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Nachhaltigkeit in den eigenen vier Wänden: Wird das Wohnzimmer künftig verschwinden?

Wohnen ist die Weise, in der wir uns in der Welt befinden und der Versuch zu leben, ohne sich zu verlieren. Mit steigenden Quadratmeterpreisen in den Großstädten verändert es sich allerdings und passt sich neuen Bedürfnissen an. So könnte das Wohnzimmer, für den Journalisten Gerhard Matzig „die Quintessenz vom Wohnen als Idee“, bald zu „den ersten Abgehängten im Bereich der Innenarchitektur zählen.“ Das rein Repräsentative dieses Raumes, wie die große Bücherwand, hat inzwischen ausgedient. Sogar Ikeas „Billy“-Regal wurde vor einiger Zeit verändert, weil sich Bücher im Zeitalter der Digitalisierung in Multifunktionsregale verwandeln.

Wie sich das Wohnzimmer heute verändert, zeigt auch das Beispiel der Nachhaltigkeitsexpertin Claudia Silber: Als sie vorletztes Jahr umgezogen ist, fehlten ihr vor allem im Wohnzimmer einige Möbel: „Ich hatte kein Sofa, kein Bücherregal, kein Möbelstück, auf dem der Fernseher Platz hatte.“ Alles Neue - vor allem im üblichen "Möbelhaus-Look" – findet sie nicht schön und sehr konform, „denn letztlich sehen damit alle Wohnzimmer gleich aus.“ Sperrige Möbel oder Wohnwände kommen für sie nicht in Frage. Schließlich wurde sie auf dem Dachboden ihrer Eltern fündig: „Auf dem alten Waschtisch meiner Oma steht heute mein Fernseher - zusätzlich bietet er weiteren Stauraum für meine wenigen, aber ausgesuchten Dekoartikel.“ Anstatt eines Sofas dekorierte sie das alte Bett, das ihre Großmutter vor vielen Jahrzehnten für ihren Vater von einem Schreiner anfertigen ließ, zum Daybed um. „Das ist auch dann praktisch, wenn ich Gästen mein Schlafzimmer überlasse und dafür ins Wohnzimmer umziehe.“

Für einen großen Esstisch war kein Platz. Ein adäquater Ersatz ist allerdings der runde Philipp Starck-Tisch, den ihre Eltern günstig aus dem "Nachlass" einer alten Porzellanfabrik erstanden haben. „Die Gebrauchsspuren zeigen, dass auch dieser Tisch viel erzählen könnte“, so Silber, die auch darauf verweist, dass ihre „geliebten Stühle von Eames, Verner Panton und Hay dabei richtig gut zur Geltung kommen.“ Abgerundet wird das "Wohn-Arrangement" durch ein Ikea-Regal, in dem ihre Lieblingsbücher untergebracht sind (der Rest steht in einer Nische im Flur auf einem Baumarkt-Regal im Industrial Look), und einen Ikea-Lesesessel sowie einige Pflanzen. Es ist diese Mischung verschiedener Stile, die zusammen mit dem alten Fischgrätparkett den Raum für sie zu etwas Besonderem machen. Für sie sind die eigenen vier Wände eine Oase der Ruhe und ein Rückzugsort aus der hektischen, schnelllebigen Zeit: „Gerade jetzt in der dunklen Jahreszeit mit Kerzen und punktuellem, warmen Licht ist es nicht nur mein Zuhause sein, sondern es fühlt sich nach ganz viel Geborgenheit an.“

Obwohl sie nicht nur beruflich viel mit dem Thema Nachhaltigkeit zu tun hat (sie leitet beim Ökoversender memo in Greußenheim die Unternehmenskommunikation), sondern auch privat so viel wie möglich nachhaltig handelt, ist sie keine Freundin von übermäßig vielen Holzmöbeln. „Alte Möbel jedoch wieder zu verwenden oder ihnen mit etwas Kreativität und Phantasie einen neuen Einsatzzweck zu verleihen, ist auch eine nachhaltige Maßnahme und schont wertvolle Ressourcen. Und letztlich spart man damit auch Geld, das man dann in qualitativ gute Produkte investieren kann, wenn eine Neuanschaffung wirklich einmal notwendig wird.“

Ihr Wohnstil ist mit dem ihrer Eltern nicht vergleichbar - ein Schwerlastregal aus dem Baumarkt käme auf keinen Fall in ihre Wohnräume. „Dennoch handeln auch ältere Generationen nachhaltig, wenn sie Einrichtungsgegenstände so lange wie möglich (oder gar ein Leben lang) behalten und alte Möbel nicht dem Sperrmüll, sondern nachfolgenden Generationen überlassen. Jede Zeit hat ihren eigenen Stil - mal mit weniger, mal mit mehr Charme.“

Bereits aus diesem Einzelbeispiel lassen sich aktuelle Entwicklungen ableiten:

• Trennungen zwischen Wohnzimmer, Esszimmer und Küche gibt es heute kaum noch.

• Das ursprüngliche Wohnzimmer dient als Arbeitszimmer, als Gästebereich, erweiterte Küche oder Wellness-Terrain.

• Spezifische Raumfunktionen werden vielfach zugunsten offener Nutzungskonzepte aufgegeben.

• Die repräsentative Bücherwand stirbt allmählich aus – Regale funktionieren heute eher wie Beistelltische.

• Einrichtungsgegenstände gewinnen zunehmend an Wohlfühlcharakter.

• Maßarbeit und Nachhaltigkeit sowie ressourcenschonende Fertigungstechniken gewinnen beim Möbelkauf immer mehr an Bedeutung.

• Zu den Trendfarben gehören samtige Nudetöne (Creme, Karamell und Schoko), aber auch pastellige Grün-, Blau- oder Grautöne. Schwarz hat es allerdings schwer, weil damit Bedrohung und Pessimismus assoziiert werden.

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Weiterführende Informationen:

Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Von Lebensdingen: Eine verantwortungsvolle Auswahl. Amazon Media EU S.à r.l. 2017.

Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Gut zu wissen... wie es grüner geht: Die wichtigsten Tipps für ein bewusstes Leben. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Wohnen 21.0: Grundzüge des Seins von A bis Z: global – lokal –nachhaltig. Amazon Media EU S.à r.l. 2018.

Gerhard Matzig: Räume von gestern. In: Süddeutsche Zeitung (4./5./6.1.2020), S. 61.

Max Scharnigg: Regal, egal. In: Süddeutsche Zeitung (28.29.4.2018), S. 54.

Gerhard Matzig: Teppich. Nobles Comeback. In: Süddeutsche Zeitung (15./16.11.2014), S. 59.

Deutscher Manufakturen Führer. Ein Reiseführer zu den schönsten Manufakturen Deutschlands. Hg. von Wigmar Bressel, Pascal Johanssen und Olaf Salié. Deutsche Standards EDITIONEN. Köln 2015.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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