Nachhaltigkeit ist die neue Fitness: Warum wir ständig üben sollten
Die Erde an sich steht nicht auf dem Spiel, da sie auch ohne Menschen fortbestehen würde. Vielmehr steht die „Gesamtheit der Umweltbedingungen und der natürlichen Systeme, von denen die menschliche Zivilisation abhängig ist“, auf dem Spiel, schreibt Al Gore in seinem Buch „Die Zukunft. Sechs Kräfte, die unsere Welt verändern“. Zukunftsgestaltung hängt für ihn entscheidend von unserem Denken ab – zum Beispiel wie wir über die Entscheidungen nachdenken, die vor uns liegen. Aber auch unser gegenwärtiges Handeln ist ein wichtiger Einflussfaktor – wenn das Wissen aus der Vergangenheit berücksichtigt wird. Der Ruf nach Gestaltung statt Verwaltung, nach neuen Umformungsprozessen in der Gesellschaft wird immer lauter.
Die Verbindung zur Askese mag in diesem Zusammenhang seltsam anmuten, doch es macht Sinn, sich auf ihre ursprüngliche Bedeutung einer freiwillig unternommenen Übung zu besinnen, die einem ständigen Neuformungsprozess dienen sollte. Im Mittelpunkt steht die „Selbstsorge“, die mit einem gesunden Maß an Selbstdisziplin verbunden ist. Hier zeigt sich eine Verbindung zum Sport, in dem sich der Mensch nicht nur in seiner Leiblichkeit erlebt, sondern auch als Teil der Gesellschaft. „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn hat die selbst gestaltete Beweglichkeit, die modernen „Leibesübungen“ in der Schule und als Vereinssport bis heute maßgeblich geprägt. Davon geht eine tiefe Symbolik aus, denn jeder kann heute zum „Turnmeister“ (Friedrich Nietzsche) seiner Existenz werden – solange er nur bereit ist zu üben.
Auch Nachhaltigkeit ist ständiges Training fürs Leben, das mit dem Sport eng verbunden ist: In beiden Bereichen geht es um Gefühle, Leidenschaft und Mut, Kampf und Macht, Erfolg und Scheitern, Strategie, Entschlossenheit und Zielstrebigkeit, Taktik und Zufall, aber auch um das Wechselspiel von individuellen Fähigkeiten und der Geschlossenheit im Team. Der Sport hat die Chance, Menschen verschiedener Nationen, Kulturen und Religionen zusammenzuführen. Sie „üben“ mit Hilfe des Sports Begegnung und Verständigung unter Berücksichtigung einfacher Regeln, die von entscheidender Bedeutung für den gemeinsamen Erfolg sind, aber auch für die kollektive Kreativität. Denn sie entfaltet sich nur innerhalb fest gesteckter Grenzen. Wo sie fehlen, gibt es keine kreativen Höchstleistungen. Würden beispielsweise beim Fußball die Außenlinien des Spielfeldes wegfallen. könnten die Spieler plötzlich laufen, wohin sie wollten. Fußball wäre damit ein langweiliges Spiel. Doch es geht nicht nur um Regeln, sondern auch um einen Geist der Fairness und des Vertrauens, der Chancengleichheit, Toleranz und Menschenwürde
Das „Training“ der Nachhaltigkeit ermöglicht uns, Hebel umzulegen und Steuerungsmechanismen in Gang zu setzen, um Zukunft zu gestalten. Dazu gehört auch die Entstehung von Communitys, die eigene Sinn- und Wertegemeinschaften bilden. Je mehr man sich mit Nachhaltigkeit befasst, desto mehr neue Aspekte tun sich auf. Zu den wichtigsten Treibern gehören der Klimawandel und die Folgen, die Ressourcenverfügbarkeit und -preise, das Bevölkerungswachstum, die Globalisierung und Armut, die Süßwasserknappheit, das Aussterben vieler Tier- und Pflanzenarten, das Konsumentenbewusstsein, die Wirtschaftskrise und der Wertewandel. All das hat auch Auswirkungen auf Sportverbände. Es kommt noch hinzu, dass die Fans von Sportvereinen immer auch am Gesamterlebnis und an der Außendarstellung des Vereins beteiligt sind, was einen sehr verantwortungsvollen und sensiblen Umgang erfordert.
Dazu gehört auch Empathie. Das Wort ist griechischen Ursprungs meint wörtlich das Hineinleiden oder Hineinfühlen in andere. Aus evolutionärer Sicht war der Einzelne auf die Gruppe angewiesen, und seine Überlebenschancen erhöhten sich, wenn es den anderen gutging. Vor diesem Hintergrund steht Empathie auch für verdeckten Eigennutz. Dennoch: Für eine nachhaltige Gesellschaft ist sie unabdingbar – deshalb muss auch unsere Empathie ständig „trainiert“ werden. „Der Kollaps der Erde“, erklärt der US-amerikanischer Soziologe und Ökonom Jeremy Rifkin in seinem Buch „Die empathische Zivilisation“, mit dem er Wege zu einem globalen Bewusstsein aufzeigen möchte, „lässt sich nur verhindern, wenn eines rechtzeitig die ganze Menschheit erfasst: das universaliert empathische, das biosphärische Bewusstsein.“
Auch Umweltachtsamkeit, ein Begriff, den die Psychologin Ellen Lager prägte, spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Er ist verbunden mit ständigem Fragen und der Fähigkeit zuzuhören, aber auch mit Nachdenken und Reflexion der Sichtweisen anderer Menschen. Ein solches aktives Engagement führt zu klügeren Fragen und einer sensibleren Antenne für das, was vor uns liegt. Zu den großen Kernfragen, die sich daraus ableiten, gehören: Welche Zukunftskonzepte sollten Sportorganisationen haben? Wie beeinflussen sie Entscheidungen der Gegenwart und das Gesamtbild der Zukunft? Inwiefern sind sie von der allgemeinen Vertrauenskrise betroffen?
Das ist ein permanenter Vorgang, denn je besser sich Sportorganisationen den Anforderungen eines professionellen Nachhaltigkeitsmanagements anpassen, desto erfolgreicher und stabiler sind sie. Günther Netzer soll einmal über eine Mannschaft gesagt haben: „Ihre Laufbereitschaft kommt nicht zum Tragen, weil sie nicht wissen, wohin.“ Ähnliches gilt auch bei der Nachhaltigkeit von Sportorganisationen. Die Bereitschaft von Einzelpersonen oder Abteilungen ist oft durchaus vorhanden, doch sie muss nur noch in die entsprechende Richtung gelenkt werden. Häufig werden Maßnahmen nicht in eine übergreifende Nachhaltigkeitsstrategie integriert. Viele Sportorganisationen engagieren sich gesellschaftlich, doch nur wenige messen die Wirkung ihres Engagements.
Es sollte deshalb das Ziel von ihnen sein, aus der Vielzahl der nicht-finanziellen Einzelkennzahlen relevante Steuerungsgrößen zu bilden, aus denen sie für verbandsinterne Zwecke – aber auch nachvollziehbar für die Öffentlichkeit – ableiten können, ob sich ihre Nachhaltigkeitsleistungen verbessert oder verschlechtert haben. Häufig sind die Aktivitäten noch nicht strategisch ausgerichtet oder werden nur schwach gesteuert. Wer jedoch auf den systematischen Aufbau und das konsequente Nachhaltigkeitsmanagement verzichtet, verzichtet auch auf sportlichen und wirtschaftlichen Erfolg. Das gilt für Sportorganisationen genauso wie für Unternehmen. Deshalb ist es wichtig, vor allem das langfristige Denken immer wieder zu „trainieren“. Wer darin gut ist, hat auch den notwendigen langen Atem für den Aufbau eines erfolgreichen Nachhaltigkeitsmanagements und verstanden, dass Nachhaltigkeit ein Teamsport ist – ganz im Sinne der Kulturanthropologin Margaret Mead: „Zweifeln Sie niemals daran, dass eine kleine Gruppe ernsthafter, engagierter Menschen die Welt verändern kann. Tatsächlich sind sie die Einzigen, die dies vermögen.“
Weiterführende Informationen:
CSR und Sportmanagement. Jenseits von Sieg und Niederlage: Sport als gesellschaftliche Aufgabe verstehen und umsetzen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. 2. Auflage. SpringerGabler Verlag, Berlin und Heidelberg 2019.
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.