sie im Kundenservice bearbeiten sollten. Dabei müssten sie eigentlich daran arbeiten, sich an die neuen Umstände anzupassen und die größeren, neueren Probleme zu lösen, vor denen ihr Unternehmen gerade steht.

Doch auch in turbulenten Zeiten ragen einige Teams regelrecht heraus – egal wie groß ihre Aufgabe ist. Sie gewinnen Marktanteile dazu. Sie erarbeiten sich die lebenslange Zuneigung ihrer Kunden. Sie sorgen dafür, dass ihre Produktivität hoch bleibt oder sogar noch steigt. Mit anderen Worten: Sie passen sich an. Zwar kommt die akademische Forschung über dezentrale Produktivität zu unterschiedlichen Ergebnissen; manchmal heißt es, sie nehme ab, dann wieder, sie steige. Doch unsere eigene Forschung deutet darauf hin, dass der Erfolg von Teams davon abhängt, wie sie das Thema angehen.

Zunächst einmal ist es wichtig zu wissen, dass Arbeit aus dem Homeoffice momentan wohl eher die Motivation verringert. In den Jahren zwischen 2010 und 2015 haben wir mehr als 20.000 Beschäftigte in aller Welt befragt, mehr als 50 große Unternehmen untersucht und eine Vielzahl an Experimenten durchgeführt. Wir wollten wissen: Was motiviert Menschen – und welchen Einfluss hat dabei das Homeoffice? Dafür maßen wir die Gesamtmotivation jener Mitarbeiter, die von zu Hause aus arbeiten, und verglichen sie mit jenen Kollegen, die in einem zentralen Büro arbeiteten. Dabei fanden wir heraus, dass die Arbeit im Homeoffice weniger motivierend wirkte. Schlimmer noch: Wenn die Menschen nicht die Wahl hatten, wo sie arbeiten wollen, waren die Unterschiede gewaltig (siehe Grafik "Homeoffice senkt die Motivation" unten). In diesem Fall fiel die Gesamtmotivation um 17 Punkte – das ist vergleichbar mit einem Jobwechsel vom Unternehmen mit der besten Unternehmenskultur der Branche zu jenem mit der schlechtesten.

Dabei haben wir drei negative Motivationsfaktoren ausgemacht, die oft zu schlechteren Arbeitsleistungen führen. Wir vermuten, dass diese während der Corona-Pandemie sehr viel häufiger zu beobachten sind: Emotionaler_und wirtschaftlicher Druck sind stark angestiegen, weil die Menschen sich um Jobs, Mietzahlungen und Gesundheit sorgen. Die Flut an Nachrichten, die Frage, wie wir sicher an Lebensmittel kommen, und die Angst um Angehörige sind zutiefst beunruhigend. Eine gewisse Trägheit_ bei der Arbeit wird zwangsläufig zunehmen, weil die Menschen sich fragen, ob es überhaupt einen Sinn hat, sich zu engagieren.

Dem stehen drei positive Motivationsfaktoren gegenüber, die wir bei unserer Forschung ebenfalls gefunden haben und die häufig zu einer verbesserten Arbeitsleistung führen. Allerdings befürchten wir, dass diese in der aktuellen Situation allzu leicht und unbemerkt verschwinden. Da ist zum einen der Faktor Spieltrieb – das Motiv, das die Arbeitsleistung am stärksten steigert. Wenn es allerdings weiter so schwer für Mitarbeiter bleibt, ihre Arbeit von zu Hause aus zu erledigen, könnte dieser Faktor abnehmen. So vermissen sie womöglich die Freude an der gemeinsamen Problemlösung mit Kollegen oder die Leichtigkeit, Entscheidungen zu treffen, wenn alle gemeinsam in einem Raum sind. Auch die Sinnhaftigkeit der Arbeit könnte schwinden, wenn das Team immer weniger davon mitbekommt, welche Wirkung seine Arbeit auf Kunden oder Kollegen hat – insbesondere wenn es niemand daran erinnert. Und schließlich könnte auch das Potenzial der Mitarbeiter sinken, wenn sie keinen Zugang zu Kollegen haben, die ihnen etwas beibringen und sie fördern.

Wenn sich das Topmanagement nicht dazu bequemt, dies zu ändern, wird der Motivationsknick letztlich zu einem Rückgang bei Anpassungsfähigkeit, Arbeitsqualität und Kreativität führen – und zwar genau dann, wenn der erwartete Aufschwung nach der Corona-Krise eigentlich erfordert, dass die Produktivität weiter wächst.

Als bei einer Kollegin von uns Krebs diagnostiziert wurde, war unser erster Impuls, ihre Arbeitsmenge herunterzufahren, damit sie sich auf ihre Genesung konzentrieren konnte. Sicher gab es auch Zeiten, in denen sie nichts als Ruhe brauchte. Aber uns wurde schnell klar, dass wir ihr mit unserer Reaktion eine wichtige Quelle ihres Spieltriebs und ihrer Sinnhaftigkeit genommen hatten. Ihre Arbeit gab ihr die dringend benötigte Ablenkung von den angsteinflößenden Nachrichten, die sie jeden Tag erhielt.

Das gilt auch für die Unternehmen, mit denen wir während der Finanzkrise zusammengearbeitet haben. Wir fanden damals heraus, dass Analysten bei ihrem Versuch, die Märkte zu stützen, wäh–rend einiger 18-Stunden-Arbeitstage das höchste Motivationsniveau ihrer Karriere aufwiesen. Ehemalige Soldaten, die wir interviewten, sprachen ganz ähnlich über besonders kritische Tage im Gefechtsverlauf. Aus demselben Grund beobachten wir heute, dass viele Bürger in der Corona-Krise nicht einfach zu Hause sitzen, sondern beispielsweise Gruppen ins Leben rufen, die ehrenamtlich anderen Menschen per Fahrrad Lebensmittel liefern. Fitnesstrainer leiten ihre Kurse vom heimischen Dach aus oder streamen sie kostenlos im Internet. Dozenten richten virtuelle Klassenzimmer ein und halten mit ihren Studierenden Workshops online ab.

Für Führungskräfte ist es wichtig, diesen Beispielen zu folgen und sich daran zu erinnern, dass die Arbeit selbst ihren Teams den dringend notwendigen Motivationsschub geben kann – auch wenn sie keine Wahl haben, ob sie im Homeoffice arbeiten möchten oder nicht. Dafür müssen Manager der Versuchung widerstehen, der Arbeit einen taktischen Charakter zu verleihen – mit strikten Prozessen, Regeln und Abläufen. Zwar hilft ein gewisses Maß an Regeln und Richtlinien Mitarbeitern, schnell voranzukommen. Doch werden es zu viele, entsteht ein Teufelskreis der Demotivation. In diesem Fall hören sie auf, nach Problemlösungen zu suchen oder kreativ zu denken. Stattdessen tun sie nur das absolute Minimum.

Wenn Sie wollen, dass Ihre Teams sich engagiert an die Arbeit machen, müssen Sie dafür sorgen, dass die Arbeit an sich mitreißend ist. Am besten geht das, wenn Sie Ihren Leuten die Gelegenheit geben, zu experimentieren und Probleme zu lösen, die wirklich wichtig sind. Diese Probleme sind sicherlich nicht für jedes Team oder Unternehmen gleich. Womöglich sind sie noch nicht einmal leicht zu erkennen. Ihre Mitarbeiter werden dabei Ihre Hilfe benötigen. Fragen Sie sie: Wie können wir unseren Kunden beeindruckenden Service anbieten? Was funktioniert nicht, das wir mit unserem Team wieder in Ordnung bringen könnten? Was bringt uns selbst in dieser Zeit der Angst Wachstum? Warum sind diese Probleme wichtig, wertvoll und interessant?

Derzeit arbeiten wir mit Teams auf der ganzen Welt zusammen, die diese Arbeitsweise für sich entdeckt haben. So experimentiert ein Team für klinische Studien bei einem Pharmaunternehmen mit Methoden, die Krankenhäusern helfen, Studien zu priorisieren und die Sicherheit in der Klinik während der Pandemie zu gewährleisten. Beim Tech-Unicorn Flexport, einer Speditions- und Zollagentur, arbeiten Teams an Ideen, wie sich dringend benötigte Waren um die Welt schicken lassen, wie sie die Lieferketten ihrer Kunden aufrechterhalten können und welche Ideen ihren Zulieferern helfen, im Geschäft zu bleiben. Und eine Versicherung testet Methoden, um ihre sprunghaft angestiegenen Chatvolumen und Schadensfälle schnell zu priorisieren. In den Teams, mit denen wir arbeiten, ist die Produktivität auf einem hohen Stand geblieben; oft ist sie sogar noch gewachsen.

Was diese Teams so erfolgreich gemacht hat, ist die Tatsache, dass sie sich nicht allein auf große neue Programme oder Ansätze verlassen, die die Zustimmung des CEOs benötigen. Sie haben einfach nur Methoden gefunden, um jedem Teammitglied das Gefühl zu geben: Ich kann dabei helfen, unsere gemeinsame Herausforderung zu bewältigen. In den Fällen, die wir begleitet haben, reicht die Herausforderung von so kleinen Dingen wie einer besseren Kundenbegrüßung über die Einführung neuer Zeitpläne bis zu Großprojekten wie dem Umzug des bislang personengebundenen Geschäfts ins Internet.

Das mag in der Theorie alles wunderbar klingen, aber wenn Sie sich fragen, wie Sie nun tatsächlich anfangen sollen, sind Sie nicht allein. Nur wenige Unternehmen wissen, wann und wo Experimente mit neuen Arbeitsweisen angebracht sind. Dabei steigt durch gut gemachte Experimente die Mitarbeitermotivation um 45 Prozentpunkte. Angesichts der Herausforderungen mit der Corona-Pandemie haben wir eine einfache Liste mit Empfehlungen für solche Teams erarbeitet, die aus dem Homeoffice oder mobil arbeiten.

Erstens: Mit der Entscheidung, was Sie messen wollen, geben Sie Ihrem Team das stärkste Signal dazu, was Ihnen besonders wichtig ist. Wenn Sie Ihren Mitarbeitern zeigen wollen, dass Ihnen ihre Motivation wichtig ist, können Sie diese mit einem Umfragetool messen. Dann sollten Sie mit ihnen besprechen, was ihre Motivation erhöht oder verringert und was ihnen helfen könnte, Motivation und Experimentierfreude in den kommenden Wochen zu steigern. Dabei könnten Sie folgende Fragen stellen: Wie wirkt sich die aktuelle Situation derzeit auf euch aus? Welche Tipps habt ihr, um euch zu motivieren und euren Spieltrieb und die Sinnhaftigkeit eurer Arbeit im derzeitigen Umfeld zu erhalten? Verstehen Sie diese Diskussionen als Gelegenheit, zuzuhören und eine sichere Umgebung zu schaffen, in der alle Mitarbeiter offen sprechen können.

Zweitens: Stellen Sie sicher, dass sich Ihre wöchentlichen Routinen nicht nur auf die taktische Arbeit beziehen – also konkrete Pläne, die Sie umsetzen müssen, wie abzuarbeitende Tickets oder zu erledigende Aufgaben. Die Hälfte Ihrer Woche sollten Sie der sogenannten Adaptive Performance widmen (Reaktion auf eine sich verändernde Arbeitsumgebung – Anm. d. Red.), bei der es keinen Plan gibt, den Sie befolgen müssen, sondern wo es ums Experimentieren und Problemlösen geht.

Grundsätzlich empfehlen wir für Remote-Teams einen einfachen Wochenrhythmus:

Montag. Vereinbaren Sie ein Meeting zur Leistungskontrolle, bei dem Sie fragen:

  1. Welche Ergebnisse haben wir in der vergangenen Woche erzielt und was haben wir gelernt?

  2. Was wollen wir in dieser Woche erreichen? Wer übernimmt was?

  3. Wie können wir einander bei den Aufgaben dieser Woche unterstützen?

  4. Womit sollten wir experimentieren, um die Leistung in dieser Woche zu verbessern?

  5. Welche Tests wollen wir starten und wer ist wofür verantwortlich?

Dienstag bis Donnerstag. Planen Sie mindestens ein individuelles Meeting mit allen Teammitgliedern ein. Um sie zu motivieren, konzentrieren Sie sich darauf, ihnen bei der Bewältigung von Stretch Goals zu helfen – Aufgaben, die ihnen ein wenig zu schwer erscheinen. Sie können auch kleine Gruppenmeetings einberufen, in denen Mitarbeiter gemeinsam an den Wochenexperimenten arbeiten und zusammen Probleme lösen.

Freitag. Heute ist der richtige Tag, um die Woche Revue passieren zu lassen und nachzudenken. Präsentieren Sie die Experimente der Woche und sammeln Sie Input dazu. Das könnte beispielsweise in Präsentationen von Projektgruppen stattfinden, in denen die Teammitglieder Kennzahlen und Erkenntnisse austauschen. Wichtig ist auch, dass Sie sich gegenseitig über Ihre Motivation und Fortschritte informieren. Als Führungskraft sollten Sie mit gutem Beispiel vorangehen und Ihre Leute fragen, wie sie sich fühlen: Wo hatten sie mit ihrer Motivation zu kämpfen und wo lief es richtig gut?

Wir wissen, dass dieser Ansatz funktioniert, weil wir ihn schon während der Finanzkrise eingesetzt haben. Während die meisten Finanzdienstleister ihre Regeln und Prozesse intensivierten, halfen wir Tausenden Mitarbeitern im Hypothekengeschäft, jene Probleme herauszuarbeiten, die sie lösen konnten, Innovationen zu entwickeln und sich an die neuen Umstände anzupassen. Ihre Motivation schoss regelrecht in die Höhe, und ihre Leistung steigerte sich um 200 Prozent. Sie fanden kreative Win-win-Lösungen für die Finanzdienstleister, bei denen sie arbeiteten, und für die Kunden, denen der Verlust ihres Eigenheims drohte.

Wie wir 2008 in der Finanzkrise gesehen haben, können Teams auch in schlechten Zeiten experimentieren und sich den neuen Umständen anpassen. Gleichzeitig beobachteten wir damals Teams, die unter dem Druck erstarrten und sich zurückzogen. Nun ist es an Ihnen, sich an der ersten Gruppe zu orientieren. Machen Sie es zu Ihrer Aufgabe, als Remote-Team stärker zu wachsen und produktiver zu arbeiten, als Sie es als Präsenzteam geschafft haben. Diese Herausforderung kann Ihnen einen Energieschub geben und Sie zum Experimentieren bringen, auch wenn die Krise schon lange vorbei ist. 

© HBP 2020

Die Autoren

Lindsay McGregor ist Mitgründerin und CEO des New Yorker Technologie- und Beratungsunternehmens Vega Factor, das sich zum Ziel gesetzt hat, Unternehmenskulturen mit niedriger Performance zu verbessern. Neel Doshi ist Mitgründer von Vega Factor und gemeinsam mit McGregor Autor des Buches "Primed to Perform", das 2015 auf der Bestsellerliste der "New York Times" stand.

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