Nach Tod von Strabag-Chef: So wird der Baukonzern jetzt geführt
Nach dem Tod von Strabag-Chef Klemens Haselsteiner sortiert sich der Baukonzern neu. Die Richtung ist klar – ein Risiko aber bleibt.
Es ist ein wichtiger Tag für Strabag-Chef Klemens Haselsteiner. Anfang November vergangenen Jahres hat er seine Führungskräfte zum „Innovation Day“ versammelt, den der Baukonzern alle zwei Jahre ausrichtet, diesmal auf dem Gelände der Deutschlandzentrale in Köln-Deutz. Mehr als 1000 der 86.000 Strabag-Mitarbeiter führen zwei Tage lang Technologien vor, die das Planen und Bauen vereinfachen, verbilligen und ökologischer machen sollen: Leuchtdioden für besser sichtbare Zebrastreifen etwa, Radlader mit Brennstoffzellenantrieb oder KI-basierte Software, die den Bau von Schulen und Pflegeeinrichtungen mit Holz- und Betonmodulen beschleunigt. Mitarbeiter aus der europäischen Strabag-Diaspora sollen die neuen Produkte und Werkzeuge später in ihren Märkten und Sparten etablieren und sich einen Eindruck verschaffen, wohin die Reise bei der Strabag geht.
Die Transformation des Konzerns ist für Haselsteiner – seit 2020 im Vorstand, seit zwei Jahren Chef – das zentrale Managementthema. Er hat das Unternehmen auf Wandel, Modernisierung und klimagerechtes Bauen eingeschworen. Auf der Homepage steht explizit, was Konkurrenten gern verschweigen: „Die Bauindustrie verursacht weltweit 38 Prozent der CO2-Emissionen. Deshalb muss unsere Branche ein Teil der Lösung sein. Denn wir sitzen an einem der längsten Hebel für eine bessere Zukunft.“ Das daraus folgende Ziel sei „vielleicht das wichtigste unserer Unternehmensgeschichte: Wir werden klimaneutral bis 2040“ – entlang der gesamten Bauwertschöpfungskette.
Haselsteiner, das zeigt sein Auftritt bei der konzerninternen Innovationsmesse, meint es ernst. Er will „klimaneutral und ressourcenschonend planen, bauen und betreiben“. Neue Technologien trieben „den Wandel voran und bringen uns dem Ziel Schritt für Schritt näher“.
Als nach dem Rundgang Zeit zum Gespräch ist, erkundigt sich eine Journalistin in einer der ersten Fragen nach Haselsteiners Vater Hans Peter. Der hat seit den 1970er-Jahren mit Übernahmen das mittelständische Familienunternehmen zum Konzern geformt und die Strabag von 2006 bis 2013 geführt. Klemens Haselsteiner schaut ein wenig konsterniert, scheint sich zu fragen, warum er den Blick zurück richten soll. Dann atmet er durch und sagt: „Wenn Sie das wollen, können wir natürlich über meinen Vater sprechen.“
Unausgesprochen wird klar: Die Vergangenheit interessiert Klemens Haselsteiner nicht sonderlich. Ihm geht es um die Zukunft. Die hemdsärmelige, manchmal schlitzohrige Aufbau-Ära des Patriarchen von gestern? Ein Thema für die Firmenchronik. Hier steht kein branchenüblicher Baustellen-Zampano, der sich über große, größere, allergrößte Projekte definiert. Kein Sohn im langen Schatten seines Vaters. Sondern ein Manager, der mit frischen Ideen und eigenen Projekten eine neue Zeit erobern muss.
Klemens Haselsteiner stirbt mit 44 Jahren
Es ist ihm nicht vergönnt. Zweieinhalb Monate nach dem inspirierenden Tag in Köln ist Klemens Haselsteiner am 17. Januar gestorben. 44 Jahre alt, Vater von drei Kindern. Die Erklärungen seines Arztes geben preis, dass er an einer Aneurysma-Blutung, also einem geplatzten Blutgefäß starb. Im Nachhinein scheint es, als sei Haselsteiner gern schnell auf den Punkt gekommen, um seine Zeit zu nutzen.
Wer mit seinen Weggefährten im Unternehmen spricht, spürt, wie tief der Schock sitzt. „Ich kann nicht glauben, dass er nicht mehr durch diese Räume gehen wird“, sagt eine Managerin aus der Zentrale in Wien. Gerade weil Haselsteiners Führungsstil „freundlich und freundschaftlich war“, sei der Verlust so schmerzhaft.
Unvermeidlich aber kommt die Frage: Wie geht es weiter mit einem der wichtigsten Baukonzerne Europas, dem – gemessen am nationalen Umsatz – größten in Deutschland? Die Strabag-Aufsichtsratsvorsitzende Kerstin Gelbmann schreibt: „Klemens Haselsteiners Agenden werden vom Vorstands-Team übernommen, das eine nahtlose Fortführung der Geschäftstätigkeit sicherstellt.“
Das klingt professionell, geradezu routiniert. Doch eigentlich herrscht Ausnahmezustand. Die Interimslösung wird wohl längere Zeit Bestand haben. Die Suche nach einem neuen Kopf für die operative Führung dürfte die Strabag-Aufseher viele Monate beschäftigen.
Dass der künftige Vorstandschef erneut aus der Familie kommt, ist kaum zu erwarten. Die Haselsteiners sind mit 30,7 Prozent zweitgrößter Strabag-Aktionär hinter der Raiffeisen-Bank und dem Versicherer Uniqa Insurance Group, denen gemeinsam 31,9 Prozent gehören. Unter den vier Söhnen Hans Peter Haselsteiners, der Anfang Februar 81 Jahre alt wird, zeigte nur einer ein tieferes Interesse an Papas Firma, angeblich schon im späten Kindergartenalter: Klemens. Er wuchs in Bozen auf, studierte Betriebswirtschaft, startete seine Karriere bei der Prüfungsgesellschaft KPMG. Dann ging er für die Strabag 2011 vier Jahre nach Russland und 2015 zu Züblin nach Stuttgart – zunächst als kaufmännischer Leiter Schlüsselfertigbau.
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Und nun? Eine familienfremde Führungsspitze wäre nichts Neues. Der Deutsche Thomas Birtel steuerte die Strabag von 2013 bis 2023. Die Großaktionäre dürften unterstützen, was Aufsichtsratschefin Gelbmann vorgibt: Die mit Klemens Haselsteiner ausgearbeitete „Strategie 2030“ werde „mit voller Unterstützung des Aufsichtsrats“ fortgeführt. Klingt wie eine Floskel, ist aber ein wesentliches Suchkriterium für die Headhunter.
Haselsteiners Vermächtnis
Der von Haselsteiner geprägte Kurs ist Vermächtnis und zugleich Auftrag für die kommenden 15 Jahre. Im Interview mit der WirtschaftsWoche zeigte sich Haselsteiner noch vor wenigen Wochen, im Dezember 2024, „davon überzeugt, dass die Klimawirtschaft gepaart mit der Energiewende das einzige Erfolgsmodell für künftige Generationen sein werden“. Danach richte er sein Handeln aus: „Für mich gehen die Ziele, profitabel zu wirtschaften, sich resilient und innovativ aufzustellen, Hand in Hand mit einer nachhaltigen Wirtschaftsweise.“
Eine Kurskorrektur? Kaum denkbar. Aber auch nicht notwendig. Denn bei der unternehmerischen Herausforderung, klimaschonenderes Bauen in Einklang zu bringen mit Wachstum, befindet sich die Strabag vorläufig auf einem guten Weg: Erstmals dürfte der Konzern 2025 mehr als 20 Milliarden Euro Umsatz erreichen.
Das liegt auch an einer Akquisition, die in diesem Jahr zu einem kleinen Umsatzsprung beitragen wird. Der Konzern verkündete Ende November 2024 den Kauf der westaustralischen Georgiou Group mit knapp 900 Mitarbeitern und umgerechnet 800 Millionen Euro Umsatz.
Georgiou ist vor allem im Straßen- und Infrastrukturbau aktiv, auch für die Strabag traditionell wichtige Standbeine. Dennoch ist der Zukauf auch ein Wagnis: In Australien entsteht damit die erste Konzernbasis außerhalb Europas.
Gute Argumente dafür gibt es. Australien investiert Milliarden in seine Infrastruktur, in die Olympischen Sommerspiele in Brisbane 2032 und mittelfristig vermutlich in riesige Anlagen zur Herstellung und zum Transport von Wasserstoff. Von diesem Baukuchen will sich die Strabag ein großes Stück sichern.
Bisher lebt der Konzern fast ausschließlich vom Geschäft in Europa, insbesondere Deutschland. Fast die Hälfte ihres Umsatzes, neun Milliarden Euro, setzten Strabag und die Stuttgarter Tochter Züblin 2023 hier um, liegen damit weit vor dem französischen Vinci-Konzern (4,5 Milliarden Euro), Goldbeck aus Bielefeld (4,4 Milliarden) und der Bremer Zech-Group (4,1 Milliarden).
Den europäischen und deutschen Schwerpunkt sieht das Strabag-Management inzwischen als Klumpenrisiko. „In dem schwierigen Umfeld geht es uns eigentlich hervorragend“, sagte Haselsteiner im Dezember: Trotz Baukrise profitiert die Strabag von der Instandsetzung der Infrastruktur und von Energiewendeprojekten wie dem Bau neuer Stromtrassen. Das große Wachstum aber ist in Europa kaum mehr zu finden – auch wenn Märkte wie etwa der in Polen das zähe Hochbaugeschäft in Deutschland noch ausgleichen.
Strabag: Frisches Konzept, solide Finanzen
Diversifizierung ist daher längst beschlossene Sache. „Um unser Geschäft langfristig sicher weiterzuentwickeln“, sagte Haselsteiner, „muss die Strabag außerhalb Europas aktiver werden.“ Seit Jahrzehnten übernimmt der Konzern Aufträge etwa im chilenischen Bergbau oder bei australischen Staudamm- und Tunnelprojekten. Nun will er „über Projekte hinaus Flächenpräsenzen aufbauen“, sagte Haselsteiner im Interview.
Für weitere Expansionsschritte kämen „Länder mit gesundem Finanzhaushalt, rechtlicher Stabilität und hohen Compliance-Standards“ infrage. Haselsteiner nannte Großbritannien und Kanada als Ziele: „Wir gehen das mit Ruhe an. Wir wollen uns nicht verzetteln.“
Wer immer die Strabag steuern wird: Er oder sie kann auf ein noch frisches Konzept zurückgreifen, das im Konzern unumstritten ist. Hinzu kommen solide Finanzen, die Haselsteiner an einer „komfortablen Netto-Cash-Position von über 2,6 Milliarden Euro“ festmachte. Den niedrigen dreistelligen Euro-Betrag für die Georgiou Group zahlt das Unternehmen aus eigenen Mitteln. Ein gutes Polster ist der Rekordauftragsbestand in Höhe von mehr als 25 Milliarden Euro.
Trotz des Dramas ist die Ausgangslage für Haselsteiners unternehmerische Erben damit nicht schlecht. Nur ein Posten aus dem Nachlass ist problematisch: der russische Ex-Partner Oleg Deripaska.
Die Geschäfte in Russland haben sich auch unter Haselsteiner nie so entwickelt wie von der Strabag erhofft. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine 2022 versucht man alle Drähte zu kappen, auch die Beteiligung des sanktionierten Oligarchen Deripaska an der Strabag. Die mit einem Anteil von 24,1 Prozent drittgrößte Aktionärin „Rasperia Trading Limited“ gehört Deripaska offiziell zwar nicht mehr. Aber der Streit darüber, ob die Hauptaktionäre die Russen aus den Gremien der Strabag drängen durften und Rasperia zwangsweise die Anteile abkaufen können, füllt meterweise Anwalts- und Gerichtsakten. Ende offen.
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